Ja, Neil Armstrong war auch für mich ein Held, als ich noch ein Kind war. Als Teenager war ich fasziniert und begeistert von der Idee einer Raumstation, die als Basis für zukünftige Ausflüge ins All, zum Mond und vielleicht sogar zum Mars dienen könnte. Und natürlich wollte ich dann dabei sein.
Aber ich wurde älter und während die Begeisterung darüber, dass “wir” da oben waren, blieb, fragte ich mich immer öfter, ob “wir” da wirklich wieder und wieder rauf müssen. Nachdem meine damalige naive Technikgläubigkeit durch die Challenger-Katastrophe und Tschernobyl arg in Mitleidenschaft gezogen worden war, änderte ich irgendwann meine Meinung. Zumindest, was den Mars betrifft. Gewiss, wenn wir es darauf anlegen, dann werden wir dorthin gelangen und irgendein Mann (so weit in der Zukunft liegt der Zeitpunkt nicht, dass es realistischerweise eine Frau sein könnte) wird seinen Fuß auf die Marsoberfläche setzen, salbungsvolle Worte sprechen und darauf achten, sich nicht wie Neil Armstrong vor Nervosität zu verhaspeln. Wir sind Helden. Wir müssen nur wollen! Die Frage ist nur, ob wir wirklich immer alles wollen sollen.
Es wird eine ganze Menge Geld kosten. Es wird wie üblich viel mehr
kosten, als auch bei großzügiger Schätzung veranschlagt werden wird. Es
wird vermutlich längerfristig auch Menschenleben kosten, wie die
Erfahrung lehrt. Und ob es wissenschaftlich wertvoll sein wird, ist
zumindest zweifelhaft.
Ich weiß, das sind häretische Gedanken,
denn auf den ScienceBlogs ist in dieser Hinsicht derzeit Euphorie
angesagt und wer da widerspricht, der gerät schnell unter den Verdacht
der generellen Wissenschaftsfeindlichkeit. Christian greift die Linkspartei und die Grünen an,
weil sie die bemannte Raumfahrt ablehnen und Ludmila unterstützt ihn
dabei ebenso wie Jörg, der in den Kommentaren mit “Ehrfurcht und
glänzenden Augen wie das war, vor 40 Jahren” argumentiert. (Nachtrag vom 23.07.:) Thomas Wanhoff schließt sich mit seinem Podcast ebenfalls an.
“Zu teuer” sei kein Argument gegen die bemannte Raumfahrt, meint Florian,
denn 30 Milliarden seien sinngemäß eine Lappalie, die heutzutage jede
Sparkasse in der Finanzkrise versenken kann. “Das bringt doch nichts”
sei auch kein Argument, denn Grundlagenforschung sei die Basis der
gesamten Wissenschaft. Dem zweiten Halbsatz stimme ich voll und ganz
zu, nur weiß ich nicht so recht, warum Grundlagenforschung eine
bemannte Marsmission rechtfertigen sollte.
This is the 21st century. Telerobots have been invented. Our two Mars
rovers, Spirit and Opportunity, are merely robust extensions of our
fragile human bodies. They don’t break for lunch or complain about the
cold nights, and they live on sunshine. […] No need to bring
them home when they are no longer able to explore, they will just be
turned off. [Former astronaut Charles] Bolden also said he wants to go to Mars. How incredibly
old-fashioned! We are on Mars now.
Das schrieb Bob Park, Physiker und von mir sehr geschätzter Autor von Voodoo Science und Superstition, letzte Woche in seinem What’s New Newsletter.
Will man, dass sich die Menschen wieder mehr für Wissenschaft, für
Raumfahrt und für unser Universum und das All interessieren, dann ist
es unumgänglich, dass die Menschen sich auch selbst ins All begeben!
Das sagt hingegen Florian, und er wiederholt es mehrmals.
Mag sein, dass er Recht hat. Aber die Idee bereitet mir Unbehagen. Eine bemannte
Marsmission als Marketinginstrument für die Wissenschaft? “Irgendwann
werden die Menschen vielleicht die Rohstoffe im Asteroidengürtel
abbauen wollen (bzw. müssen)“, argumentiert Florian weiters. Wirklich?
Schlägt da nicht die Freude an Science Fiction ein wenig durch?
Das vierte Kapitel von Voodoo Science
ist der bemannten Raumfahrt gewidmet. Park betont, dass es dabei nicht
um Pseudowissenschaft geht, sondern um echte, aber schlicht relativ
unwichtige Wissenschaft. Die Antriebskräfte hinter der Raumstation ISS
waren nicht vorrangig Wissenschaftler, sondern Lobbyisten und
Politiker. Die ISS war und ist ein Prestigeprojekt, das bisher
keinerlei aufregende wissenschaftliche Erkenntnisse nach sich gezogen
hat. Mit dieser Einstellung ist er nicht alleine. 1991 urteilte die American Physical Society:
It is the view of the American Physical Society that scientific
justification is lacking for a permanently manned space station in
Earth orbit.
Zugegeben,
1991 ist in den Naturwissenschaften beinahe Lichtjahre lang her. Andererseits: die American Physical Society bekräftigte ihr Statement erst 2003 wieder. Wie
wertvoll die ISS und die bemannte Raumfahrt generell sind, das wurde und wird heftig diskutiert. Lars Fischer hält menschgemachte Experimente auf der ISS für unverzichtbar und verweist auf die hier beschriebenen Versuche.
Ich
bin etwas im Zwiespalt, was die ISS betrifft. Aber ich denke, wir
müssen nicht dringend wieder zum Mond. Und schon gar nicht zum Mars.
Allerdings bin ich auf dem Gebiet kein Experte, mein Überblick über die
pro- und kontra-Argumente ist eher bescheiden und meine persönliche
Meinung hier daher relativ irrelevant. Doch ein bisschen “balance” kann
auf den ScienceBlogs auch nicht schaden, oder? Die Frage, wie sehr wir bemannte Raumfahrt wirklich brauchen, ist ex ante nicht wissenschaftlich zu beantworten. Die Antwort wird aus dem Streit der Meinungen, der Lobbyisten und der Politik resultieren.
Die Zeitschrift Nature hat ihre Autoren der letzten paar Jahre zum Apollo-Programm befragt.
Etwa 80% aller befragten Wissenschaftler würden eine Verlagerung der Ausgaben von der
bemannten zur unbemannten Raumfahrt grundsätzlich unterstützen.
PS: Der Lichtjahre-Lapsus im drittletzten Absatz ist Absicht. Damit kann man Astronomen so schön ärgern 😉
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