Es
sind ambivalente Gefühle, die sich beim Besuch dieses Info-Abends einstellen.
Das Publikum: zu 95 Prozent weiblich, in mittlerem Alter und sichtlich vom
Bedürfnis beseelt, etwas für das Wohlbefinden anderer Menschen zu tun, wohl
auch mit der Perspektive eines sinnstiftenden, erfüllenden Nebenerwerbs. Die
TrainerInnen: freundliche, warmherzige Menschen, denen man ihre guten Absichten
ebenso glaubt wie ihre Begeisterung für das von ihnen vertretene Konzept. Und
schließlich bin ich selbst – im engsten Familienkreis mit chronischen
Schmerzpatienten konfrontiert – sehr wohl vertraut mit der Ohnmacht angesichts
wechselnder Krankheitsverläufe und dem Wunsch, möglicherweise schmerzlindernde
Formen von Körperkontakt und seelischem Beistand zu entwickeln..
Was
aber sehr rasch deutlich wird, ist die Diskrepanz zwischen hochtrabender
Terminologie und dem tatsächlich in Aussicht gestellten Nutzen für den Klienten:
Was dieser CFD-Lehrgang verspricht, ist nichts anderes als Empathie,
mitfühlende Präsenz und – hoffentlich – sanfte körperliche Berührung ohne
therapeutischen Anspruch. Das sind wichtige und wohltuende Kräfte und
Ressourcen, mit denen jeder Mensch jeden Tag in Kontakt kommen kann, wenn er
dazu bereit ist. Wozu aber braucht es dann diesen Lehrgang samt seinem
Theoriegebäude? Wozu braucht es zehn Module z.B. zur Geschichte der
Craniosacralen Methode bzw. der kinesiologischen Techniken, Lerneinheiten zur systemisch-ontologischen Gesprächsführung oder dem Life-Forces-Modell? Bedarf die Fähigkeit
des Einzelnen, Körperregungen und Gefühle wahrzunehmen, wirklich der Begleitung
durch eine Methode, die weder medizinischen Nutzen verspricht noch
Psychotherapie sein kann, wiewohl sie sich in genau dieser Grauzone bewegt? Was
sagt es aus über das Menschenbild der CFD, wenn Klienten tatsächlich jemanden benötigen,
der ihre “Kopfschmerzen wertschätzt”, und zwar als bezahlte Dienstleistung?
Die
aufgeblasene Beschreibung der bio-dynamisch-ontologischen
Prozessbegleitung passt
nicht so recht zum Verweis auf den “inneren Arzt” des Klienten, die eigentliche
Instanz, welche sich über Körpersignale
mitteile und solcherart dem CFD-Practitioner darin beistehe, (wie immer geartete)
Blockaden aufzuspüren. Denn, so die zentrale Botschaft der Präsentation,
“Prozesse geschehen von selbst, Symptome verschwinden von selbst, der Nutzen
tritt von selbst zutage.” Eleganter
kann man die eigene Überflüssigkeit eigentlich nicht erklären. – Wenn das,
worauf es ankommt, von selbst abläuft, dann müsste es doch genügen, dem Prozess
zu vertrauen und der Praxis des CFD-Practitioners einfach fernzubleiben.
Halt,
werden manche rufen: Wo bleibt die Prozessbegleitung? Es ist doch die
einfühlsame Präsenz des Practitioners, die Wachstum und heilsame Veränderung
überhaupt erst ermöglicht!
Ist
das so? Oder sind wir hier nicht in Wahrheit beim zentralen Profil weiter Teile
der CAM-Branche? Hinter all der pseudowissenschaftlichen Begrifflichkeit, der
Rückbindung an wohlklingend formulierte, irgendwie spirituell daherkommende
Menschen- und Weltbilder, der behaupteten methodischen Sicherheit und dem
angeblichen Wirkungspotenzial wird in Wahrheit das angeboten, was der schon
eingangs zitierte Ökonom Robert Reich als “gekaufte Zuwendung” definiert.
Chronische
Krankheiten, seelische Krisen, selbst simple Befindlichkeitsstörungen vermögen schon
per se, und erst recht in einer von gesunden und leistungsfähigen Körpern
besessenen Gesellschaft, massive Ängste und Ohnmachtsgefühle auszulösen. Hinzu
kommt die brüchiger werdende Tragfähigkeit sozialer Bindungen, auch sie eine
Folge gestiegener Mobilität und veränderter Produktionsweisen. Das liebevolle
Pusten unserer Eltern auf die “Auas” unserer Kindheit ist wahrscheinlich eine
der ursprünglichsten Erfahrungen mit der angstlindernden Eigenschaft von
“Prozessbegleitung”, nämlich schlichter Zuwendung und Empathie. Wer aber pustet
– bildlich gesprochen – den fragmentierten Individuen unserer postindustriellen
Gesellschaft die “Auas” weg? (Korrekterweise dürfte man sie nicht wegpusten,
sondern müsste sie zunächst einmal gründlich wertschätzen!)
Dass
aus ursprünglichen Formen mitmenschlicher Zuwendung eine Dienstleistungsbranche
entstehen konnte, ist freilich kein Zufall. Die Analyse, die der Klagenfurter
Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer 1992 zur New-Age-Bewegung formulierte, lässt
sich problemlos auf das weite Feld der Komplementärmedizin übertragen. Zu einer
verstehenden Psychologie, die über die Grenzen individueller Arbeit
hinausreicht, gehört nämlich – so
Ottomeyer – auch eine Kultur- und Gesellschaftstheorie:
Die Lebensäußerungen von Individuen, etwa die
Sinngebilde des New Age, werden missverstanden oder kurzschlüssig
(psychologisierend) verstanden, wenn wir sie nicht gerade auch in ihrer
Einseitigkeit, partiellen Verblendung als Antworten auf die kulturellen und
sozioökonomischen Zustände und Krisenerscheinungen einer bestimmten
Gesellschaft beziehen. So hat der Ganzheitswunsch etwas mit der zunehmenden
Zerrissenheit von moderner Identität zu tun, der Symbiosewunsch etwas mit der
Überindividuation der Warenbesitzer und Karrieremenschen, der
Transformationskult mit der gesellschaftlichen Blockierung von
Zukunftsentwürfen und das seltsame Pathos der Autoren sehr viel mit den
Anpreisungszwängen unter konkurrierenden Marktteilnehmern.[3]
Der
Verdacht drängt sich auf, dass auch das seltsame Pathos der CFD-Theorie mit den
genannten “Anpreisungszwängen unter konkurrierenden Marktteilnehmern” zu tun
hat, denn CFD, so wie am WIFI angeboten, versteht sich als eigenständige
“Schule”, die sich folgerichtig von anderen Strömungen auf dem weiten Feld der
CAM-Verfahren abgrenzt und sich dabei auf die identitätsstiftende methodische
Leistung führender Persönlichkeiten wie Solihin Thom beruft.
Geschichten und ihre Deutung
Fragwürdig
ist auch die behauptete universale Gültigkeit des Modells von Gesundheit und
Krankheit: Körperliche Symptome erzählen angeblich Geschichten, vorzugsweise
dem CFD-Practitioner, der “mit den Händen zuhört”, bis die Geschichte erzählt
ist und der Körper “sein eingefahrenes Muster loslässt”. Wie dürfen wir uns das
vorstellen? Wird sich die in der Info-Broschüre erwähnte Zahnfehlstellung nach
erfolgreicher narrativer Begleitung durch den CFD-Practitioner von selbst korrigieren? Wartet der
Kieferknochen bloß auf die erlösende Sitzung, um endlich Platz zu machen für die
schiefen kleinen Lauser? Was verbirgt sich denn hinter wolkigen Formulierungen
wie dem postulierten “Loslassen eingefahrener Muster”?
Das
Bewusstwerden selbstschädigender Verhaltensmuster? Das wäre gut möglich und
absolut begrüßenswert. Das Lösen von Verspannungen und Fehlhaltungen durch
bewusste Wahrnehmung von Körperempfindungen und Entspannung in einer ruhigen,
kontemplativen Praxis-Atmosphäre? Auch das
erscheint plausibel und sinnvoll. Wie aber sieht es aus mit echten organischen
Leiden? Oder mit aufbrechenden starken Gefühlen beim Klienten? Kein Problem,
erklären die Kurstrainer. Erstens liefere die Ontologische Kinesiologie
als Wegweiser auch Informationen aus dem Unbewussten und zweitens sei die
Überforderung des CFD-Practitioners ausgeschlossen: “Sie als Prozessbegleiter
werden sich nur so weit auf Prozesse einlassen, als Sie auch die Ressourcen
dazu haben.“
Der
Eindruck entsteht, dass sich hier ein selbstbezügliches System unentwegt
zirkulär affirmiert: Prozesse vollziehen sich ohnehin von selbst, der Nutzen
tritt von selbst zutage, gelegentliche “Überprüfungen” durch den
kinesiologischen Muskeltest zeigen den jeweils fälligen nächsten Schritt im
Prozess, der wiederum niemals schief gehen kann, weil er sich – siehe oben –
von selbst vollzieht. Zudem ist der Verzicht auf konkrete Zielsetzungen – auch
dies Teil der CDF-Programmatik – Garant für ein sich selbst fortschreibendes
Verfahren. Wenn Zielerreichung kein Kriterium ist, darf der Prozess samt seiner
Begleitung wohl ziemlich lange dauern..
Problematisch
erscheint mir auch das aus der CAM-Ideologie sattsam bekannte Konzept von
“Krankheit als Sprache”. Kein vernünftiger Mensch wird die körperlichen
Auswirkungen psychischer Dauerstressbelastung leugnen, so wenig wie sich
umgekehrt bestreiten lässt, dass körperliche Einschränkungen infolge einer
Erkrankung massive seelische Auswirkungen haben können.
Die
biographischen Deutungsmuster von Symptomen und Beschwerden mögen darüber
hinaus verführerisch sein, weil sie einen vordergründig plausibel erscheinenden
Sinnzusammenhang für ängstigende Erlebnisse und Erfahrungen mit Krankheit und eingeschränkter
Lebensqualität anbieten. Zugleich bürden sie aber dem Einzelnen eine
Bringschuld für Gesundung auf, die oft schlicht nicht einzulösen ist und
fehlende Erfolge auf Unreife, ungenügende seelische oder “spirituelle”
Entwicklung zurückführt. Eine Deutung, mit der sich das mit Krankheit
verbundene Leid und der schwer zu ertragende Gedanke, Menschen könnten zufällig
Opfer “schlechter” Gene oder sonstiger pathologischer Prozesse im Körper
geworden sein, vortrefflich wegerklären lässt.
Was bleibt als Fazit?
Zunächst,
dass es zu kurz greift, den Wildwuchs an CAM-Methoden einfach mit dem Verweis
auf mangelnde medizinisch-wissenschaftliche Evidenz abzukanzeln. Diese Kritik,
wiewohl in der Sache berechtigt, verkennt die tief sitzenden emotionalen
Bedürfnisse, die die Nachfrage nach solchen Behandlungsmethoden (und den
dazugehörenden “Ausbildungen”) überhaupt erst ermöglichen. Vereinsamung,
Ohnmacht, Sehnsucht nach Betreuung und Angstlinderung, vielleicht auch der
Erlebnishunger saturierter Mittelschichten und die verführerische Aussicht, als
“Heiler/ Energetiker” Bedeutsames für andere Menschen zu leisten – all das
steht an der Wurzel des großen CAM-Booms. Dass das große ganzheitliche
Sinnstiften unter den herrschenden Bedingungen erst recht wieder als clever
vermarktete Ware daherkommt, scheint Anbieter wie Klienten nicht wirklich zu
stören.
Soll
andererseits das Monopol auf die individuelle Deutung von Gesundheit und Krankheit
wirklich kampflos den Vertretern der Komplementärmedizin überlassen werden? Was
wäre zu leisten, um Menschen die nötige Begleitung in krisenhaften Stationen
ihrer (gesundheitlichen) Biographie anzubieten, ohne zugleich fragwürdige
theoretische Konstrukte mitzuverkaufen?
Hilarion
Petzold, Psychotherapeut und Professor für Psychologie, bringt für den großen
Markt der New-Age-Therapien auf den Punkt, was mit geringfügigen Abweichungen
auch für komplementärmedizinische Methoden wie Cranial Fluid Dynamics gelten könnte:
Die New-Age-Bewegung hat durchaus konstruktive
Impulse. Sie ist Ausdruck einer tiefen Verunsicherung von Menschen in unserer
Zeit und einer profunden Sehnsucht nach Orientierung. Umso bedenklicher ist es,
dass durch dubiose Psychotechniken in den Händen von Geschäftemachern mit
Guru-Gehabe diese Bedürfnisse missbraucht werden. Dies nur zu beklagen reicht
nicht aus. Es wird vielmehr wichtig werden, nach Alternativen zu suchen und
sich aktiv darum zu bemühen, zu einer humaneren Welt und einer sinnstiftenden
Kultur beizutragen.[4]
Eine
solche
humane Ethik würde wohl auch eine größere Ehrlichkeit fordern in der
Beschreibung dessen, was von einer Methode geleistet werden kann und
was nicht.
Diese
Ehrlichkeit stünde auch den Cranial Fluid
Dynamics-Anbietern gut zu Gesicht. Zuzugeben, dass hinter ihrem
aufgeblasenen Theoriegebäude letztlich einfache und – wahrscheinlich – wohltuende
Formen der Zuwendung unter Menschen stehen, hätte Größe. Aber es würde wohl
bedeuten, die von Klaus Ottomeyer so treffend diagnostizierten “Anpreisungszwänge unter Marktteilnehmern” zu
ignorieren.
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