Zweiter Fehler: Angenommen, “Widder haben Gewichtsprobleme” wäre tatsächlich uraltes Wissen der Astrologen (was es anscheinend nicht ist).
Und angenommen, wir finden das in unseren Daten bestätigt, also p <
0,01. Haben die Astrologen dann gewonnen? Mitnichten! Denn jetzt
müssten wir uns fragen, wie groß denn die Wahrscheinlichkeit ist, dass irgendein uraltes Astrologenwissen rein zufällig
bestätigt werden kann. Nehmen wir eine grobe Abschätzung und sagen wir,
dass zu den 12 Sternzeichen je drei auf uraltem Wissen und
Überlieferung beruhende gängige Astrologenbehauptungen existieren, die
im Prinzip medizinisch nachprüfbar sind. Dann haben wir also 12×3 = 36
mögliche Hypothesen. Wenn wir nun alle diese 36 Hypothesen anhand
unserer Daten nachprüfen und dabei tatsächlich eine “bestätigt” (p <
0,01) finden, so ist das tatsächlich weit weniger unzufällig, als unser
p-Wert uns glauben macht. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens
eine der 36 Hypothesen auf diese Weise “bestätigt” werden kann, ist
sogar dann um die 30%, wenn alle diese 36 Hypothesen in Wahrheit falsch sind!
Wenn
man das nicht berücksichtigt, macht man eine nachträgliche
Subgruppenanalyse ohne die entsprechende statistische Korrektur des
p-Wertes (z.B. nach Bonferroni) für multiples Testen. Auch das ist in
diesem Fall ein methodischer Fehler – sehr beliebt bei
Alternativmedizinern, bei Pharmariesen und bei Radiästheten. (Wann genau man korrigieren sollte und wann nicht, ist allerdings im allgemeinen schwer zu beurteilen und daher einigermaßen umstritten.)
Dritter Fehler:
Angenommen, wir hätten trotz Bonferroni-Korrektur gefunden, dass
Widder-Geborene überzufällig dick sind. Könnten die Astrologen dann
endlich aufatmen? Leider noch immer nicht. Denn der Widder ist im März
oder April geboren, die Schwangerschaft seiner Mutter fällt also in die
kalte Jahreszeit und im ersten Drittel war vermutlich gerade die
jährliche Grippewelle im Anrollen. Das könnte irgendwelche Auswirkungen
auf den Fötus haben und tatsächlich gibt es Hinweise auf solche jahreszeitlichen Einflüsse
aus seriösen Untersuchungen.
Aber gesetzt den Fall, es ließe
sich tatsächlich zeigen, dass die Gewichtsprobleme der Widder mit dem
Wechsel zum nächsten Sternzeichen schlagartig dahin sind, und nicht
etwa mit fortschreitendem Geburtstag stetig abnehmen, wie es ein
jahreszeitlicher Zusammenhang nahelegen würde. Wäre dann die Astrologie
bewiesen? Immerhin beinahe, aber nicht ganz! Schließlich hätte man dann
bloß eine Korrelation gefunden, aber noch keinen Kausalzusammenhang. Es wäre
zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass die Kausalität in die andere Richtung läuft – oder dass der Zusammenhang trotz allem zufällig war. Zugegeben, dieses Problem trifft nicht nur die Astrologen, sondern die gesamte Epidemiologie.
Man
sieht: Die Astrologie, speziell die Astro-Medizin, hat auf ihrem Weg zu
wissenschaftlicher Anerkennung noch einige Hürden zu meistern. Und
die wird sie nicht überwinden, denn methodisch gute Studien gibt es in
dieser Richtung schon einige, und keine davon ist jemals positiv
ausgefallen. Ein einigermaßen bekanntes Lehrstück dazu
lieferten Peter C. Austin et al. mit Daten von über 10 Millionen Patienten,
gegen die Dr. Temmls 140.000 Datensätze geradezu lächerlich erscheinen.
Doch
hier sollen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Dr. Temml kann
man keine methodischen Fehler vorwerfen, weil seine Methodik schlicht
nicht erklärt wird. Ich vermute, sie beschränkt sich aufs Zählen der
Fälle. Sein schmales Büchlein mit dem großen bunten Text und den vielen
Bildchen, durch das ich mich in einer schwachen Viertelstunde beim
lokalen Buchhändler gequält habe, enthält nicht einmal eine Andeutung
darüber, wie er seine Ergebnisse erhalten hat.
Warum also
schreibt ein seriöser Arzt so ein dümmliches Buch? Wohlwollend könnte
man spekulieren, dass sein eigentliches Anliegen das der Gesundheitsvorsorge war.
Denn im Interview mit der BILD antwortet er auf die sinngemäß gleiche Frage so:
BILD am SONNTAG: Herr Dr. Temml, ist so ein Buch für einen Wissenschaftler seriös?
DR.
CHRISTIAN TEMML: Wenn heute ein Arzt etwas über die Gesundheit sagt,
geht’s zum einen Ohr hinein, zum anderen hinaus. Sagt ein Popstar wie
Madonna etwas, nehmen es die Leute wahr. Astrologie interessiert die
Menschen. Durch den Umweg über ihr Sternzeichen beschäftigen sich die
Menschen spielerisch mit ihrer Gesundheit und überdenken vielleicht
eher ihren Lebensstil.
Nimmt Dr. Temml also Spott
und Hohn in Kauf, damit die sicher zahlreichen Käufer seines Buches
wenigstens mehr auf ihre Gesundheit achten? Wer weiß? Am besten, wir
machen es wie bei Minister Hahn und fragen einfach:
17.06.2009
An: christian.temml@wien.gv.at
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