Um zu verstehen, was in der Kapillare passiert, greifen wir wieder auf die Berechnung der Druckdifferenz zurück. Dazu müssen wir den Wasserdruck innerhalb der Kapillare berechnen können. Ganz wesentlich ist dabei die Erkenntnis, dass der hydrostatische Druck in einer gegebenen Wassertiefe entlang der Horizontalen überall gleich groß ist – innerhalb der Kapillare ebenso wie außerhalb. Dieses auch als Pascal’sches Prinzip bezeichnete Phänomen erklärt sich intuitiv daraus, dass jede etwaige Druckdifferenz entlang der Horizontalen zu einer entsprechenden Strömung des Wassers führen würde, die mit einem statischen Gleichgewicht unvereinbar ist.
Wenn aber der Druck innerhalb der Kapillare auf der Höhe des äußeren Wasserspiegels gleich groß ist wie außerhalb, nämlich 100 kPa, wie groß ist dann der Druck direkt unter der Oberfläche des Kapillarwasserspiegels? Die Antwort ist: Geringer als 100 kPa! Der Druck nimmt mit steigender Höhe ab, und zwar genauso wie er mit der Tiefe zunimmt, also mit 1 kPa pro 10 cm. Wenn unser Kapillarwasserspiegel etwa in 10 cm Höhe liegt, dann beträgt der Druck direkt unter der Wasseroberfläche dort nur 99 kPa.
Das scheint vielleicht rätselhaft: Der Luftdruck beträgt direkt oberhalb des Kapillarwasserspiegels doch immer noch 100 kPa. Müssten der Wasserdruck und der Luftdruck sich an der Kapillaroberfläche nicht “ausgleichen”? Nein, denn das 1 kPa Druckdifferenz liefert gerade die Kapillarkraft, die quasi versucht, die Wassersäule nach oben zu drücken. An der Kapillaroberfläche “springt” der Druck von 99 kPa auf 100 kPa. Man erkennt das auch an der nach innen gewölbten Oberfläche des Wassers im Kapillar. Sie sieht aus wie eine elastische Membran, die am Rand festgehalten wird und in der Mitte eingedrückt wird.
Zurück zu unserem 40 cm langen Schwimmer, der die halbe Dichte von Wasser besitzt: Wann ist er nun in der Kapillare im Gleichgewicht? Die Antwort lautet: Kommt darauf an!
Angenommen, die Kapillarsäule ist kürzer als 20 cm. Dann passiert im Vergleich zum Schwimmer im offenen Wasser gar nichts! Der Schwimmer ragt aus der Wassersäule heraus, und wie bei seinem Nachbarn im offenen Wasser muss der oben ansetzende Luftdruck von 100 kPa plus der Gewichtsdruck durch den Wasserdruck an der Unterseite des Schwimmers ausgeglichen werden, was bei derselben absoluten Eintauchtiefe von 20 cm unter dem offenen Wasserspiegel passiert. Der Druck innerhalb der Kapillarsäule erzeugt nur horizontal wirkende Kräfte, die sich gegenseitig die Waage halten und die Höhe des Schwimmers nicht beeinflussen können.
Was aber, wenn man die Kapillare langsam immer dünner macht, sodass die Wassersäule in der Kapillare höher als 20 cm steigt? Wenn der Schwimmer oben aus dem Wasser herausragt, muss seine Unterseite höher liegen als die des Schwimmers im offenen Wassers. Doch dann ist der Druck unten zu klein, um Gewichtsdruck und Luftdruck an der Oberseite zu kompensieren. Der Schwimmer würde also absinken. Andererseits: Wenn die Oberseite des Schwimmers im Gleichgewicht unterhalb des Kapillarwasserspiegels liegen würde, der Kapillarschwimmer also vollständig eingetaucht wäre, dann wäre sein Auftrieb genau so groß wie beim Eintauchen im offenen Wasser – die Druckdifferenz zwischen Ober- und Unterseite beträgt bei 40 cm Länge ja in jedem Fall 4 kPa. Dieser Auftrieb ließe den Schwimmer aber steigen, wie man bei jenem im offenen Wasser sieht.
Das scheint paradox: Die Oberseite des Kapillarschwimmers kann im Gleichgewicht weder oberhalb noch unterhalb der Kapillaroberfläche sein. Wo soll sie dann sein? Die Antwort lautet: Sie ist “in” der Kapillaroberfläche! Dazu erinnern wir uns: Der Kapillarspiegel ist nicht plan, sondern konkav gewölbt. Der Schwimmer taucht mit seiner horizontalen Oberseite in dieser Wölbung auf, und zwar gerade soweit, dass der mittlere Teil seiner Oberseite bereits über Wasser, der Rest der Oberseite aber noch unter Wasser ist.
Die drei diskutierten Möglichkeiten sind sehr schön in einer Skizze zusammengefasst, die Kommentator YouMan eigens angefertigt hat, und die ich hier wiedergebe. (Seine Druckeinheiten sind auf null an der offenen Wasseroberfläche normiert. Zum Umrechnen auf meine Erklärung addieren Sie überall 100 kPa dazu!)
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