Die Zeitschrift Forschen & Entdecken nennt sich im Untertitel “Das Magazin für kluge Köpfe”. Herausgegeben von der Stadt Wien ist sie im Gratisabo oder online als pdf zu haben. Im aktuellen Heft findet sich auf den S. 26 bis 28 ein Artikel der freien Journalistin Gabriele Vasak mit dem Titel “Heilsame Symbiose”, basierend auf einem online nachlesbaren Interview mit dem österreichischen Chefhomöopathen Michael Frass. Die zentrale Botschaft des Artikels lautet: Homöopathie ist bei Krebs wirksam.
Nun kann man sicher diskutieren, ob es sinnvoll ist, eine
studierte Germanistin und Romanistin zu einem so sensiblen Thema
schreiben zu lassen. In diesem Fall war es offensichtlich nicht
sinnvoll, denn leider hat Frau Vasak offenbar jegliche kritische
Recherche unterlassen und lediglich die sattsam bekannte Homöopathie-PR von Herrn
Frass unkritisch wiedergegeben.
Anlass des Artikels war
eine “aktuelle Studie des AKH Wien“, die laut Frau Vasak
zeigt, dass
vor allem die oft kritisierte Homöopathie bei … Krebs durchaus wirksam
sein kann.
Diese Behauptung ist dreifach falsch und außerdem gefährlich:
Falsch
erstens deshalb, weil “Wirksamkeit” in der Medizin eine spezifische
Wirksamkeit meint, also eine Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus.
Tatsächlich ist die zitierte Studie, die noch nicht einmal publiziert
ist, laut Design weder dafür gedacht noch geeignet, Placeboeffekte zu
eliminieren. Es handelt sich nämlich um eine offene und nicht
randomisierte Fragebogenstudie, die die Lebensqualität von gewöhnlich
behandelten Krebspatienten mit jener von zusätzlich klassisch
homöopathisch behandelten Krebspatienten vergleicht.
Falsch
zweitens deshalb, weil die Formulierung “bei Krebs wirksam” beim Leser natürlich
suggeriert, es handle sich um eine Wirksamkeit “gegen Krebs”. In Wahrheit bezieht sich die Studie auf die subjektive Steigerung der Lebensqualität, die mit einer homöopathischen Behandlung einher geht. Mit der Überlebensrate oder der Heilung von Krebs hat das nicht das geringste zu tun. Genau das ist es aber, was dem oberflächlichen Leser vermittelt wird.
Falsch
drittens, weil das Studiendesign es nicht einmal zulässt, eine Wirksamkeit der Homöopathie auf die Steigerung der Lebensqualität festzustellen. Da die homöopathischen Arzneimittel ohnehin Placebos sind, wäre allenfalls ein spezifischer Effekt der homöopathischen Anamnese (!) möglich, also eine Form von psychotherapeutischem Effekt. Ob der gemessene Effekt aber tatsächlich ein für diese homöopathische Anamnese spezifischer Effekt ist, lässt sich mit dem Studiendesign von Herrn Frass nicht feststellen. Es fehlt nämlich eine Kontrollgruppe, die eine andere Form von psychischer Zuwendung erhalten hätte. Das heißt, die gemessenen Effekte könnten spezifisch für die homöopathische Anamnese sein, sie könnten aber auch unspezifische Effekte sein, die alleine auf die achtsame Zuwendung des Arztes zurückzuführen sind. Schließlich könnten sie auch auf reinem bias, etwa Antwortverzerrung, beruhen.
Aus den oben genannten Gründen ist diese Art des Designs von Studien aus wissenschaftlicher Sicht relativ wertlos. Hinter vorgehaltener Hand werden sie von Medizinern als “Marketingstudien” bezeichnet. Da sie aus methodischen Gründen bei einer genügend großen Anzahl von Teilnehmern stets positive Effekte liefern, eignen sie sich zu PR-Zwecken. Der Alternativmedizinforscher Prof. Edzard Ernst hingegen bezeichnet sie aus diesem Grund als “unsinnig, sogar unethisch”.
Gefährlich ist diese Form des unkritischen Journalismus, weil sie Krebspatienten suggeriert, Homöopathie sei ein wirksame Alternative zur Behandlung von Krebs. Einige Krebspatienten lehnen Operationen, Chemo- oder Strahlentherapie ab und greifen stattdessen zu Alternativmedizin ohne Evidenzbasis wie Homöopathie. Was das bedeutet, kann man sich ausmalen.
Herr Frass selbst behauptet freilich nirgendwo explizit, dass Homöopathie Krebs heilen könne. Er spricht lediglich von den negativen Folgen der Krebs-Standardtherapien auf die Lebensqualität, die man mittels Homöopathie bessern könne. Als aufrechter Homöopath lässt er es sich aber nicht nehmen, die Mär von der spezifischen Wirkung der Globuli zu verbreiten:
Zudem gibt es mehrere Metaanalysen, die einen Vorteil der Homöopathie
gegenüber einem Placebo zeigen. Insbesondere die im Jahr 2005 im
„Lancet” veröffentlichte Metaanalyse von Shang und anderen … hat bei genauer
Betrachtung gezeigt, dass die Daten sehr wohl für eine Wirkung
homöopathischer Arzneien sprechen. Die in Wahrheit hervorragenden
Ergebnisse dieser Studie sind lediglich falsch interpretiert worden.
Dieser erstaunlichen Behauptung liegt allerdings keinerlei publizierte Forschungsarbeit zugrunde, sie entspringt offenbar einzig und alleine Herrn Frass’ Wunschdenken. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass der Vizepräsident der “Ärztegesellschaft für klassische Homöopathie” die Anliegen der Homöopathie statt jene der Wissenschaft vertritt, doch unkritische Medien tragen leider einen wesentlichen Teil der Verantwortung dafür, dass krause Ansichten wie die hier zitierte öffentlich verbreitet werden. In Zukunft bitte weniger davon!
Kommentare (352)