Auf diesen Kommentar antworte ich nun wiederum, der Übersichtlichkeit halber aber hier im Blog. Dazu habe ich den bisherigen Verlauf von Artikelausschnitt, Kritik und Replik mit eingefügt, gekennzeichnet durch “PT” für Petra Thorbrietz, “UB” für Ulrich Berger, und mit dem Zusatz “GEO” bzw. “FB” (Facebook) als Quellenangabe versehen.
Nach Metaanalysen vieler kontrollierter Studien ist der
Homöopathie-Effekt mehr als doppelt so hoch wie die allein durch ein
Placebo erklärbare Genesung.
UB (FB): Das ist falsch. Die
state-of-the-art Metaanalyse von Shang et al (2005) sagt: Kein
signifikanter Unterschied zwischen Homöopathie und Placebo in den großen
und methodisch guten Studien.
PT (FB): Zur
Homöopathie: Das Zitat mit dem doppelt so hohen Effekt als Placebo
stammt von Edzard Ernst: Praxis Naturheilverfahren. Evidenzbasierte
Komplementärmedizin…, Springer 2001, S. 64. Es gibt mehrere
einander widersprechende Metanalysen zur Homöopathie. In demselben Jahr
der von Ihnen zitierten Studie hat zum Beispiel auch eine von
Befürwortern zitierte von Sosie Kasab ((Quelle: „Cochrane Database of
Systematic Reviews”, 2009, Issue 2, CD004845) (AP)) .
Eine
detaillierte Analyse und Bewertung kann so ein Übersichtskasten wie der
in GEO nicht leisten. Ich habe aus der Zusammenfassung des der
Komplementärmedizin durchaus kritisch gegenüberstehenden Edzard Ernst
zitiert (siehe sein Buch Trick or Treatment), der dort auf die
Widersprüchlichkeit der Studienlage eingeht. Das gibt völlig korrekt
auch die Überschrift von GEO wieder: „Beliebt, aber umstritten”.
UB (aktuell):
Edzard Ernst beschrieb in seinem “Praxis Naturheilverfahren” (2001) den
damaligen Stand, der wiederum auf der damals noch aktuellen Metaanalyse
von Linde
(1997) beruht, welche ein odds ratio von 2,45 für Homöopathie gegen
Placebo angibt. Diese Metaanalyse ist heute längst überholt, was auch
von Linde selbst eingestanden wurde. U.a. aus diesem Grund gibt es auch
bereits seit 2005 eine Neuauflage von “Praxis Naturheilverfahren”, in
der das von Ihnen verwendete Zitat nicht mehr vorkommt. Edzard Ernst
selbst nennt die 2001er-Auflage seines Werks “hoffnungslos veraltet”.
Ich vermute, Sie kennen eigentlich den aktuellen Stand der Dinge, weil
Sie auch
“Trick or Treatment” zitieren, das erst 2008 erschienen ist und den ganzen Sachverhalt detailliert
beschreibt.
Sie zitieren also 2011 bewusst (?) den Stand von
1997, als ob in Sachen Homöopathie seither nichts mehr geschehen wäre,
und da frage ich mich schon: Warum eigentlich? Vielleicht doch
deshalb, weil es Ihnen so besser ins Konzept passt?
Die Arbeit von Kassab et al (2009)
wiederum, die Sie anführen, ist nicht, wie Sie behaupten, eine
Metaanalyse, sondern ein systematischer Review. Noch dazu – darauf hat
auch Michael Horak schon hingewiesen – ist sie dafür bekannt,
dass darin lediglich zwei ganz bestimmte Formen von sog.
Pseudohomöopathie für eine ganz bestimmte Indikation untersucht wurden.
(Ringelblumensalbe gegen Dermatitis? Wenn das Homöopathie wäre, dann
müsste nach dem Simile-Prinzip Ringelblumensalbe beim Gesunden einen
Hautausschlag hervorrufen!) Als Beleg für “einander widersprechende
Metaanalysen” in der Homöopathie ist sie denkbar ungeeignet.
Nocheinmal:
Was Homöopathie als Gesamtsystem betrifft, so ist die aktuelle
state-of-the-art Metaanalyse Shang et al (2005). Diese Arbeit zu
ignorieren und stattdessen mit einem völlig veralteten Zitat zu
arbeiten, ist für GEO-Standards ein schwerer journalistischer Patzer.
PT (GEO): Am Ende belegte die [GERAC–] Studie, dass Akupunktur wirksam, sicher und kosteneffektiv ist.
UB (FB): Das ist falsch. “Effectiveness” ist nicht “Wirksamkeit”. Die Wirksamkeit (d.h. über Placebo hinaus) wurde nicht belegt.
PT (GEO): Warum funktioniert Akupunktur – sogar dann, wenn die Nadeln »falsch« gesetzt werden?
UB (FB):
Die Frage ist absurd. Wenn die Nadeln falsch gesetzt werden, dann
handelt es sich nicht um Akupunktur, sondern um Scheinakupunktur, welche
in den ART-Studien als Placebokontrolle diente. Das Ergebnis ist
gerade, dass Akupunktur eben nicht wirkt.
PT (GEO): Bei
chronischen Rückenschmerzen sprechen mehr als 40 % der Patienten auf
Akupunktur an, nur 27 % auf die konventionelle Behandlung mit einer
Kombination aus Pillen und Physiotherapie.
UB (FB): Das
ist eine von CAM-Seite verbreitete Fehlinterpretation der GERAC-Studie.
Die Kontrollgruppe, die konventionell behandelt wurde, bestand aus
Patienten mit durchschnittlich 8 Jahren (!) chronischen Rückenschmerzen.
Das ist eine massiv selektierte Gruppe von genau jenen Patienten, die
auf konventionelle Behandlung nicht oder nur schlecht anspricht.
PT (FB): Zur
Akupunktur: Auch die Akupunkturstudien ART und GERAC sind, wie das gute
Praxis im wissenschaftlichen Diskurs ist, von verschiedenen Seiten
kritisiert worden. Ihre Ergebnisse haben aber dazu geführt, dass der
Gemeinsame Bundesausschuss, der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte,
Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen, am 18.
April 2006 in Düsseldorf beschlossen hat, die Akupunktur bei
chronischen Rückenschmerzen in die Kassenvergütung aufzunehmen. Diese
Entscheidung war sicher nicht „von CAM-Seite” gesteuert. In der
Stellungnahme heißt es: „Den Studienergebnissen zufolge liegt die
Erfolgsrate der traditionellen chinesischen Akupunktur (TCM, „echte”
Akupunktur) bei der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen nicht
wesentlich höher als die der Schein-Akupunktur, bei der bewusst
„falsche” Punkte gestochen wurden. Beide Akupunkturformen zeigten jedoch
deutlich bessere Erfolge als die Standardtherapie. Bei der Behandlung
von Schmerzen des Kniegelenkes waren die Schein-Akupunktur und die
„echte” Akupunktur in ihrer Wirkstärke in den meisten Studien annähernd
vergleichbar. Beide waren zudem der Standardtherapie ebenfalls deutlich
überlegen.” ( https://www.g-ba.de/institu
UB (aktuell):
Das ist ja alles schön und gut, aber eine GBA-Pressemeldung ist kein
wissenschaftliches Dokument und vor allem ist die die Entscheidung des
GBA unter anderem eine wirtschaftliche und politische. Ob Akupunktur bei
Rückenschmerzen laut GERAC- bzw. ART-Studie im klinischen Sinne “gut
belegt” und “wirksam” ist, wie Sie behaupten, ist eine ganz andere
Frage. Und die Antwort lautet “nein”. Der GBA betont selbst, dass er trotz
des fehlenden Wirksamkeitsnachweises (“efficacy”, nicht “effectiveness”!)
die Erstattung beschlossen hat. Hier hätte ich mir zumindest gewünscht,
dass Sie zwischen “Wirksamkeit” und unspezifischen Effekten
(Placebo-Effekten) unterscheiden.
PT (GEO): Kaptchuk hat
vor Kurzem die ärztliche Welt auf den Kopf gestellt, indem er nachwies,
dass Tabletten ohne jeden Wirkstoff selbst dann helfen, wenn die
Betroffenen wissen, dass sie nur eine Attrappe schlucken.”
UB (FB): Auch
das ist eine Fehlinterpretation. Die Placebos wurden ganz klar so
beschrieben, dass eine positive Erwartungshaltung aufgebaut wurde. Als
“Attrappe” wurden sie nicht gesehen.
PT (FB): Zu
Kaptchuk: „dass die Betroffenen wissen, dass sie nur eine Attrappe
schlucken”, wird von mir nicht, wie von Ihnen reklamiert,
fehlinterpretiert. Tatsächlich ist der Studienansatz in GEO genau
beschrieben: „weil ein sympathischer Arzt (den Patienten) ausführlich
erklärt hatte, dass Placebos immer zu einem gewissen Prozentsatz
wirkten, und man könne das ja einmal ausprobieren.” … und wenige
Zeilen später „Patientenerwartung, Placebos und die Rolle ärztlichen
Charismas”. Im GEO steht genau das, was Sie betonen: Bei dem Versuch
wurde eine positive Erwartungshaltung aufgebaut. Sie hat funktioniert.
UB (aktuell):
Nun gut, darüber kann man diskutieren. Wenn ich weiß, dass ich “eine
Attrappe schlucke”, dann bedeutet das doch, dass ich keine positiven
Erwartungen bezüglich deren Funktion habe – so verstehe ich das Wort
“Attrappe” jedenfalls. Kaptchuck erklärte seinen Patienten aber: “placebo pills, something like sugar pills, have been shown in rigorous
clinical testing to produce significant mind-body self-healing
processes.” Damit erzeugt er eine
positive Erwartungshaltung – die Patienten glauben, erwarten oder
hoffen, dass die “Zuckerpille” irgendwie “wirkt”. Damit ist sie aber für
sie keine “Attrappe” mehr. Die positive Erwartungshaltung bewirkt den
Placebo-Effekt. Das ist aber altbekannt und keineswegs eine Erkenntnis,
die “die ärztliche Welt auf den Kopf gestellt” hätte.
PT (GEO):
Seine subversiven Thesen haben Kaptchuk an die Spitze der Schwarzen
Listen gebracht, mit denen sogenannte quackwatcher all jene verfolgen,
die irgendeinen Zweifel an der reinen Lehre der Medizin hegen.”
UB (FB): Kompletter
Unsinn. Kaptchuk ist ein seriöser Forscher, wenngleich mit manchmal
eigenwilligen Interpretationen seiner eigenen Studienergebnisse. Es gibt
keine “Schwarzen Listen” von quackwatchern. Auf den über 4.700 Seiten
von quackwatch wird Kaptchuk genau einmal in einem kritischen Kontext erwähnt, und zwar 2006.
PT (FB): Natürlich
ist Kaptchuk ein seriöser Forscher, so wie alle anderen im Artikel
zitierten. Bei meinem Besuch bei ihm an der Harvard Universität haben
wir über die „schwarzen Listen” als Synonym dafür gesprochen, dass er
immer wieder im Fadenkreuz der Kritik stand. Das Gespräch bezog sich
nicht auf eine bestimmte Gruppierung. Es mag sein, dass, wie Sie
schreiben, sein Name auf den 4.700 Seiten von www.quackwatch.com nur einmal kritisch erwähnt wird, aber vor allem im englischsprachigen
Kontext gibt es etliche kritische Seiten über ihn – nur als Beispiele
wahllos herausgegriffen: https://findarticles.com/p/
UB (aktuell):
Offenbar haben Sie als Beleg für die “etlichen kritische Seiten über
Kaptchuk” jetzt nur genau die eine von 2006 gefunden, die ich ohnehin
erwähnt hatte, und zusätzlich eine uralte Seite aus 2003. Beides sind
dabei nicht einmal “kritische Seiten über Kaptchuk”, sondern Seiten, in
denen Kaptchuk kurz und am Rande in kritischem Zusammenhang erwähnt
wird. In beiden Erwähnungen ist diese Kritik sachlich begründet und
insgesamt völlig harmlos. Eine solche Art von Kritik ist im
wissenschaftlichen Diskurs gang und gäbe. Da kann doch bitte gar keine
Rede sein von angeblichen “Schwarzen Listen”, mit denen “quackwatcher”
Abweichler von der reinen Lehre “verfolgen”! Das ist doch, pardon,
schlichtwegs herbeifantasiert – ob von Kaptchuk selbst oder von Ihnen
sei jetzt einmal dahingestellt.
Abgesehen davon ist Ihnen hoffentlich bewusst, dass Sie mit dieser Diktion Alternativmedizin-Kritiker als eine Art fundamentalistische Schulmedizin-Taliban diffamieren, oder?
UB (FB): Die
Crux an Ihrem Artikel ist, dass er durchgehend nicht zwischen der
Heilung von Krankheiten und der Linderung von subjektiven Symptomen
unterscheidet – ein himmelhoher und ganz entscheidender Unterschied!
Letzteres gelingt nämlich mit Placebos, ersteres leider nicht.
Leider
kommt auch kein kritischer Wissenschaftler zu Wort – Michael Baum dient
lediglich als böse Karikatur. Dabei würde ich seine Samuel Gee lecture 2009 jedem hier ans Herz legen.
PT (FB): Es
stimmt nicht, dass der Artikel „durchgehend nicht zwischen der Heilung
von Krankheiten und der Linderung von subjektiven Symptomen
unterscheidet”. Es steht explizit im Text, als Zitat von Kaptchuk:
„Durch die therapeutische Beziehung lassen
sich alle Krankheiten beeinflussen, die subjektiv geprägt sind”,
vermutet er. „Schmerzen, Gemütsleiden, Stressfolgen…” Subjektiv.
UB (aktuell): Richtig, Kaptchuk erwähnt das entscheidende Attribut “subjektiv” kurz. Aber Sie selbst thematisieren diesen
wichtigen Unterschied in Ihrem Artikel leider in keinster Weise. Dabei
ist das gerade der zentrale Kritikpunkt von wissenschaftlicher Seite an
der ganzen Alternativmedizin: Placebos helfen, wirken aber nicht. Doch
wie ich bereits festgestellt hatte: CAM-Kritiker kommen in Ihrem Artikel
ja nicht zu Wort. Nur ein einziger, und der “faucht” nur…
Anmerkung: Die Replik von Frau Thorbrietz auf Facebook
enthält noch weitere Punkte, die sich jedoch nicht an mich, sondern an
andere Kritiker richten, und auf die ich hier deshalb nicht gesondert
eingehe. Eine Reaktion von Prof. Edzard Ernst gibt es übrigens auch:
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