Frau Thorbrietz hat die auf Facebook begonnene und auf meinem Blog
weitergeführte Diskussion in den Kommentaren sachlich fortgesetzt, wofür ich mich bedanke. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit habe ich ihre Antworten herauskopiert und möchte
hier wiederum dazu Stellung beziehen.
Legende: PT … Petra Thorbrietz, UB … Ulrich Berger
PT:
Zurück von einer Reise kann ich erst jetzt auf die Kommentare von @Ulrich Berger zu meinem früheren Statement antworten:
1. Eine Korrektur zum meinem Edzard Ernst Zitat: Es war ein Fehler,
die Auflage des Buches von Edzard Ernst nicht noch einmal überprüft zu
haben. Dennoch interpretiere ich die Studienlage zur Homoöpathie – um
die es in meinem GEO-Artikel übrigens explizit nicht (oder nur in einem
Kasten am Rande) geht – in der Gesamtschau so, dass sie in ihren
Ergebnissen widersprüchlich bleibt. Selbst in der von Ihnen zitierten
„State of the art”-Metaanalyse von Shang et al. im Lancet
räumen die Autoren 2005 ein: „We acknowledge that to prove a negative
is impossible, but we have shown that the effects seen in
placebo-controlled trials of homoeopathy are compatible with the placebo
hypothesis.” Das ist für mich weiterhin der aktuelle wissenschaftliche
Stand der Debatte: Der Nichtbeweis einer Wirksamkeit ist nicht
automatisch der Beweis einer Unwirksamkeit. („Absence of evidence is not
evidence of absence”): „We emphasise that our study, and the trials we
examined, exclusively addressed the narrow question of whether
homoeopathic remedies have specific effects. Context effects can
influence the effects of interventions, and the relationship between
patient and carer might be an important pathway mediating such effects.
Practitioners of homoeopathy can form powerful alliances with their
patients, because patients and carers commonly share strong beliefs
about the treatment’s effectiveness, and other cultural beliefs, which
might be both empowering and restorative. For some people, therefore,
homoeopathy could be another tool that complements conventional
medicine, whereas others might see it as purposeful and antiscientific
deception of patients, which has no place in modern health care.”
Es geht und ging bei der Homoöpathie und anderen Verfahren der
komplementären Medizin nie allein um deren pharmakologische Wirkungen im
engeren Sinne. Seit dem Lancet-Review von 2005 ist die Debatte zudem
weiter gegangen, siehe etwa die Kritik von Lüdtke et al. aus dem Jahr
2008
oder auch neuere Ansätze für komplexe Studiendesigns von Teut et al. im
Jahr 2010. So wie
ich den Stand der Diskussion interpretiere, pendelt die Studienlage zur
Homoöpathie derzeit zwischen knapp über und knapp unter einer
Placebo-Wirkung. Ob das weitere Forschung rechtfertigt, mag jeder selbst
beurteilen. Mich als Journalistin faszinieren die Arbeiten des
Placebo-Forschers Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School, der in
methodisch ausgefeilten klinischen Studien (eine Liste der Studien
finden sich hier)
die rituellen Wirkungen von therapeutischen Interventionen wie etwa
einer Akupunktur erforscht: „This research also suggests that ritual
healing not only represents changes in affect, self-awareness and
self-appraisal of behavioural capacities, but involves modulations of
symptoms through neurobiological mechanisms. Recent scientific
investigations into placebo acupuncture suggest several ways that
observations from ritual studies can be verified experimentally. Placebo
effects are often described as ‘non-specific’; the analysis presented
here suggests that placebo effects are the ‘specific’ effects of healing
rituals.“
UB:
Sie schreiben, für Sie sei der aktuelle wissenschaftliche Stand der Debatte: Der Nichtbeweis einer Wirksamkeit ist nicht
automatisch der Beweis einer Unwirksamkeit. Letzteres ist zwar
richtig, aber keineswegs der wissenschaftliche Stand irgendeiner
Debatte, sondern eine alte Binsenweisheit. Leider taugt sie nicht als
positives Argument, denn auch der bislang fehlende Nachweis der Existenz
des Yeti ist zwar tatsächlich kein Beweis seiner Inexistenz, doch
trotzdem würde wohl kein seriöser Wissenschaftler deshalb meinen, es
stünde fifty-fifty, dass er existiere. Und das, obwohl immer
wieder Zeugenaussagen sowie angebliche Fußspuren und Fellreste
auftauchen. Warum wird der Yeti in den Naturwissenschaften dann
eigentlich nicht ernsthaft diskutiert? Weil seine Existenz nicht in das
gesicherte Wissen passt, das wir über Biologie haben! Mit anderen
Worten: Die a priori Wahrscheinlichkeit der Existenz des Yeti ist so
gering, dass auch ein paar Dutzend schwache Indizien niemanden ernsthaft
davon überzeugen könnten. Der Clou an diesem Beispiel ist, dass eine
spezifische Wirksamkeit von homöopathischen Hochpotenzen eine noch um
vieles geringere a priori Wahrscheinlichkeit hat als die Existenz des
Yeti.
Sie meinen, es ginge bei der Homoöpathie und anderen Verfahren der
komplementären Medizin nie allein um deren pharmakologische Wirkungen im
engeren Sinne? Da möchte ich vehement widersprechen. Bei der Kritik
an der Homöopathie geht es genau darum. Wenn eine solche Wirkung nicht
vorhanden ist, dann sprechen wir von Placebo-Effekten. Alleine das Wort
“Placebo” ist für die allermeisten Homöopathen (und andere
Alternativmediziner) aber ein rotes Tuch. Warum? Weil sie, wenn sie
einräumen
würden, dass sie ein Placeboverfahren praktizieren, vor einem
gewaltigen ethischen Problem stehen würden. Kann man den systematischen
Einsatz von Placebotherapien samt der inkludierten Patiententäuschung
und dem verdummenden Kollateral-Hokuspokus (“Quantenmedizin” etc.) damit
rechtfertigen, dass man in der Lage sei, subjektive
Symptome zu lindern? Wie soll die Ausbildung in Placeboverfahren
ablaufen – soll man die Auszubildenden auch täuschen, oder nur die
Patienten? Soll man das mit Steuergeld tun? Ich meine dreimal nein, aber
diese Debatte hat noch nicht einmal
begonnen, weil Homöopathie & Co. strikt darauf beharren, dass ihre
Kügelchen, Bachblüten und Heilkristalle ganz real wirksam seien und ihre
Erfolge natürlich keine Placeboeffekte sein können.
Seit dem Lancet-Review von 2005 ist die Debatte zudem
weiter gegangen, sagen Sie. Das ist sie tatsächlich, aber starke
positive Evidenz für Homöopathie ist immer noch keine aufgetaucht – wie
die 200 Jahre davor. Die Arbeit von Lüdtke und Rutten (2008), die Sie
anführen, hat die Resultate von Shang (2005) im wesentlichen bekräftigt
und stößt sich eher an der Interpretation dieser Resultate in den Medien
und im Lancet-Editorial. Auch diese Studie wurde von CAM-Seite und in
vielen Medien kräftig fehlinterpretiert. Genaueres dazu finden Sie bei
Bedarf in diesem Blog und in einer Diskussion, die ich mit Herrn Lüdtke
selbst dazu geführt habe. Der Artikel von Teut (2011), den Sie
verlinken, ist wiederum einigermaßen off-topic, da er nur ein
Designkonzept ist (kein aufregend neues übrigens) und die Frage der
Wirksamkeit der Homöopathie überdies gar nicht berührt.
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