Bekanntlich hatte der vor kurzem abgetretene
Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, ein großes Herz für
“alternativmedizinische Verfahren”, auch für die Homöopathie. Dass
solche Verfahren im Widerspruch zu allen Erkenntnissen der neuzeitlichen
Wissenschaft stehen, war ihm egal. Diese Haltung scheint auch bei der deutschen
Bundespsychotherapeutenkammer Freunde zu haben. Das lässt zumindest ein Artikel
des Freiburger Medizinethikers Giovanni Maio im Psychotherapeutenjournal 2/2011
vermuten, dem Organ der Bundespsychotherapeutenkammer.
Ein Gastbeitrag von Joseph Kuhn, Gesundheitswissenschaftler aus Bayern und selbst Psychologe.
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Die Homöopathisierung der Psychotherapie
Psychotherapeuten folgen oft einer inneren
Berufung. Sie wollen helfen. Das ist auch gut so. Aber dieses Helfenwollen
alleine reicht nicht, um ein guter Psychotherapeut, eine gute Psychotherapeutin
zu sein. Psychotherapeuten üben einen Beruf aus, der durch eine
wissenschaftliche Qualifikation und die daran gebundene Zulassung geschützt
ist. Wer das will, muss dem damit verbundenen Anspruch auch gerecht werden. Man
kann die Wissenschaftlichkeit der Psychotherapie nicht nur im berufsständischen
Interessenkampf bemühen, im therapeutischen Alltag aber als “kalt”
und “gefühllos” beiseitelegen. Genau diese Empfehlung formuliert
Giovanni Maio und spricht damit offenbar nicht wenigen Psychotherapeuten und
einigen ihrer Funktionäre aus dem Herz, wie manche Leserbriefe auf seinen Artikel
in Heft 3 des Psychotherapeutenjournals erkennen lassen.
Schon der Titel von Maios Beitrag zeigt,
worauf er hinaus will: “Verstehen nach Schemata und Vorgaben? Zu den
ethischen Grenzen einer Industrialisierung der Psychotherapie“. Wer möchte
schon eine industrialisierte Psychotherapie, also Psychotherapie von der
Stange, die nicht auf die individuellen Bedürfnisse von Patienten und
Patientinnen eingeht? Kein Mensch. Es geht also um Polemik, um Polemik gegen
den Ansatz einer evidenzbasierten Psychotherapie. Da wird die Behandlung in
einer “unverwechselbaren Beziehung” der “Anwendung von Techniken
und standardisierten Methoden” gegenübergestellt, da ist die Rede vom
“Qualitätsmanagementdiktat”, vom “ökonomisch durchgetrimmten
System” statt einem “sinnstiftenden Dienst am Menschen”. Das
alles sei auf einen Geist der “Machbarkeit” zurückzuführen, obwohl
doch “Geist und Seele des Menschen nicht auf kausaldeterminierte
Gesetze” zurückgeführt werden könnten. Die Frontstellung ist klar: Wissenschaft
versus Menschlichkeit. Man liest dann weiter so unsägliche Sätze wie “Jede
doppelblind kontrollierte Studie macht aus dem Patienten tendenziell ein
Objekt”. Wie viele doppelblind kontrollierte Psychotherapiestudien hat
Herr Maio wohl gelesen? Meint er z.B. Studien, bei denen die Patienten nicht
wissen, ob sie psychoanalytisch oder verhaltenstherapeutisch behandelt werden –
und der Therapeut das auch nicht weiß? Böse Zungen behaupten, das käme im
Therapiealltag gar nicht so selten vor.
Was ist Therapie? Für Maio nicht nur eine
Behandlung von Beschwerden. Er sieht Therapie als “totalen Dienst am
Menschen”. Es gehe darum, “den Menschen am Ende zu öffnen für das
Grundgefühl der Dankbarkeit für das Leben schlechthin”, um “Annahme
der Welt in ihrem Sosein”. Anpassung als Therapieziel? Der berühmte
Psychiatriereformer Franco Basaglia hat in diesem Zusammenhang einmal von
“Befriedungsverbrechen” gesprochen, und angesichts der Zustände in
der Welt wäre der Titel von Stéphane Hessels kleinem Buch “Empört
Euch!” manchmal gewiss das bessere Therapieziel.
Methodisch setzt Maio nicht auf
wissenschaftlich fundierte Therapiemethoden, sondern auf das persönliche
Verhältnis zwischen Therapeut und Patient – als ob dessen Bedeutung nicht
gerade in Psychotherapiestudien nachgewiesen worden wäre – , darauf, dass der
Therapeut auf die “einzigartige Lebensgeschichte” der Patienten
eingeht – als ob die evidenzbasierte Psychotherapie dagegen etwas einzuwenden
hätte -, und er betont, dass es dazu einen “dem Objektivierungsprozess
entzogenen Raum” brauche. Das darf man gerne zweimal lesen. Der objektiven
Überprüfung entzogen, kann dann jeder machen, was er will, Hauptsache die
Haltung stimmt. Was ist das anderes als die Homöopathisierung
der Psychotherapie?
Joseph Kuhn
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