Ein Beitrag von Krista Federspiel
Hurra, schulfrei! Kaum hat die Schule begonnen, dürfen über 500 Wiener Kinder am 14. September einen ganzen Vormittag Schule schwänzen. Nein, stimmt nicht ganz, es geht ja um eine Bildungs- und Erlebnisveranstaltung in der „7. Energethikerstadt“ mit Fahrt im Praterzug und acht Workshops! Und was die Kids da alles lernen: etwa aus einem bunten Angebot an „Edelsteinen“ – gemeint sind wohl Halbedelsteine – intuitiv einen passenden auszuwählen, für die Konzentration, für’s Lernen und Entspannen. Solcherart steinreich werden die Kinder dann in der Schule dem Unterricht sicher besser folgen können. Auch Body talk bietet das Sonderprogramm an: Hier üben die Volksschüler das „Tippen der Cortexe“, damit „die beiden Gehirnhälften besser miteinander kommunizieren“. Das gleiche Ziel soll auch mit dem Wandern durch ein Labyrinth erreicht werden. Unter einem anderen Namen, dem der Kinesiologie, ist diese hanebüchene Theorie seit langem bekannt und täuscht unkritischen Pädagogen wirksame Lernhilfe vor. Oh, da gibt es diese Methode ein viertes Mal unter einem weiteren Etikett: „One Brain System“: Auch hier machen Kinder simple Körperübungen, um „Körper und Gehirn zu koordinieren“. Im Jin Shin Jyutsu lernen Lehrer mit ihren Schülerinnen „das Halten der Hände an sich selbst und anderen“, um sich selbst „besser kennen zu lernen“. Andere „Pädagogen“ stellen den Kindern den „Mentalkörper“ und die Eutonie-„Pädagogik“ vor, auch mit tibetischen Klangschalen werden sie in Stimmung gebracht. Der Höhepunkt ist wohl eine „Reise in eine neue Dimension“. Wohin wird diese wohl gehen, in die vierte, fünfte oder sechste Dimension?
Sie haben es erraten: Hier sind “Energethiker” am Werk, die die Kinder neugierig machen und künftige Kunden heranziehen wollen. Wir fragen beim Stadtschulrat nach, ob dies berechtigt, den normalen Unterricht ausfallen zu lassen:
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Offener Brief an
Frau Mag. Dr. Susanne Brandsteidl Präsidentin des Statdschulrats Wien Wipplingerstraße 28 1010 WienWien, am 7. September 2012
Sehr geehrte Frau Dr. Brandsteidl,
mit Verwunderung haben wir – die Gesellschaft für kritisches Denken – feststellen müssen, dass Schulkinder für fragwürdige Werbeaktionen schulfrei bekommen.
Es geht um die „7. Energethikerstadt“, eine Werbeveranstaltung, bei der am Freitag, dem 14. September, ein ganzer Vormittag dem Sonderprogramm „Kids4energy“ für schulpflichtige Kinder von 6-10 Jahren gewidmet ist, wie bereits im Jahr 2011.
Das Event-Programm wurde an alle Schulen geschickt, und obwohl daraus hervorgeht, dass es sich bei den acht Workshops um esoterische Werbeangebote handelt, sind 522 Kinder angemeldet worden.
Durchführende sind sogenannte Energethiker. Dabei handelt es sich um ein freies Gewerbe, für dessen Ausübung keinerlei Vorbildung notwendig ist. Energethiker dürfen laut Statuten mit Menschen arbeiten, aber ausschließlich Methoden anwenden, für die es keine Belege und keine wissenschaftliche Grundlage gibt. Was Energethiker tun, hat demnach keine seriöse Grundlage.
Das trifft auch auf das Kids4energy-Programm zu. Hier werden Kinder mit verschiedenen Varianten der Kinesiologie und anderen esoterischen Methoden vertraut gemacht. Unter anderem auch mit der „Eutonie-Pädagogik“ – wobei die Durchführenden allerdings keine pädagogische Ausbildung haben.
Als Lernhilfe sind all diese Angebote nachweislich nicht geeignet.
Das Ziel der Volksschule ist Kulturtechniken zu lehren – Lesen, Schreiben, Rechnen. Sind auch die Vermittlung von Aberglauben und Exkursionen in esoterische Gedankenwelten vom Lehrplan vorgesehen?
Um Informationen ersucht die GkD, Gesellschaft für kritisches Denken.
Mit freundlichen Grüßen
i.V. Dr. Krista Federspiel
[…]
Information:
www.energethikerstadt.at/energethikerstadt-wien-2012/kids4energy [Anm.: Dieser link ist derzeit (12.9.2012) tot.]
Näheres zu den Methoden:
https://de.wikipedia.org/wiki/kinesiologie
https://scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2011/09/12/brain-gym-an-der-uni-wien-ein-offener-brief
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[Update, 12.9.2012] Das Büro der Stadtschulrätin hat den Erhalt des Briefes bestätigt und eine Stellungnahme des zuständigen Abteilungsleiters angekündigt.
[Nachtrag, 13.9.2012] Ich (UB) habe meine kurze Einleitung durch den ursprünglichen Text von Krista Federspiel ersetzt, der zwischenzeitlich verloren gegangen war.]
[Update, 13.9.2012] Wir haben die folgende Stellungnahme erhalten …
Sehr geehrte Frau Dr. Federspiel,
herzlichen Dank für Ihren „Veranstaltungshinweis“ und Ihre Stellungnahme bezüglich „kids4energy“. Ich darf Sie darüber informieren, dass die Wiener Volksschulen darüber informiert wurden, dass die Veranstaltung unsererseits nicht unterstützt wird.
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