Kaum war der Nominierungsprozess für das Goldene Brett 2012 gestartet, wurden sowohl die Europa-Universität Viadrina als auch der dort einschlägig tätige Prof. Harald Walach mehrfach nominiert. Die von Walach gelobte Kozyrev-Spiegel Masterarbeit und sein Evaluierungsdesaster waren auf den Scienceblogs bereits Thema. Doch wer ist dieser Professor Walach und was führte ihn eigentlich an die Viadrina? Interessante Einblicke dazu bietet ein Hintergrundartikel, den Dr. Matthias Mindach, niedergelassener Arzt für Neurologie und Psychiatrie in Frankfurt (Oder), bereits Monate vor diesen Ereignissen verfasst und uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
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Zirkuläre Medizin an der Viadrina
Ein Gastbeitrag von Matthias Mindach
And folly, doctor-like, controlling skill
Shakespeare, Sonnet LXVI
Vor einiger Zeit war zu erfahren, dass die Viadrina einen Studiengang Komplementärmedizin eingerichtet habe. Als nichtsahnender Laie meint man zunächst, das käme, weil gewöhnliche Medizin zu teuer ist; aber vielleicht gibt es auch noch andere Hintergründe:
„Das Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat seit dem 1. Januar 2010 einen neuen Geschäftsführenden Leiter: Prof. Dr. Dr. Harald Walach. Der klinische Psychologe, Philosoph und Wissenschaftshistoriker wurde am 21. Dezember 2009 durch den Präsidenten der Europa-Universität Viadrina, Dr. Pleuger, zum Professor für Forschungsmethodik komplementärer Medizin und Heilkunde ernannt. Walach besetzt die erste Professur des IntraG, die aus Zuwendungen der Biologische Heilmittel Heel GmbH finanziert wird.“[1]
Zunächst: wer ist Herr Walach?
„Walach, Harald Dr. Dr. Dipl. Psych. Jahrgang 1957. Tätigkeit in der Erwachsenenbildung, Promotion in klinischer Psychologie und in Wissenschaftstheorie und -geschichte, Habilitation in Psychologie, Ausbildung in Psychosynthese, langjährige analytische Supervision. Arbeitsschwerpunkte: Effektivität komplementärmedizinischer Maßnahmen, Theoriebildung, empirische und experimentelle Arbeiten zu transpersonaler Psychologie und Grenzgebieten; [ehemaliger, Anm.] Leiter der Arbeitsgruppe “Evaluation, Naturheilverfahren und Umweltmedizin” und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg. [Ehemaliges, Anm.] Mitglied im Vorstand des Deutschen Kollegiums für Transpersonale Psychologie (DKTP).
Publikationen (Auswahl)
- Homöopathie als Basistherapie. 1986
- So wird Gott in Dir geboren. 1990
- Notitia experimentalis Dei. Erfahrungserkenntnis Gottes. Studien zu Hugo de Balmas. 1994 […]“[2]
Aha. Was ist Inhalt der transpersonalen Psychologie, in deren Gremium Walach Vorstandsmitglied war? „Die Einbeziehung spiritueller und religiöser Erfahrung in die Forschung“ etc. [www.dktp.org], m. a. W. Nahtoderfahrung, Reinkarnation, Geistheilen o. ä. Auf der Tagung des DKTP 2006 standen Vorträge wie „KriegerIn des Lichts, der Liebe und des Lebens“ von Winfried Wagner oder „Namen Gottes – Konzepte und Wort in der Psychotherapie“ von Sylvia Straub auf dem Programm, worauf sich in der Tat die Frage erhebt: „Brauchen spirituell orientierte PsychotherapeutInnen wirklich noch Konzepte wie ‚Gesundheit’ und ‚Krankheit’?“; eine Frage, die – hoffentlich – von dem Vorsitzenden, Prof. Dr. Wilfried Belschner, in seinem gleichnamigen Vortrag beantwortet worden ist. Die Tagung 2008 hatte das klangvolle Motto „Ekstase. Phänomen – Erfahrung – Heilung“, befasste sich mit Chakren-Akupunktur, Gong-Ritualen als Tor zu inneren Räumen, Schamanentanz u. ä. und hat offenbar alle Unklarheiten beseitigt, denn die Tagung 2009 ist ausgefallen und eine neue nicht angekündigt [Stand August 2010].
Aber lassen wir Prof. Walach selbst zu Wort kommen. Die folgenden Zitate sind einer aktuellen grundsätzlichen Arbeit zur Stellung der Komplementärmedizin[3] entnommen:
„Das vorherrschende Forschungsparadigma [der Medizin] kann sein Versprechen, wissenschaftlich fundierte Aussagen für den Einzelfall vorzulegen […][4], nur dann einlösen, wenn es das implizite Dogma vom Alleinseligmachungsanspruch der randomisierten Studie verlässt. Die hellen Köpfe in der EBM [evidenzbasierte Medizin]-Szene arbeiten daran bereits, aber der Durchschnittsarzt, Durchschnittswissenschaftler, Durchschnittsregulator versteht EBM allemal noch anders. Insofern hieße dann ‚integrative medicine’, das aus der Komplementärmedizin zu übernehmen, was durch die Mühle der kontrollierten Studie getrieben wurde und Bestand hatte. Das ist nicht falsch, aber auch nicht sonderlich klug. Denn dabei bleibt nur Erkenntnis über die minimal möglichen Effekte einer Therapie in einer großen Gruppe von Personen im Durchschnitt als Erkenntnis übrig. Und dies ist eine relativ langweilige Erkenntnis.“
Ich übersetze: kontrollierte Untersuchungen sind eigentlich überflüssig, weil im Einzelfall alles anders sein kann. Die klügsten Wissenschaftler haben das schon eingesehen, aber die dumpfe Masse noch nicht. Die wissenschaftliche Überprüfung der Paramedizin ist einfallslos bis dümmlich, weil sie aus dem Zauber der Geistheilung eine stumpfe, gewöhnliche, langweilige Therapie wie jede andere auch machen würde.
Indessen: das „vorherrschende Forschungsparadigma“ der kontrollierten Studie ist nicht ein willkürliches, auswechselbares Paradigma, sondern es ist synonym mit der Entwicklung der Therapie zur Wissenschaft. Die Alternative dazu ist nicht die „wissenschaftlich fundierte Aussage über den Einzelfall“, sondern die Beliebigkeit. Die Einteilung von Therapien in „langweilig/aufregend“ ist ein Novum, doch bleiben letzte Zweifel, ob sie sich gegenüber herkömmlichen Einteilungen wie z.B. in „wirksam/unwirksam“, „geprüft/ungesichert“ oder „riskant /nebenwirkungsarm“ durchsetzen wird.
Weiter im Walachschen Text:
„Patienten suchen Komplementärmedizin eben genau, weil sie sich mit ihren individuellen Anliegen bei konventionellen Ärzten nicht gesehen fühlen, das haben uns viele Studien gezeigt. Sie wollen, dass ihre seelische Situation berücksichtigt wird, dass man verschiedene Ebenen ihres Daseins bei der Behandlung mit einbezieht und eben genau nicht kompartimentiert. […] Ob jemand, der durch die derzeit übliche medizinische Ausbildung gegangen ist, überhaupt noch ganzheitlich denken, geschweige denn handeln kann ohne extensive Weiter- oder Rückbildung seiner ‚déformation professionnelle’, das sei einmal ganz dahingestellt.“ [5]
Was ist das eigentlich, das „Seelische“, in der Glaubensmedizin westlicher[6] Prägung? Es geht natürlich nicht um tatsächliche intrapsychische Vorgänge, sondern um die unreflektierte Vorstellung, die der Patient bzw. sein Therapeut von ihnen hat; häufig wird es sich um Fremdattribuierungen handeln. Der Kern dieser Art von Medizin ist es, Kapital aus den Fehlerwartungen des Patienten zu schlagen und diese in eine Richtung zu lenken, die den Absatz von Nahrungsergänzungsmitteln, Colostrum, Edelsteinen usw. bis hin zur Dreckapotheke (Excrementum caninum) möglich macht[7]. Wenn man eine medizinische Ausbildung durchlaufen hat, ist man jedenfalls besser in der Lage zu begreifen, welche Ansprüche realistisch sind und welche nicht. Es fällt dann schwerer, ein Potemkinsches Dorf aufzubauen, wo ein leerer Raum ist.
„Das implizite Maschinenparadigma, das seit Descartes die Medizin beherrscht, hat uns sehr gute Einsichten beschert, was die Funktionsweise des Körpers angeht. Seine umgekehrte Anwendung zur Behandlung von Störungen ist jedoch nur begrenzt erfolgreich. Zweifelsohne ist es sehr erfolgreich in der Akutversorgung, in der Notfallmedizin, Chirurgie und Hygiene. In anderen Bereichen, vor allem wenn es um chronisch funktionelle Störungen oder chronisch degenerative Erkrankungen geht, beeindruckt mich der sogenannte ‚medizinische Fortschritt’ nicht im Geringsten. Da könnte vermutlich die konventionelle Medizin mehr von den traditionellen Medizinsystemen lernen als umgekehrt.“
Das „Maschinenparadigma“ wird gern als Pappkamerad benutzt, um sich auf die Seite von Hamlet zu schlagen („Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt“); das mitfühlende Herz gegen die seelenlose Apparatemedizin. Zweifellos gibt es Gefühlskälte in der Schulmedizin, doch sie ist nicht Folge der Wissenschaft. Auch die Dichotomie der Therapiewirksamkeit zwischen akuten und chronischen Erkrankungen hat keine empirische Basis: die akute Hirnmassenblutung ist trotz medizinischen Fortschritts weiterhin desaströs, und bei der chronischen Parkinsonkrankheit kann man mit Medikamenten sehr lange sehr gut helfen. „Chronische funktionelle Störungen“ sind somatoforme, mithin psychische Störungen, für die Psychotherapie die angemessene Therapieform wäre (merkwürdig, dass ein Psychologe dies ignoriert).
Was soll geschehen, oder vielmehr, nicht geschehen?
„Das Andere, das Widerständige soll ‚integriert’ und damit gezähmt werden. Durchs Zähmen wird es handhabbar. Die Fremdheit, das Wilde wird assimiliert und damit der vorherrschenden Denkschule einverleibt. […] Damit wird das eigentlich zum Widerspruch Reizende, das, was so fremd ist, dass man innehalten muss, banalisiert. Die gesellschaftlich-wissenschaftliche Funktion der Komplementärmedizin ist hingegen genau diejenige, immer das je Andere, und auch das noch ganz Andere der konventionellen Medizin zu sein. Nur so übt sie jenen Druck aus, der die vorherrschenden Konzepte zur Reflexion und die gängige Praxis zur Revision drängt. Eine Medizin ohne das Andere ist wie jede menschliche Praxis ohne Widerpart nicht nur langweilig, sondern zum inneren Tod verurteilt. Das je Andere, ganz Andere zwingt zur Auseinandersetzung. Diese ist Motor der Veränderung und des Wachsens.“
Auch hier wieder: was das „Andere“ nun genau ist, das bleibt vornehm im Dunkel. Durch die Überprüfung verlieren die Außenseitermethoden den Nimbus des Astralen und geraten in den Ruch des Gewöhnlichen (sofern sie diesen Waschgang überleben). So erklärt sich die plötzliche Sorge um die „konventionelle“ wissenschaftliche Medizin – sie ist der graue, eintönige Hintergrund, von dem sich das „Wilde, Ungezähmte“ vorteilhaft abheben soll. Doch ist diese Sorge unbegründet, denn schließlich ist auch die Physik nicht des inneren Todes gestorben, obwohl nach Kopernikus der Geozentrismus noch immer nicht wiedergekehrt ist. Ohnehin handelt es sich hier um eine rein rhetorische Volte, denn selbst wenn das – aussichtslose – Vorhaben gelänge, das bisherige „Andere“ zu verifizieren, würde der Nachschub an absurden Ideen nicht abreißen.
Medizin findet nicht im luftleeren Raum statt, und das gilt für die Schulmedizin wie für ihre schillernden Ränder. Wissenschaftlichkeit ist der wichtigste Prüfstein, an dem gemessen werden kann, ob Heilungs- oder gar Heilsansprüche objektiv gerechtfertigt sind oder ob sich hinter ihnen nicht ausschließlich ideologisch verbrämte ökonomische Interessen verbergen.
Doch kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Was tut die Firma Heel, die die Professur finanziert? Fragen wir sie selbst, und anschließend die Presse:
„Heel gehört in Deutschland zu den führenden Unternehmen in der naturheilkundlichen Gesundheitsversorgung mit Arzneimitteln. Ziel der Organisationseinheit Heel Deutschland ist es, homöopathische Kombinationsarzneimittel zu entwickeln und zu vertreiben, um die Gesundheit von Mensch und Tier in Deutschland zu verbessern.“[8]
„Schon der Firmengründer, der Berliner Arzt Hans-Heinrich Reckeweg, experimentierte mit diesen Tinkturen, kombinierte sie und entwickelte so die Lehren Samuel Hahnemanns weiter [zur Homotoxikologie, seiner eigenen Variante der Homöopathie]. 1936 gründete er Heel und stellte Arzneimittel her, die anders als traditionelle homöopathische Produkte gleich aus mehreren Wirkstoffen bestanden. Solche sogenannten Komplexprodukte produziert Heel bis heute.
Nach dem Krieg baute Reckeweg sein Werk in Baden-Baden wieder auf. Heute ist Heel Teil der Vermögensholding Delton, die dem Milliardär und BMW-Großaktionär Stefan Quandt gehört. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 1200 Mitarbeiter, 750 davon arbeiten im Stammwerk Baden-Baden. … Heel ist nach dem Marktführer Boiron aus Frankreich der zweitgrößte europäische Hersteller homöopathischer Arzneimittel.“[9]
Das Homöopathikum Vertigo Heel® ist das marktführende Produkt gegen Schwindelzustände.[10]
Kommen wir zum Schluss: die Finanzierung der Professur stellt sich als eine weitsichtige unternehmerische Entscheidung dar. Es sieht so aus, als wäre die Gefahr gering, dass zukünftige Arbeitsergebnisse des Institutsleiters der Vermarktung der Produkte von Heel hinderlich werden könnten. Ist es das, was gemeint ist, wenn von „Drittmitteln für die universitäre Forschung“ die Rede ist? War die Stelle eigentlich ausgeschrieben?
Dr. Matthias Mindach
[1] https://www.psychophysik.com/h-blog/?p=9380. Die Website der Universität selbst weist zwar auf die „Beijinger Deklaration der Weltgesundheitsorganisation (WHO)“ hin, nach der „natürliche und traditionelle Medizinsysteme bevorzugt beforscht und auf ihre Nützlichkeit hin untersucht werden sowie dort – wo sinnvoll – in die medizinische Versorgung der Mitgliedsländer integriert werden sollen“, aber dieses Programm ist erstens dem Institutsleiter selbst nicht genehm, und zweitens blieb so kein Platz mehr, die Finanzierung dieses Instituts zu erwähnen. Mir ist das übrigens auch nicht genehm, aber aus anderen Gründen. Kürzer und schlagender als Mark Crislip kann man die „Integrative Medizin“ kaum charakterisieren: „If you integrate fantasy with reality, you do not instantiate reality. If you mix cow pie with apple pie, it does not make the cow pie taste better; it makes the apple pie worse.“
[3] Walach H: „Integrative Medizin“ – die Kolonialisierung des Anderen und die Notwendigkeit des ganz Anderen. Forsch Komplementmed 2010;17:4–6
[4] Ein Verweis auf: “Walach H et al: Circular instead of hierarchical – methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Med Res Methodol 2006;6:29“, wo die Sinnhaftigkeit der Evidenzhierarchie (z. B.: kontrollierte Untersuchungen gelten mehr als Einzelfallberichte oder unbelegte Expertenmeinung) in Frage gestellt wird.
[5] Schon der Philosoph Paul Feyerabend formulierte: „Und wie oft geschieht es doch, dass das stolze und dünkelhafte Urteil eines Fachmanns von einem Laien zurechtgewiesen wird!“ (Wider den Methodenzwang, S. 394f). Feyerabend wurde übrigens zum Gefangenen seiner eigenen Philosophie, indem er sich von der Erdbebenvorhersage eines Laien terrorisieren ließ.
[6] Im Osten ist es eher noch schlimmer: „One of the curses of India, as of other poor countries, is the quack medicine man, who fleeces the sufferer by promises of miraculous healing.“ (Christopher Hitchens)
[7] „Homoeopathy has proved lucrative, and so long as it continues to be so will surely exist,—as surely as astrology, palmistry, and other methods of getting a living out of the weakness and credulity of mankind and womankind.“ (Oliver Wendell Holmes, Medical Essays, Preface to the New Edition, 1891)
[8] www.heel.de, die Webpräsenz der Firma Heel
[10] https://www.delton.de/files/publikationen/delton_geschaeftsbericht_2002.pdf. Schulmedizin, wissenschaftliche Medizin und evidenzbasierte Medizin überschneiden sich zwar, sind aber durchaus nicht deckungsgleich.
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