Über Zirkuläre Medizin an der Viadrina hat Dr. Matthias Mindach, niedergelassener Arzt für Neurologie und Psychiatrie in Frankfurt (Oder), in seinem letzten Gastbeitrag hier geschrieben. Ich freue mich, heute einen weiteren Gastbeitrag von Dr. Mindach vorstellen zu können. Er beschäftigt sich mit der vor allem von Homöopathenseite seit Jahren verbreiteten Forderung nach “Pluralismus” in der Medizin. Was steckt hinter diesem scheinbar harmlosen Begriff? Dr. Mindach analysiert die Hintergründe auf der Basis zweier Interviews mit dem als Homöopathiefreund bekannten Pluralismus-Vertreter Prof. Robert Jütte. Erschienen ist der folgende Artikel bereits in Perfusion 2012; 25; 71-77; die Veröffentlichung hier erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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Über den Sinn des Pluralismus in der Medizin am Beispiel der Homöopathie
Ein Gastbeitrag von Matthias Mindach
In dem folgenden Text sollen weder die Grundthesen der von Samuel Hahnemann erfundenen Homöopathie noch deren Widersinnigkeiten systematisch dargelegt werden. Hierzu gibt es ausreichend Literatur[1]. Mein Ausgangspunkt ist der Umstand, dass die Homöopathie trotz mittlerweile 200jähriger Misserfolgsgeschichte (was die Ergebnisse ihrer Überprüfung angeht) unverdrossen weiter propagiert wird[2]. Was bewegt ihre Apologeten, an ihr festzuhalten?
Das eigentlich Faszinierende an der Homöopathie ist, dass es sie immer noch gibt. Es hat verschiedene Bemühungen gegeben, das Unerklärbare zu erklären. Eine der naheliegendsten ist 1891 kurz und präzise so formuliert worden: „Die Homöopathie hat sich als lukrativ erwiesen, und solange dies so bleibt, wird sie sicher weiter existieren – ebenso sicher wie Astrologie, Handlesen und andere Methoden, seinen Lebensunterhalt aus der Anfälligkeit und Leichtgläubigkeit des menschlichen, insbesondere des weiblichen Geschlechts zu ziehen.“[3]
Natürlich ist dies nicht die einzige kursierende Erklärung. Die hauptsächliche konkurrierende Meinung geht etwa so: Das Besondere, die einzigartige Erkrankung des Hilfesuchenden mit ihrer Fülle der verschiedenen Symptome, Beschwerden, Befindlichkeitsstörungen und ängstigenden Erscheinungen werde von der seelenlosen Apparatemedizin nicht zur Kenntnis genommen, hingegen von der Ganzheitlichkeit der Homöopathie; überdies zeichne sich die Homöopathie durch Sanftheit, Rückgriff auf Erfahrung usw. usf. aus, und wer heile, habe recht. Diese Auffassung begegnet in verschiedenen Spielarten und kann je nach Belieben mit Hinweisen auf die verkrusteten Strukturen des Wissenschaftsbetriebs oder mit der Andeutung einer Verschwörung der Pharma-Industrie angereichert sein; der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Es erhebt sich die Frage, ob und inwieweit diese beiden Erklärungen (Homöopathie existiert, weil sie sich lohnt vs. Homöopathie existiert, weil sie die Defizite der Schulmedizin behebt) miteinander zusammenhängen, m. a. W. ob letztere eine Schutzbehauptung ist. Dies ist in der Konsequenz gleichbedeutend mit der Frage nach dem Unterschied zwischen Fehlwahrnehmung aufgrund von Naivität – auf die ein jeder ein Anrecht hat, zumindest eine Zeit lang – und Unehrlichkeit. Der Professor für Alternativmedizin Edzard Ernst formuliert das so: „Über viele Jahre habe ich gedacht, die Homöopathen seien einfach ein bisschen überenthusiastisch, ein bisschen verblendet und realitätsfremd … Aber inzwischen bin ich mir sicher, dass viele lügen wie gedruckt. Die wissen es besser, was die Wissenschaft angeht. Die haben sich ein bisschen Kenntnis über wissenschaftliche Arbeit angeeignet und nutzen das, um Wissenschaft zu kritisieren.“[4] Ebenso aber, wie es keine sichere Unterscheidungsmöglichkeit zwischen echter Simulation und konversionshysterischer (politisch korrekt: histrionischer) unbewusster Symptombildung gibt, gibt es auch hier kein sicheres Kriterium. Man ist also auf Indizien angewiesen. Es ist natürlich simpel, wenn auch nicht umsonst, die lautstärksten Kämpfer[5] für die Homöopathie danach zu fragen, womit genau sie ihr Geld verdienen. Aufschlussreicher aber wird es sein, die Äußerungen von gemäßigten Akteuren zu untersuchen.
Professor Robert Jütte ist seit 1990 Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, Dozent an mehreren Universitäten und Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, was a priori für Seriosität bürgen sollte. Auch ist er, zusammen mit dem langjährigen Präsidenten der Bundesärztekammer, Mitglied im „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“. Die folgenden Zitate sind zweien seiner Interviews entnommen [6][7]:
„Die Homöopathie stützt sich auf drei therapeutische Grundprinzipien: das Simile- oder Ähnlichkeitsprinzip, nach dem ein Patient mit einem Mittel behandelt wird, das beim Gesunden ähnliche Symptome hervorruft, wie sie der Kranke zeigt; das Prinzip, dass die Arzneimittelprüfung am Gesunden zu erfolgen hat und nicht erst am Krankenbett; und schließlich das Prinzip der individuellen Krankheitserfassung. Das ist es, was die Homöopathie für Patienten bis heute so attraktiv macht. Der Patient wird als Individuum gesehen und seine Symptomatik ganz individuell gedeutet.
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