Über Zirkuläre Medizin an der Viadrina hat Dr. Matthias Mindach, niedergelassener Arzt für Neurologie und Psychiatrie in Frankfurt (Oder), in seinem letzten Gastbeitrag hier geschrieben. Ich freue mich, heute einen weiteren Gastbeitrag von Dr. Mindach vorstellen zu können. Er beschäftigt sich mit der vor allem von Homöopathenseite seit Jahren verbreiteten Forderung nach “Pluralismus” in der Medizin. Was steckt hinter diesem scheinbar harmlosen Begriff? Dr. Mindach analysiert die Hintergründe auf der Basis zweier Interviews mit dem als Homöopathiefreund bekannten Pluralismus-Vertreter Prof. Robert Jütte. Erschienen ist der folgende Artikel bereits in Perfusion 2012; 25; 71-77; die Veröffentlichung hier erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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Über den Sinn des Pluralismus in der Medizin am Beispiel der Homöopathie
Ein Gastbeitrag von Matthias Mindach
In dem folgenden Text sollen weder die Grundthesen der von Samuel Hahnemann erfundenen Homöopathie noch deren Widersinnigkeiten systematisch dargelegt werden. Hierzu gibt es ausreichend Literatur[1]. Mein Ausgangspunkt ist der Umstand, dass die Homöopathie trotz mittlerweile 200jähriger Misserfolgsgeschichte (was die Ergebnisse ihrer Überprüfung angeht) unverdrossen weiter propagiert wird[2]. Was bewegt ihre Apologeten, an ihr festzuhalten?
Das eigentlich Faszinierende an der Homöopathie ist, dass es sie immer noch gibt. Es hat verschiedene Bemühungen gegeben, das Unerklärbare zu erklären. Eine der naheliegendsten ist 1891 kurz und präzise so formuliert worden: „Die Homöopathie hat sich als lukrativ erwiesen, und solange dies so bleibt, wird sie sicher weiter existieren – ebenso sicher wie Astrologie, Handlesen und andere Methoden, seinen Lebensunterhalt aus der Anfälligkeit und Leichtgläubigkeit des menschlichen, insbesondere des weiblichen Geschlechts zu ziehen.“[3]
Natürlich ist dies nicht die einzige kursierende Erklärung. Die hauptsächliche konkurrierende Meinung geht etwa so: Das Besondere, die einzigartige Erkrankung des Hilfesuchenden mit ihrer Fülle der verschiedenen Symptome, Beschwerden, Befindlichkeitsstörungen und ängstigenden Erscheinungen werde von der seelenlosen Apparatemedizin nicht zur Kenntnis genommen, hingegen von der Ganzheitlichkeit der Homöopathie; überdies zeichne sich die Homöopathie durch Sanftheit, Rückgriff auf Erfahrung usw. usf. aus, und wer heile, habe recht. Diese Auffassung begegnet in verschiedenen Spielarten und kann je nach Belieben mit Hinweisen auf die verkrusteten Strukturen des Wissenschaftsbetriebs oder mit der Andeutung einer Verschwörung der Pharma-Industrie angereichert sein; der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Es erhebt sich die Frage, ob und inwieweit diese beiden Erklärungen (Homöopathie existiert, weil sie sich lohnt vs. Homöopathie existiert, weil sie die Defizite der Schulmedizin behebt) miteinander zusammenhängen, m. a. W. ob letztere eine Schutzbehauptung ist. Dies ist in der Konsequenz gleichbedeutend mit der Frage nach dem Unterschied zwischen Fehlwahrnehmung aufgrund von Naivität – auf die ein jeder ein Anrecht hat, zumindest eine Zeit lang – und Unehrlichkeit. Der Professor für Alternativmedizin Edzard Ernst formuliert das so: „Über viele Jahre habe ich gedacht, die Homöopathen seien einfach ein bisschen überenthusiastisch, ein bisschen verblendet und realitätsfremd … Aber inzwischen bin ich mir sicher, dass viele lügen wie gedruckt. Die wissen es besser, was die Wissenschaft angeht. Die haben sich ein bisschen Kenntnis über wissenschaftliche Arbeit angeeignet und nutzen das, um Wissenschaft zu kritisieren.“[4] Ebenso aber, wie es keine sichere Unterscheidungsmöglichkeit zwischen echter Simulation und konversionshysterischer (politisch korrekt: histrionischer) unbewusster Symptombildung gibt, gibt es auch hier kein sicheres Kriterium. Man ist also auf Indizien angewiesen. Es ist natürlich simpel, wenn auch nicht umsonst, die lautstärksten Kämpfer[5] für die Homöopathie danach zu fragen, womit genau sie ihr Geld verdienen. Aufschlussreicher aber wird es sein, die Äußerungen von gemäßigten Akteuren zu untersuchen.
Professor Robert Jütte ist seit 1990 Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, Dozent an mehreren Universitäten und Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, was a priori für Seriosität bürgen sollte. Auch ist er, zusammen mit dem langjährigen Präsidenten der Bundesärztekammer, Mitglied im „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“. Die folgenden Zitate sind zweien seiner Interviews entnommen [6][7]:
„Die Homöopathie stützt sich auf drei therapeutische Grundprinzipien: das Simile- oder Ähnlichkeitsprinzip, nach dem ein Patient mit einem Mittel behandelt wird, das beim Gesunden ähnliche Symptome hervorruft, wie sie der Kranke zeigt; das Prinzip, dass die Arzneimittelprüfung am Gesunden zu erfolgen hat und nicht erst am Krankenbett; und schließlich das Prinzip der individuellen Krankheitserfassung. Das ist es, was die Homöopathie für Patienten bis heute so attraktiv macht. Der Patient wird als Individuum gesehen und seine Symptomatik ganz individuell gedeutet.
Ärzte Zeitung: Und was war das Umstrittene an Hahnemanns Konzept?
Jütte: Das bis heute wirklich Umstrittene sind die hohen Verdünnungen. Sie beruhen auf einem empirischen Zufallsfund Hahnemanns und sind das Ergebnis von Arzneimittelprüfungen an gesunden Menschen. Hahnemann stellte fest, daß der Effekt umso größer wurde oder sich sogar ein anderer Effekt ergab, je mehr er die pflanzlichen Giftstoffe verdünnte. Hingegen ist das Ähnlichkeitsprinzip auch in der heutigen Schulmedizin nicht mehr prinzipiell umstritten.“
In der Schulmedizin gibt es überhaupt kein „Ähnlichkeitsprinzip“ – die Aussage, es sei nicht umstritten, wäre also formal korrekt. Innerhalb der Homöopathie selbst aber ist man sich nicht ganz sicher[8]. Natürlich ließen sich Beispiele finden, aber niemand sonst würde auf die Idee kommen, eine Therapie für aussichtsreicher zu halten, weil sie der Krankheit „ähnlicher“ ist als eine andere. Einigkeit herrscht auch über die Arzneimittelprüfung beim Gesunden – nur geht es dabei um Sicherheit und Verträglichkeit, nicht um die Wirkung (klinische Phase I des heute üblichen Procederes für die Einführung von neuen Wirkstoffen). Auf die empirischen Befunde Hahnemanns kommen wir gleich noch zurück. Einstweilen ist noch klarzustellen, was das Wesen der Homöopathie ausmacht:
„Meiner Meinung nach kann es keine Homöopathie geben, die nicht auf den Prinzipien beruht, die von Hahnemann formuliert worden sind. … Schon zu Hahnemanns Lebzeiten gab es Dissidenten (die ‚schändlichen‘ Pseudo-Homöopathen in Leipzig, die von Hahnemann der medizinischen Ketzerei angeklagt wurden) … Hahnemann versuchte den Papst für seine Anhänger zu spielen, doch er war damit nicht erfolgreich, wie wir wissen … Die Homöopathie mit anderen Denkrichtungen oder gar mit der Allopathie zu vermengen … bedeutet, die homöopathische Identität zu verlieren. … Andererseits, es gibt nicht nur eine Wahrheit, weder in der Homöopathie noch in anderen therapeutischen Systemen. Schauen wir z. B. auf die Weltreligionen …“
Da es für Glaubenssysteme kein Außenkriterium gibt, ist die Entstehung von Sekten unvermeidlich. Jütte ist natürlich nicht der erste, dem sich der auf der Hand liegende Vergleich mit Religion aufdrängt: „Der eine oder andere wird wahrscheinlich mehr oder weniger verstört werden von den Anmaßungen jener Parodie der mittelalterlichen Theologie, die ihr Dogma von der Erbsünde in der Doktrin der Psora [das Hahnemannsche Krätze-Miasma, die wesentliche Ursache jeglichen Siechtums] findet, ihr Wunder der Transsubstantiation in dem Mysterium der Verreibung und Verdünnung, ihre Kirchgemeinde in Leuten, die ihr Jahrhundert verwechseln, und ihre Priester in jenen, die ihre Berufung verwechseln“[9].
Zunächst aber weiter mit den Erfolgen:
„Die Homöopathie hatte ihren Durchbruch und ihren Erfolg in der Seuchenbehandlung. Zu Beginn der 1830er Jahre fand die erste Cholera-Epidemie statt, der im Abstand von 15 bis 20 Jahren weitere Epidemien folgten. Und gerade bei der Cholera vermochte die Homöopathie erstaunliche Erfolge zu erzielen.
Der Grund für diesen Erfolg lag darin, dass Hahnemann bei der Bekämpfung der Seuche nicht das Falsche tat. Er zog den Cholerakranken, die durch Durchfall und Brechreiz unter Flüssigkeitsentzug litten, nicht mittels Aderlass noch zusätzlich Körperflüssigkeiten ab, sondern verabreichte ihnen Kampfer, versetzt mit Mineralbrunnenwasser, so dass sie eine Flüssigkeitszufuhr erhielten. Wo in den Cholera-Spitälern diese homöopathische Methode zur Anwendung kam, fielen die Mortalitätsraten wesentlich niedriger aus.“
Gesetzt den Fall, es stimmte[10], dann wäre es Behandlung durch Unterlassung von üblichen aber üblen Behandlungsversuchen gewesen, die Homöopathen hätten also aus Versehen das Richtige getan. Das hatte dann aber mit den homöopathischen Prinzipien nichts zu tun, außer vielleicht in der höchst dialektischen Weise, in der Adenauer mit dem Mauerbau zu tun hatte. Im Übrigen ist der Erfolg vieler schulmedizinischer Maßnahmen belegt nicht wegen, sondern trotz der ursprünglichen pathophysiologischen Annahmen. Das beginnt bereits mit James Lind und der Skorbutbekämpfung und reicht bis in die jüngste Vergangenheit. Der Unterschied zur Glaubensmedizin besteht darin, dass diese Annahmen später aufgegeben und durch tragfähigere ersetzt worden sind, mithin: sie wurden nicht kanonisiert, sondern einer Kritik ausgesetzt.
Diese Therapieerfolge waren so begeisternd, dass die Verallgemeinerung, die Homöopathie habe
„überzeugende Resultate in der Behandlung epidemischer Krankheiten im 19. Jhd. (z. B. bei Cholera)“
erbracht, verzeihlich sein mag. Nur – im frühen 20. Jhd. ließen sie sich nicht wiederholen. „Leider ist immer noch nicht allgemein bekannt, dass sich seinerzeit bei vergleichenden therapeutischen Untersuchungen an Infektionskrankheiten wie Scharlach, Masern, Keuchhusten, Typhus u.a.m. zeigte, dass die Ergebnisse bei den Serien, die homöopathische Medikamente erhielten, gegenüber denen, die Placebo verabreicht bekamen, keinerlei Unterschiede hinsichtlich Krankheitsdauer, Komplikationshäufigkeit, Mortalität usw. zeigten (Chadwell, C. Wesselhoeft, weiterhin B. Schilsky und eigene Versuche), so dass man annehmen muss, dass jene Kollegen, die die Behandlung dieser Krankheiten als einen ‘Glanzpunkt der Homöopathie’ bezeichneten, eben den normalen Krankheitsverlauf als einen großen Erfolg der von ihnen verordneten Medikamente ansahen.“[12]. Das, fand Jütte, war nicht der Erwähnung wert.
Es wird gleich noch spannender:
„Ärzte Zeitung: Inwiefern bemühte sich Hahnemann um einen wissenschaftlichen Beweis seiner Therapie?
Jütte: Es fanden bereits zu Lebzeiten Hahnemanns immer wieder Versuche statt, die homöopathischen Verfahren wissenschaftlich abzusichern. Tatsächlich wurde der erste Doppelblind-Versuch, den es in der Geschichte der Medizin gab, 1835 von homöopathischen Ärzten in Nürnberg vorgenommen.“
Beim genauen Lesen fällt auf, dass Jüttes Erwiderung strenggenommen nicht die Antwort auf die Frage ist. Den wohl ersten Doppelblindversuch hat es tatsächlich 1835 gegeben. Er prüfte ein Homöopathikum, aber auf zwei kleine Details ist noch hinzuweisen: 1) er geht nicht auf die Adepten, sondern auf die Gegner der Homöopathie zurück, und 2) dieser Versuch ging negativ aus.[11]
Die Beschäftigung mit der Geschichte ist jedoch noch aus anderen Gründen lehrreich:
„Es gibt auch ein wachsendes Interesse an der Geschichte der Homöopathie, insbesondere von Sozial- und Medizinhistorikern. Zugleich scheint es, dass die homöopathische Gemeinde selbst ihre Verbindungen zur Vergangenheit verliert. Nur wenige Homöopathen haben die Ausgabe der Hahnemann-Krankenjournale gekauft, die von der Robert-Bosch-Stiftung publiziert worden ist. Man kann eine Menge dabei lernen, wenn man Hahnemann über die Schulter schaut … Der wissenschaftliche Beirat des bevorstehenden LMHI [Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis]-Kongresses in Luzern hat es abgelehnt, eine historische Sitzung abzuhalten, auf der die neuere Forschung zu den Hahnemann-Krankenjournalen hätte dargelegt werden können, selbst wenn die interessantesten Ergebnisse zu einer komplexeren Auffassung über die Wirkung der homöopathischen Behandlung führen könnten. Historische Forschung, die Mythen in der Geschichte der Homöopathie entschleiert, missfällt offenbar vielen Hahnemann-Anhängern, die ihn anbeten …“
Die Heilserwartung aus der Hahnemann-Lektüre und die Enttäuschung, die Jütte hier anklingen lässt, verraten ebensoviel über sein Verständnis von Medizin als Wissenschaft wie über seine illusionäre Verkennung der Homöopathen als Wissbegierige. Als unbefangener Mediziner sollte man meinen, Aufschluss über die Wirksamkeit von Homöopathie gewönne man nicht aus dem Lesen von Hahnemanns Krankenjournalen, sondern aus kontrollierten Studien, doch das ist durchaus zu kurz gedacht. Im Bericht über die Prüfungen der Homöopathie, verfasst von Fritz Donner, heißt es: „Später, als Hahnemann Schüler um sich gesammelt hatte, nahm er auch an ihnen Arzneiprüfungen vor. Überraschenderweise zeigte sich aber, daß Dr. Stapf bei jeder Arznei, die er prüfte, erotische Symptome angab – er war eben in jenen Jahren, in denen Männer derartige Erscheinungen zu haben pflegen. Sie mit den geprüften Arzneistoffen in Zusammenhang zu bringen, dürfte doch ein sehr zweifelhaftes Unterfangen sein. Ein weiterer seiner Prüfer war Langhammer, dessen Gemütssymptome bei allen Arzneien, die er prüfte, einander sehr ähnlich waren. Da er von allen, die ihn kannten, als depressiv und krankhaft in seinen Handlungen geschildert wird, können die von ihm geschilderten seelischen Erscheinungen wohl kaum der gerade eingenommenen Arznei zugeschrieben werden. Es schlichen sich also bereits bei den ersten Versuchen Hahnemanns erhebliche Fehlerquellen ein …“ [12] – Für den Prüfer von Urtinkturen muss übrigens eine gewisse Leidensfähigkeit hilfreich gewesen sein, man denke nur an Excr. Can. (Hundekot)[13]. Wie gesagt, Jütte hat ganz recht, dass aus der Lektüre Hahnemanns Schlüsse zur Wirksamkeit der Homöopathie möglich sind.
Irgendwie scheint die Frage nach dem Wirksamkeitsnachweis jedoch darüber hinaus zu pressieren:
„Das Problem besteht darin, klarzumachen, dass der Goldstandard (randomisierter kontrollierter Versuch) nur eine Methode ist, Wirksamkeit nachzuweisen; es gibt aber noch andere Formen der Prüfung, die als wissenschaftlich angesehen werden können.“
Jütte hätte hier ruhig etwas genauer werden können. Sein wackerer Mitstreiter im „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“, Helmut Kiene, hat ein Buch „Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung. Cognition-based Medicine“ verfasst, das näheren Aufschluss gibt. Dort heißt es unter der Überschrift „Wirksamkeitsbeurteilung in den besonderen Therapierichtungen“:
„Erstes Beispiel: Ein Patient mit verschiedensten Beschwerden wurde von einem homöopathischen Arzt mit Nitricum Acidum behandelt. Nach erfolgter Besserung berichtet der Patient dem Arzt von dem besonderen zusätzlichen Symptom eines isoliert linksseitigen Schweißfußes, den er zu Beginn der Behandlung nicht erwähnte, obwohl er ihn bereits seit über 35 Jahren belästigt hatte. Auch dieses Symptom sei nun nach der Behandlung verschwunden. Da das Symptom nicht häufig ist, war es verständlicherweise überraschend, dass dieses Symptom im Kent-Repertorium als Indikation für Nitricum Acidum zu finden war. Man hat hier also eine Doppelblindstudie am Einzelfall: Weder wusste der Patient, dass das Mittel für seinen linksseitigen Schweißfuß geeignet sein sollte, noch wusste der Arzt, dass der Patient dieses Symptom hatte. Erst im Nachhinein wurde festgestellt, dass hier ein korrespondierendes Abbildungsverhältnis zwischen den Angaben des Kent-Repertoriums und dem realisierten Behandlungserfolg bestand.“[14]
Alles klar? Im Kent-Repertorium (ein „thesaurierter Unsinn“, sagen selbst Homöopathen[15]) wird übrigens bei Nitricum Acidum neben den ca. 190 weiteren Symptomen wie „Fluchen, Neigung zum“ auch der „Fußschweiß“ genannt (der durchaus häufig ist und noch bei 17 weiteren Homöopathika vorkommt), jedoch nicht der linksseitige Fußschweiß (auf solche Unterscheidungen legen die Homöopathen ansonsten großen Wert).
Aber nicht nur über die Wirkung, sondern auch über den Mechanismus herrsche mittlerweile Klarheit, sagt Jütte:
„Versuche, das Wirkprinzip der Homöopathie zu entschlüsseln, wurden dagegen erst im 20. Jahrhundert unternommen. Und hierbei erwiesen sich die Mediziner als konservativer als die Naturwissenschaftler, die schon mit der Planckschen Quantenmechanik vom kausalen Denken abließen. Deswegen kamen denn auch die entscheidenden Erkenntnisse, wie sich durch die hohen Verdünnungen Strukturveränderungen im molekularen Bereich ergeben, eher von den Physikern.“
Es ist, vorsichtig ausgedrückt, schon eine gewisse Überinterpretation zu behaupten, „die Naturwissenschaftler“ hätten sich mit der Quantenmechanik von der Kausalität losgesagt. „Wenn der Stein sagt, dass er zu Boden fallen will / Wenn du ihn in die Luft schleuderst / Dann glaube ihm.“[16] Mit den „entscheidenden Erkenntnissen der Physiker“ ist wahrscheinlich das sog. Wassergedächtnis des Jacques Benveniste gemeint (der, nebenbei, Immunologe und nicht Physiker war). Er konnte übrigens das Wassergedächtnis auch per Telefon übertragen. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob die homöopathische Welt die sich daraus ergebenden Möglichkeiten bereits nutzt; mir würde da einiges einfallen. Aber verlassen wir kurz das Gebiet der Humanmedizin und wenden wir uns der Tierheilkunde zu:
„Wesentlich bedeutender ist die Rolle der Homöopathie in der Veterinärmedizin. Insbesondere in der Massentierhaltung stellt sich das ökonomische Problem, dass beim Einsatz von Antibiotika ein Tier aufgrund der Antibiotika-Rückstände nicht mehr verkäuflich ist und für den Tierhalter zum wirtschaftlichen Verlust wird. Beim Einsatz der Homöopathie entfällt dieses Risiko: Es gibt keinerlei Rückstände. Insofern ist heute der Einsatz von Homöopathie in der Massentierhaltung üblich und, wie sich gezeigt hat, mit großem Erfolg.“
Albrecht und Schütte[17]behandelten 1440 Ferkel mit niedrig dosierten Antibiotika, mit Placebo und mit Homöopathie und fanden keine Unterschiede in der Häufigkeit von Atemwegserkrankungen und Krankheiten allgemein. Beim Vergleich von drei unwirksamen Behandlungsmethoden ist das auch nicht verwunderlich. Dennoch wird der Befund von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, einem Hort der unvoreingenommenen Naturheilkunde-Beurteilung, im Selbstzitat als Erfolg verbucht. Mehrere europäische veterinärmedizinische Fachgesellschaften haben sich gegen die Homöopathie ausgesprochen[18]; wahrscheinlich, weil sie die Statements der Stiftung nicht gelesen oder nicht verstanden haben, im Gegensatz zu Prof. Jütte. Über die Erfolge der Homöopathika in der Massentierhaltung berichtet auch z. B. eine Flugschrift Harzer Wurstgeschichte(n) der Fleischerei Koithahn GmbH[19]. Von dieser Firma werde statt „vorsorglicher Behandlung, oft mit Antibiotika“ Homöopathie eingesetzt. Wenn sich mit diesem Verkaufsargument der Umsatz steigern ließ, dann ist das in der Tat ein Erfolgsnachweis.
Doch kehren wir lieber zurück zur medizinischen Wissenschaft:
„Der kritische Review im Lancet im vergangenen Jahr ist von vielen Gegnern benutzt worden, den Niedergang oder sogar das endgültige Aus der Homöopathie zu verkünden. Doch das Gegenteil scheint einzutreten. Die Leute sind nicht sehr beeindruckt worden von Argumenten, die in einer voreingenommenen [biased] Meta-Analyse dargelegt wurden, welche nicht die üblichen Standards der biomedizinischen Forschung und der medizinischen Statistik einhielt.“
Gemeint ist die Meta-Analyse von Shang et al, Lancet 2005;366:726-732. Zu den Leuten, die von ihr nicht sehr beeindruckt sind, zählen u. a. die für ihre Objektivität bekannten H. Walach und G. Lewith[20] und der Forschungsdirektor von Boiron, Philippe Belon. Boiron ist der internationale Marktführer bei Homöopathika. U. a. wird bemängelt, dass die Autoren der Meta-Analyse es “versäumen, die aufkommenden grundlegenden wissenschaftlichen Belege für die Aktivität von ultramolekularen Verdünnungen zu erwähnen“[21]. Solche Kritiker sind durch keine Art von Evidenz zu beeindrucken, fürchte ich. Auch wer sein Brot in der römisch-katholischen Kirche verdient, wird von Kritik an Glaubensinhalten, wie schlüssig auch immer sie sein mag, „nicht sehr beeindruckt“ sein. In Homeopathy ist 2008 eine Re-Analyse erschienen, die zu dem Schluss kommt, „dass die Qualität homöopathischer Therapiestudien besser ist als die von konventionellen Studien“[22]. Auch eine „Sensitivity analysis“ von R. Lüdtke et al, dem Statistiker der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, meint, dass “Shangs Resultate und Schlussfolgerungen weniger definitiv sind, als sie dargestellt“[23] wurden. „Die Lancet-Redaktion … hatte nicht den Mut, die Re-Analysen von Rutten, Stolper und Lüdtke zu publizieren.“[24]. Im Ernst: solche Meta-Analysen versprechen ebenso viel Erkenntnisgewinn wie DNA-Sequenzierungen von Kobolden oder geologische Studien von Narnia, sagt Professor Brubaker[25]. Seit David Hume weiß man (wenn man es wissen will): die Glaubwürdigkeit von Wunder-Berichten leidet prinzipiell darunter, dass die Unzuverlässigkeit der Zeugen stets die wahrscheinlichere Erklärung ist.
Schließlich: Wie steht es um die Zukunft der Homöopathie?
„Ich bin überzeugt, dass die Homöopathie eine Zukunft hat, sogar eine glänzende, nicht nur in den sich entwickelnden Ländern, wo sie eine billige und potente Medizin ist, sondern auch in den westlichen Ländern, wo der demografische Trend und die Zunahme der chronischen Erkrankungen mehr und mehr Menschen nach Hilfe außerhalb der Biomedizin suchen lassen wird.“
Was die Prognose hierzulande angeht, mag sich jeder selbst ein Urteil bilden. Die WHO jedenfalls warnt vor den Risiken der Homöopathie in den Entwicklungsländern bei der Behandlung von HIV, Tuberkulose, Malaria oder Diarrhöe, da sie dort als wirksame Alternative, nicht als zusätzliche Therapie, angesehen würde.[26]
Ziehen wir Zwischenbilanz, was wir für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach dem Verhältnis von Naivität zu Unehrlichkeit gewonnen haben. Leute, die die Lektüre der Hahnemannschen Krankenjournale empfehlen, um die medizinische Versorgung von heute zu verbessern, können nicht ganz ernstgenommen werden – doch das hilft zunächst nicht weiter. Wenn man dies aber in Kenntnis z. B. des oben zitierten Berichts[12] und, nicht minder entlarvend, der Briefe Fritz Donners tut, dann ist das nur als bewusster Akt möglich. Überhaupt ist der Umgang der Homöopathen mit dem Bericht geeignet, weiteres Licht auf unsere Angelegenheit zu werfen. Jütte selbst nimmt wie folgt Stellung:
„An diesen Überprüfungen [der Homöopathie, 1936-1939] war auch der damals an der homöopathischen Abteilung des Rudolf Virchow Krankenhauses in Berlin tätige Arzt Dr. med. Fritz Donner (1896-1979) maßgeblich beteiligt. Sein ungedruckter Bericht über diese Versuche, der allerdings quellenkritisch sehr problematisch ist, da er erst ungefähr zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst wurde und stark subjektiv geprägt ist, wird von Gegnern der Homöopathie bis heute immer wieder herangezogen, um einerseits zu zeigen, welches große Interesse die damaligen Machthaber an der Homöopathie hatten, und andererseits den fehlenden Wirksamkeitsnachweis der Homöopathie zu belegen. Durch den Kriegsausbruch im Jahre 1939 fanden die Überprüfungen im Auftrag des Reichsgesundheitsamtes ein jähes Ende. Einen Abschlussbericht gibt es daher nicht. Die Originalunterlagen, die nach Donners Angaben den Krieg überdauert haben, sind bislang noch nicht wieder aufgetaucht und müssen als verschollen gelten, so dass man sich, wie Harald Wallach [sic] mit Recht betont, davor hüten muss, allein auf der Grundlage des sogenannten Donner-Reports ‚das Kind mit dem Bade auszuschütten und alle homöopathischen Effekte als Placebo-Effekte zu verstehen.‘“[27] [Hervorhebungen durch mich]
Jütte versucht so, die radioaktive Strahlung aus dieser Kernschmelze der Homöopathie mit einem Beton-Sarkophag abzuschirmen. Souverän werden die außerordentliche Detailfülle, die intime Sachkenntnis (Donner war Autor von ca. 80 homöopathischen Arbeiten) und die zahlreich angeführten Belege aus der Literatur (er war geradezu „der Quellenforscher par excellence“[15] und „das wandelnde homöopathische Lexikon“[28]) unterschlagen. Es ist überhaupt kein Grund erkennbar, an der Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit Donners zu zweifeln, und nichts deutet auf seine Böswilligkeit hin: es handele sich nur um eine „kurze und alles Peinliche weglassende Arbeit“, die versucht, „in ganz milder Form die in Wunschträumen lebenden homöopathischen Kollegen an Hand meiner Erlebnisse auf die rauhe Wirklichkeit hinzuweisen“ (Brief an Schoeler). Schließlich hat er auch darauf verzichtet und die Arbeit ganz zurückgezogen. Aus heutiger Sicht: hätte er alles Peinliche weggelassen, hätte er gar keinen Bericht schreiben können. Auch sind die Gegner der Homöopathie noch ein bisschen unverschämter als dargestellt: sie sehen in dem Bericht nicht den fehlenden Wirkungsnachweis, sondern den Nachweis der fehlenden Wirkung, was bekanntlich nicht dasselbe ist.
Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte DZVhÄ diskutierte im Mai 1966 über den Donner-Report. Wichtigstes, oder genauer gesagt einziges, Ziel war es, seine Veröffentlichung zu verhindern. Man erreichte, dass Donner seine „Drohung“ nicht umsetzte, den Bericht, den er zunächst der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung (AHZ) unterbreitet hatte, anderswo zu veröffentlichen. 1969 versuchte G. Wünstel als neuer Geschäftsführer des DZVhÄ, die Aufarbeitung erneut anzustoßen. Im Sitzungsprotokoll des Wissenschaftlichen Beirats des DZVhÄ vom Mai 1970 heißt es schließlich:
„Alle Anwesenden waren sich darüber einig, daß man diese Angelegenheit auf sich beruhen lassen sollte und es wichtig sei, daß hierüber nicht publiziert werde.“
Damit war das Thema glücklich erledigt. Wünstel fragte nicht weiter nach; allerdings hätte er den Jagdhund auch zur Jagd tragen müssen. Immerhin veröffentlichte er selbst 1987, nachdem er 1974 aus dem Vorsitz des DZVhÄ verdrängt worden und aus dem Verein ausgetreten war, Teile des Donner-Reports. Er stützte sich auf das Typoskript, das ihm selbst zugegangen war, und versah es mit einem idealistischen forschungsfreundlichen Vor- und Nachwort[29]. „Gestürzte Könige werden bei Shakespeare oft weise, sie können es sich dann leisten“ (Rainer Kirsch).
Der von Jütte als Zeuge aufgerufene H. Walach beschränkt sich nicht auf die o. g. Forderung nach Umkehr der Beweislast, sondern fügt hinzu[30]:
„Der Bericht Donners enthält viele Details, die hier nicht zu interessieren brauchen. Sein Ton ist von Enttäuschung und persönlicher Verletzung geprägt.“
Er hält sich jedoch nicht damit auf darzulegen, welche Details denn nun damit kompromittiert sind. Subtil deutet Walach allenfalls an, dass Donner keine Ahnung von richtiger Homöopathie hatte:
„Bespielsweise hatte Rabe eine Prüfung von Silicea C 30 vorgeschlagen, die offenbar keine Ergebnisse zeitigte. Wir erfahren nichts über die Zeitdauer der Untersuchung. Eines aber ist klar: Silicea gehört zu den trägsten und tiefgreifendsten Mitteln der homöopathischen Materia medica. Wenn in einer Prüfung mit Hochpotenz quantitativ abgesicherte Effekte zu erwarten sind, dann erst nach geraumer Zeit und mit großer Prüferzahl. 30 Tage Zeitdauer sind für eine homöopathische Arzneimittelprüfung am Gesunden laut Schoeler die Mindestdauer.“
Abgesehen davon, dass da gar nichts klar ist[31]: Zu den Dutzenden anderen, zum Teil publizierten, zum Teil unterdrückten negativen Prüfungen – „So kam es, dass Sie, Kollege Unseld, eben nichts in der Literatur finden“ – ist ihm offenbar nichts eingefallen. Sie gehören zu den „Details, die hier nicht zu interessieren brauchen“.
Kühner sind Milgrom und Moebius[32]. Nachdem sie die inhumane Bestialität des 3. Reiches erwähnen, um die Ethik der Homöopathie-Prüfung zu denunzieren, fahren sie fort:
„Die Prüfung [inspection] dieser Dokumente zeigt, dass sie nicht mehr als persönliche Erinnerungen enthalten, die viele Jahre nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgewärmt werden, und die reichlich mit Phrasen wie ‚soweit ich mich erinnere‘, ‚wenn ich mich recht entsinne‘ usw. durchsetzt sind. Donner ist nicht nur extrem vage, sondern die ‚Evidenz‘, die [Edzard] Ernst darin entdeckt zu haben glaubt, beruht auf kaum mehr als Hörensagen.“
Die wohlwollendste Deutung ist die Übersetzung von „inspection“ statt mit „Prüfung“ mit: „Vor zwanzig Jahren einen getrübten Blick darauf geworfen“, aber überzeugend ist diese Interpretation nicht. Das ist also nur als zynische Spekulation darauf erklärbar, dass das Auditorium keine Möglichkeit oder kein Interesse hat, den Bericht selber zu lesen. Wie Ernst völlig zutreffend erwidert[33], gibt es nicht den Schatten eines Beweises, dass die von international angesehenen Wissenschaftlern wie dem Pharmakologen Gustav Kuschinsky geleiteten Untersuchungen in irgendeiner Weise unethisch waren, und sie wurden auch nicht in Konzentrationslagern durchgeführt. Fast irrelevant ist die Ergänzung, dass wissenschaftliche Untersuchungen der Nazi-„Forschung“ realisierbar sind, ohne hohe ethische Standards zu verlassen[34].
Fassen wir zusammen. Die Parallelen von Homöopathie und Religion werden von Jütte durchaus nicht negativ konnotiert. Die Hinweise auf die Heiligen Schriften des Samuel Hahnemann, die „verschiedenen Wahrheiten“ in der Medizin oder auf die „Abwendung von der Kausalität“ zeigen an, dass Jütte und andere Streiter für den „Pluralismus in der Medizin“[35] den Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft verschleiern wollen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Religion wird auf diese Weise instrumentalisiert, um die Homöopathie gegen Kritik durch die Naturwissenschaft (und den gesunden Menschenverstand) in Schutz zu nehmen.
Die Ausblendung missliebiger Fakten, die systematische Verzerrung der Realität, die schlitzohrige Sophistik sind deutliche Indizien dafür, dass Edzard Ernst mit seiner eingangs zitierten Meinung („Viele Homöopathen lügen wie gedruckt“, s. o.) richtig liegt. Es folgt daraus, dass auch Oliver Wendell Holmes Recht haben wird: die Homöopathie überlebt, weil sie lukrativ ist; und der Pluralismus in der Medizin ist die Watte, in die sie eingepackt werden soll.
Dr. Matthias Mindach
[1] Die Literatur hierzu ist unübersehbar. Als leicht zugängliche Beispiele für den Einstieg mögen genannt sein: Mutschler E: Homöopathie – eine wirksame Therapiemethode? Fortschr Med 1994;112:67-69; Forth W: Unklare Konzentrationsangaben der Hersteller. Potentiell toxische Schwermetalle als Therapeutikum in der Homöopathie. Dt Ärztebl 1996;93A-2318f; Krämer HJ, E Habermann: Ein Vorlesungsversuch zur Homöopathie, Dt Ärztebl 1997;94: A-1811f; interessant auch die jeweils zugehörigen Diskussionen und Schlussworte.
[2] Die Suche nach “Homöopathie” beim Deutschen Ärzteblatt von 1991-2011 ergibt 434 Treffer; die Suche nach „homeopathy“ bei MEDLINE für den gleichen Zeitraum 2954 Treffer.
[3] „Homoeopathy has proved lucrative, and so long as it continues to be so will surely exist,—as surely as astrology, palmistry, and other methods of getting a living out of the weakness and credulity of mankind and womankind.” (Oliver Wendell Holmes, Medical Essays, Preface to the new edition, 1891)
[4] Grill M, V Hackenbroch: Der große Schüttelfrust. DER SPIEGEL Nr. 28, 2010
[5] Wer meint, die Akten könnten geschlossen werden, muss es sich schon mal gefallen lassen, als „Gefahr für die Volksgesundheit“ beschimpft zu werden. (Albrecht H: Das Fass ist übergelaufen! Offener Brief vom 15.07.2010) Dr. Henning Albrecht ist Geschäftsführer der Karl und Veronica Carstens-Stiftung.
[6] Homöopathen machten den ersten Doppel-Blindversuch. Ärzte Zeitung, 08.04.2005
[8] Sogar Apologeten konzedieren: „… konnte bisher die Gültigkeit des Simile-Prinzips noch nicht nachgewiesen werden. Weder im Einzelfall noch insgesamt lässt sich deshalb beweisen, dass homöopathische Mittel tatsächlich nach dem ,Similia similibus curentur‘ Hahnemanns wirken.“ (Faltin T: Homöopathie in der Klinik. Die Geschichte der Homöopathie am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus von 1940-1973. Quellen und Studien zur Homöopathiegeschichte Bd. 7, Haug Stuttg 2002, S. 297, ausführlicher noch S. 301f). Diese Schriftenreihe wird vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung, Leiter: Prof. Dr. phil. Robert Jütte, herausgegeben. Das Buch selbst zeichnet das Scheitern der Krankenhaus-Homöopathie nach und führt dafür tausend Gründe an, bis hin zum Wetter (S. 308). Ja, mit Wetter ist immer zu rechnen.
[9] „Some of you will probably be more or less troubled by the pretensions of that parody of mediaeval theology which finds its dogma of hereditary depravity in the doctrine of psora, its miracle of transubstantiation in the mystery of its triturations and dilutions, its church in the people who have mistaken their century, and its priests in those who have mistaken their calling.” (O. W. Holmes, Medical Essays, 1871)
[10] Die homöopathische Literatur, aber auch nur diese, ist voll solcher Siegesmeldungen. Sie wurden von Anfang an bezweifelt: „I can remember when more than a hundred patients in a public institution were attacked with what, I doubt not, many Homoeopathic physicians (to say nothing of Homoeopathic admirals) would have called cholera, and not one of them died, though treated in the common way, and it is my firm belief that, if such a result had followed the administration of the omnipotent globules, it would have been in the mouth of every adept in Europe … Other things being equal, it must always be expected that those institutions and individuals enjoying to the highest degree the confidence of the community will lose the largest proportion of their patients” (O. W. Holmes: Homœópathy, and its Kindred Delusions, 1842)
[11] Löhner, George: Die homöopathischen Kochsalzversuche zu Nürnberg. Von einer Gesellschaft wahrheitsliebender Männer. Nürnberg 1835. Die Methodik war in der Tat beispielhaft und der Zeit um hundert Jahre voraus. Zunächst fand eine Pilotstudie mit folgendem Ergebnis statt: „Drei der Versuchsmänner empfanden durchaus gar nichts; der Vierte hatte nach zehn Minuten eine Wärme im Kopfe gefühlt; der Fünfte hatte ohne einen weitern Erfolg blos das destillirte Wasser unschmackhaft gefunden, und der Sechste, ein Hypochonder, verscheuchte eine Rückwirkung des vermeintlich heroischen Mittels durch den festen Gedanken an dessen absolut unmögliche Wirksamkeit.“ Dann folgte die sorgsamst geplante öffentliche Doppelblindstudie. Um sich nicht dem Vorwurf der Voreingenommenheit auszusetzen, bemühte man sich mit „skrupulöser Genauigkeit“ um die Einhaltung der homöopathischen Vorschriften. Und da „die Homöopathen bey der Bereitung ihrer Arzneymittel jede fremde Aneignung zu derselben streng entfernt gehalten wissen wollen“, durften „sämmtliche Gegenstände … nicht einmal vor einer Apotheke vorbeygetragen werden“. M. Stolberg meint in seinem beschwichtigenden Referat dieser Studie (J R Soc Med 2006;99:642–643), dass die meisten Teilnehmer wohl Gegner der Homöopathie gewesen seien, weshalb sie ungewöhnliche Symptome verschwiegen hätten. Nun, nicht dass den Befürwortern die Teilnahme verwehrt gewesen wäre: „Zugleich wurde Dr. Reuter [der Homöopath, dessen Ansprüche die Versuchsplanung ausgelöst hatten] mehrmals öffentlich aufgefordert, die Fertigung der Kochsalzpotenzirung selbst vorzunehmen. Derselbe fand jedoch für gut, dieser Aufforderung nicht zu genügen.“ Die Liste der 48 Teilnehmer enthält neben den Namen auch den Beruf der Probanden, „Buchhändler, Antiquar, Rentier, Kupferstecher, Gastwirth, Handlungsreisender“ etc., also einen Querschnitt durch das Bürgertum. Nur 11 der Teilnehmer waren Arzt, Wundarzt oder Apotheker, und sie wurden zufällig auf die Verum- oder Placebogruppe verteilt. Allein die Teilnahme an einem kontrollierten Homöopathie-Versuch ist also schon Beleg dafür, ein Gegner derselben zu sein, und Ergebnisse wären ausschließlich mit Homöopathie-Gläubigen zu erzielen.
[12] Donner F: Bemerkungen zu der Überprüfung der Homöopathie durch das Reichsgesundheitsamt 1936 bis 1939. Ich zitiere auch nach der kürzeren und etwas präziseren Fassung, veröffentlicht in Willi R: Homöopathie und Wissenschaftlichkeit. Georg Wünstel und der Streit im Deutschen Zentralverein von 1969 bis 1974, KVC, Essen 2003
[13] Hilft bei Arbeitslosigkeit (Eberle H, F Ritzer: Arzneimittellehre, Neue homöopathische Arzneien, 1999). Die Vermutung, die Prüfung der Urtinktur habe beim Probanden wegen der Geruchsbelästigung ganz im Sinne der Simile-Regel zur Arbeitslosigkeit geführt, scheint aber abwegig zu sein. Weiterer Kommentar verbietet sich, denn: „Wer sich über Hundescheiße echauffiert, hat nicht begriffen, was Homöopathie eigentlich ist.“ (kidmed.org)
[14] Kiene H: Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung. Cognition-based Medicine. Springer, Berlin u. a. 2001, S. 61
[15] Ritter H: Fritz Donner †. Allgemeine Homöopathische Zeitung 4/1979, 163-165. Ritter und der von ihm zitierte F. Donner waren Vertreter der sog. „naturwissenschaftlich-kritischen“ Richtung der Homöopathie, die zwangsläufig an den ihr immanenten Widersprüchen zugrunde gegangen ist. Wenn man ganz auf Wissenschaftlichkeit verzichtet, hat man das Problem nicht, wie das Überleben der „klassischen“ Richtung beweist. Über James Tyler Kent sagt Ritter: „Kent hatte seine Erfahrungen bei der Behandlung der Diphtherie an Fällen gesammelt, die er nicht untersucht, nicht bakteriologisch gesichert, ja nicht einmal gesehen, sondern nur nach Hörensagen beraten hatte. Was besagt unter diesen Umständen, daß er nie einen Fall verloren habe!“
[16] Brecht, Buch der Wendungen, GBFA, Bd. 18 S. 167
[17] Albrecht H, A Schütte: Homeopathy versus antibiotics in metaphylaxis of infectious diseases – A clinical study in pig fattening and its significance to consumers. Altern Ther Health Med 1999;5:64-68.
[18] Rijnberg M, DW Ramey: The end of veterinary homeopathy. Aust Vet J 2007;85:513–516
[20] Detailliertere Darstellungen würden den Rahmen dieses Artikels sprengen. Weitere Informationen auf Anfrage beim Verfasser.
[21] “fail to quote emerging basic science evidence for the activity of ultramolecular dilutions” (Fisher P et al: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Lancet 2005;366:2081-2085). Der Brief ist von 29 weiteren prominenten Persönlichkeiten unterschrieben, eine richtige Petition.
[22] Rutten AL, CF Stolper: The 2005 meta-analysis of homeopathy: the importance of post-publication data. Homeopathy. 2008;97:169-77. (Übersetzung durch mich)
[23] Lüdtke R, A.L.B. Rutten: The conclusions on the effectiveness of homeopathy highly depend on the set of analyzed trials. J Clin Epidemiol 2008;61:1197-204 (Übersetzung durch mich). Ulrich Berger fasst das Ergebnis dieser Re-Analyse so zusammen: Wenn es die größte negative Studie nicht gäbe, dann wäre das Resultat beinahe positiv.
[24] Fritzsche C: Zweifelhafte Meta-Analysen: Wie evident ist die Evidenzbasierte Medizin? Re-Analysen von Meta-Analysen sind „so etwas wie wiederaufgewärmte wiederaufgewärmte Bohnen“ (Steven Novella). Claus Fritzsche ist Journalist. Auf https://www.sales-and-marketing.biz/ bietet er seine Leistungen wie folgt an: „Sie vermarkten erklärungsbedürftige Produkte an Geschäftskunden und suchen einen guten Texter? Dann sind sie hier richtig“; seine Blogs sind von der homöopathischen Industrie gesponsort (vgl. psiram.com).
[25] Das ist ein Scherz. Er bezieht sich auf Akupunkturstudien, und auch der Professor Henry Brubaker selbst ist wahrscheinlich ein Phantom.
[26] WHO warnt vor Homöopathie. aerzteblatt.de 21. August 2009
[28] V. B.: Fritz Donner 70 Jahre alt. AHZ 1966, S. 315-317
[29] Willi R: Homöopathie und Wissenschaftlichkeit. Georg Wünstel und der Streit im Deutschen Zentralverein von 1969 bis 1974, KVC, Essen 2003
[30] Walach H: Die Untersuchung der Homöopathie durch das Reichsgesundheitsamt 1936-1939. Zeitschrift für Klassische Homöopathie 1990;34:252-259
[31] „Und wie steht es mit dem, was wir in der homöopathischen Literatur an Erfolgen lesen und vor allem mit dem, was wir – also Schoeler, Donner u.s.w. geschrieben haben?“ Fritz Donner, Brief an Schoeler.
[32] “Inspection of these documents shows they amount to no more than personal recollections, regurgitated many years after World War 2, liberally sprinkled with phrases such as ‘as far as I recall’, ‘if I remember rightly’ and so on. Donner is not only extremely vague, the ‘evidence’ Ernst thinks he has uncovered in these documents amounts to little more than hear-say.” Milgrom LR, S Moebius: Is using Nazi research to condemn homeopathy ethical or scientific? Br J Clin Pharmacol. 2008;66(1):156–158
[33] Ernst E: Reply to Milgrom and Moebius. Br J Clin Pharmacol. 2008;66(1):157–158
[34] Berger RL: Nazi Science – The Dachau Hypothermia Experiments. N Engl J Med 1990;322:1435-1440
[35] vgl. z. B. Achenbach GB: Pluralismus in der Medizin. Wahrheit als Verschiedenheit, Dtsch Arztebl 2011; 108(3): A 98-101
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