Diese Therapieerfolge waren so begeisternd, dass die Verallgemeinerung, die Homöopathie habe
„überzeugende Resultate in der Behandlung epidemischer Krankheiten im 19. Jhd. (z. B. bei Cholera)“
erbracht, verzeihlich sein mag. Nur – im frühen 20. Jhd. ließen sie sich nicht wiederholen. „Leider ist immer noch nicht allgemein bekannt, dass sich seinerzeit bei vergleichenden therapeutischen Untersuchungen an Infektionskrankheiten wie Scharlach, Masern, Keuchhusten, Typhus u.a.m. zeigte, dass die Ergebnisse bei den Serien, die homöopathische Medikamente erhielten, gegenüber denen, die Placebo verabreicht bekamen, keinerlei Unterschiede hinsichtlich Krankheitsdauer, Komplikationshäufigkeit, Mortalität usw. zeigten (Chadwell, C. Wesselhoeft, weiterhin B. Schilsky und eigene Versuche), so dass man annehmen muss, dass jene Kollegen, die die Behandlung dieser Krankheiten als einen ‘Glanzpunkt der Homöopathie’ bezeichneten, eben den normalen Krankheitsverlauf als einen großen Erfolg der von ihnen verordneten Medikamente ansahen.“[12]. Das, fand Jütte, war nicht der Erwähnung wert.
Es wird gleich noch spannender:
„Ärzte Zeitung: Inwiefern bemühte sich Hahnemann um einen wissenschaftlichen Beweis seiner Therapie?
Jütte: Es fanden bereits zu Lebzeiten Hahnemanns immer wieder Versuche statt, die homöopathischen Verfahren wissenschaftlich abzusichern. Tatsächlich wurde der erste Doppelblind-Versuch, den es in der Geschichte der Medizin gab, 1835 von homöopathischen Ärzten in Nürnberg vorgenommen.“
Beim genauen Lesen fällt auf, dass Jüttes Erwiderung strenggenommen nicht die Antwort auf die Frage ist. Den wohl ersten Doppelblindversuch hat es tatsächlich 1835 gegeben. Er prüfte ein Homöopathikum, aber auf zwei kleine Details ist noch hinzuweisen: 1) er geht nicht auf die Adepten, sondern auf die Gegner der Homöopathie zurück, und 2) dieser Versuch ging negativ aus.[11]
Die Beschäftigung mit der Geschichte ist jedoch noch aus anderen Gründen lehrreich:
„Es gibt auch ein wachsendes Interesse an der Geschichte der Homöopathie, insbesondere von Sozial- und Medizinhistorikern. Zugleich scheint es, dass die homöopathische Gemeinde selbst ihre Verbindungen zur Vergangenheit verliert. Nur wenige Homöopathen haben die Ausgabe der Hahnemann-Krankenjournale gekauft, die von der Robert-Bosch-Stiftung publiziert worden ist. Man kann eine Menge dabei lernen, wenn man Hahnemann über die Schulter schaut … Der wissenschaftliche Beirat des bevorstehenden LMHI [Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis]-Kongresses in Luzern hat es abgelehnt, eine historische Sitzung abzuhalten, auf der die neuere Forschung zu den Hahnemann-Krankenjournalen hätte dargelegt werden können, selbst wenn die interessantesten Ergebnisse zu einer komplexeren Auffassung über die Wirkung der homöopathischen Behandlung führen könnten. Historische Forschung, die Mythen in der Geschichte der Homöopathie entschleiert, missfällt offenbar vielen Hahnemann-Anhängern, die ihn anbeten …“
Die Heilserwartung aus der Hahnemann-Lektüre und die Enttäuschung, die Jütte hier anklingen lässt, verraten ebensoviel über sein Verständnis von Medizin als Wissenschaft wie über seine illusionäre Verkennung der Homöopathen als Wissbegierige. Als unbefangener Mediziner sollte man meinen, Aufschluss über die Wirksamkeit von Homöopathie gewönne man nicht aus dem Lesen von Hahnemanns Krankenjournalen, sondern aus kontrollierten Studien, doch das ist durchaus zu kurz gedacht. Im Bericht über die Prüfungen der Homöopathie, verfasst von Fritz Donner, heißt es: „Später, als Hahnemann Schüler um sich gesammelt hatte, nahm er auch an ihnen Arzneiprüfungen vor. Überraschenderweise zeigte sich aber, daß Dr. Stapf bei jeder Arznei, die er prüfte, erotische Symptome angab – er war eben in jenen Jahren, in denen Männer derartige Erscheinungen zu haben pflegen. Sie mit den geprüften Arzneistoffen in Zusammenhang zu bringen, dürfte doch ein sehr zweifelhaftes Unterfangen sein. Ein weiterer seiner Prüfer war Langhammer, dessen Gemütssymptome bei allen Arzneien, die er prüfte, einander sehr ähnlich waren. Da er von allen, die ihn kannten, als depressiv und krankhaft in seinen Handlungen geschildert wird, können die von ihm geschilderten seelischen Erscheinungen wohl kaum der gerade eingenommenen Arznei zugeschrieben werden. Es schlichen sich also bereits bei den ersten Versuchen Hahnemanns erhebliche Fehlerquellen ein …“ [12] – Für den Prüfer von Urtinkturen muss übrigens eine gewisse Leidensfähigkeit hilfreich gewesen sein, man denke nur an Excr. Can. (Hundekot)[13]. Wie gesagt, Jütte hat ganz recht, dass aus der Lektüre Hahnemanns Schlüsse zur Wirksamkeit der Homöopathie möglich sind.
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