Irgendwie scheint die Frage nach dem Wirksamkeitsnachweis jedoch darüber hinaus zu pressieren:
„Das Problem besteht darin, klarzumachen, dass der Goldstandard (randomisierter kontrollierter Versuch) nur eine Methode ist, Wirksamkeit nachzuweisen; es gibt aber noch andere Formen der Prüfung, die als wissenschaftlich angesehen werden können.“
Jütte hätte hier ruhig etwas genauer werden können. Sein wackerer Mitstreiter im „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“, Helmut Kiene, hat ein Buch „Komplementäre Methodenlehre der klinischen Forschung. Cognition-based Medicine“ verfasst, das näheren Aufschluss gibt. Dort heißt es unter der Überschrift „Wirksamkeitsbeurteilung in den besonderen Therapierichtungen“:
„Erstes Beispiel: Ein Patient mit verschiedensten Beschwerden wurde von einem homöopathischen Arzt mit Nitricum Acidum behandelt. Nach erfolgter Besserung berichtet der Patient dem Arzt von dem besonderen zusätzlichen Symptom eines isoliert linksseitigen Schweißfußes, den er zu Beginn der Behandlung nicht erwähnte, obwohl er ihn bereits seit über 35 Jahren belästigt hatte. Auch dieses Symptom sei nun nach der Behandlung verschwunden. Da das Symptom nicht häufig ist, war es verständlicherweise überraschend, dass dieses Symptom im Kent-Repertorium als Indikation für Nitricum Acidum zu finden war. Man hat hier also eine Doppelblindstudie am Einzelfall: Weder wusste der Patient, dass das Mittel für seinen linksseitigen Schweißfuß geeignet sein sollte, noch wusste der Arzt, dass der Patient dieses Symptom hatte. Erst im Nachhinein wurde festgestellt, dass hier ein korrespondierendes Abbildungsverhältnis zwischen den Angaben des Kent-Repertoriums und dem realisierten Behandlungserfolg bestand.“[14]
Alles klar? Im Kent-Repertorium (ein „thesaurierter Unsinn“, sagen selbst Homöopathen[15]) wird übrigens bei Nitricum Acidum neben den ca. 190 weiteren Symptomen wie „Fluchen, Neigung zum“ auch der „Fußschweiß“ genannt (der durchaus häufig ist und noch bei 17 weiteren Homöopathika vorkommt), jedoch nicht der linksseitige Fußschweiß (auf solche Unterscheidungen legen die Homöopathen ansonsten großen Wert).
Aber nicht nur über die Wirkung, sondern auch über den Mechanismus herrsche mittlerweile Klarheit, sagt Jütte:
„Versuche, das Wirkprinzip der Homöopathie zu entschlüsseln, wurden dagegen erst im 20. Jahrhundert unternommen. Und hierbei erwiesen sich die Mediziner als konservativer als die Naturwissenschaftler, die schon mit der Planckschen Quantenmechanik vom kausalen Denken abließen. Deswegen kamen denn auch die entscheidenden Erkenntnisse, wie sich durch die hohen Verdünnungen Strukturveränderungen im molekularen Bereich ergeben, eher von den Physikern.“
Es ist, vorsichtig ausgedrückt, schon eine gewisse Überinterpretation zu behaupten, „die Naturwissenschaftler“ hätten sich mit der Quantenmechanik von der Kausalität losgesagt. „Wenn der Stein sagt, dass er zu Boden fallen will / Wenn du ihn in die Luft schleuderst / Dann glaube ihm.“[16] Mit den „entscheidenden Erkenntnissen der Physiker“ ist wahrscheinlich das sog. Wassergedächtnis des Jacques Benveniste gemeint (der, nebenbei, Immunologe und nicht Physiker war). Er konnte übrigens das Wassergedächtnis auch per Telefon übertragen. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob die homöopathische Welt die sich daraus ergebenden Möglichkeiten bereits nutzt; mir würde da einiges einfallen. Aber verlassen wir kurz das Gebiet der Humanmedizin und wenden wir uns der Tierheilkunde zu:
„Wesentlich bedeutender ist die Rolle der Homöopathie in der Veterinärmedizin. Insbesondere in der Massentierhaltung stellt sich das ökonomische Problem, dass beim Einsatz von Antibiotika ein Tier aufgrund der Antibiotika-Rückstände nicht mehr verkäuflich ist und für den Tierhalter zum wirtschaftlichen Verlust wird. Beim Einsatz der Homöopathie entfällt dieses Risiko: Es gibt keinerlei Rückstände. Insofern ist heute der Einsatz von Homöopathie in der Massentierhaltung üblich und, wie sich gezeigt hat, mit großem Erfolg.“
Albrecht und Schütte[17]behandelten 1440 Ferkel mit niedrig dosierten Antibiotika, mit Placebo und mit Homöopathie und fanden keine Unterschiede in der Häufigkeit von Atemwegserkrankungen und Krankheiten allgemein. Beim Vergleich von drei unwirksamen Behandlungsmethoden ist das auch nicht verwunderlich. Dennoch wird der Befund von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, einem Hort der unvoreingenommenen Naturheilkunde-Beurteilung, im Selbstzitat als Erfolg verbucht. Mehrere europäische veterinärmedizinische Fachgesellschaften haben sich gegen die Homöopathie ausgesprochen[18]; wahrscheinlich, weil sie die Statements der Stiftung nicht gelesen oder nicht verstanden haben, im Gegensatz zu Prof. Jütte. Über die Erfolge der Homöopathika in der Massentierhaltung berichtet auch z. B. eine Flugschrift Harzer Wurstgeschichte(n) der Fleischerei Koithahn GmbH[19]. Von dieser Firma werde statt „vorsorglicher Behandlung, oft mit Antibiotika“ Homöopathie eingesetzt. Wenn sich mit diesem Verkaufsargument der Umsatz steigern ließ, dann ist das in der Tat ein Erfolgsnachweis.
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