Auf meine Leserinnen und Leser ist eben Verlass! Eine überwältigende Mehrheit von ihnen hat beim jüngsten “Sommerrätsel” die richtige Antwort (C) getippt und meistens auch korrekt erklärt. Manchen kam das Rätsel so einfach vor, dass sie irgendeinen komplizierten dynamischen Gedankengang, der in Antwort (A) mündet, für naheliegender hielten, was ich durch den Hinweis “keine Fangfrage” – nicht ganz erfolgreich – verhindern hatte wollen. Kommentator Schlotti mutmaßte gar “Womöglich sind wir Kommentatoren alle Teil eines soziologischen Experimentes“, womit er nicht ganz Unrecht hatte. Wer sich jetzt als Studiensubjekt missbraucht fühlt, bei dem entschuldige ich mich gleich vorweg. Mea culpa! Aber lassen Sie mich bitte die Hintergründe erläutern:
Vor einigen Monaten schickte mir ein junger Hobbyphysiker, Robert, der später als Kommentator eecho mitmischte (ich habe inzwischen alle Klarnamen entfernt, damit sich niemand auf den Schlips getreten fühlt), eine sehr ausführliche Arbeit, in der er eine Lücke im Archimedischen Prinzip festgestellt haben wollte. Dieses besagt bekanntlich,
Die Auftriebskraft eines Körpers in einem Medium ist genauso groß wie die Gewichtskraft des vom Körper verdrängten Mediums.
Nun hatte Robert sowohl rechnerisch als auch experimentell völlig korrekt festgestellt – und in seiner Arbeit ausführlich dokumentiert – dass in einem teilweise mit Wasser gefüllten engen Zylinder ein etwas kleinerer Zylinder auch dann noch schwimmt, wenn letzterer ein höheres Gewicht hat als das gesamte im größeren Zylinder befindliche Wasser – eine Situation, die ich in meinem Gedankenexperiment nachgestellt habe. Robert meinte, dieses Phänomen widerlege (oder erweitere zumindest) das Archimedische Prinzip, denn ein Körper könne schließlich nicht mehr Wasser verdrängen, als überhaupt vorhanden ist.
Meine Antwort damals lautete (auszugsweise):
Ich halte Ihre Schlussfolgerung, Sie hätten das Archimedische Prinzip (AP) “erweitert” oder für kleine Flüssigkeitsvolumina “widerlegt”, für zumindest stark übertrieben.
Im Endeffekt läuft Ihr Argument doch darauf hinaus, dass bei kleinen Volumina der schwimmende Körper weniger Wasser verdrängt als seiner Gewichtskraft entspricht, was Ihnen zufolge dem AP widerspricht. Nun muss man sagen, dass in der Tat das AP in vielen populärwissenschaftlichen Darstellungen so formuliert wird, dass ein schwimmender Körper so weit eintaucht, dass das Gewicht des verdrängten Wassers genau dem Gewicht des Körpers entspricht. Sie argumentieren, dass sich im schmalen Gefäß so wenig Wasser befindet, dass dessen gesamtes Gewicht kleiner als das des schwimmenden Körpers ist, dass also dieser gar nicht soviel Wasser verdrängen kann, wie es das AP fordert. Dieses Argument beruht aber lediglich auf einer speziellen, engen Interpretation des Wortes “verdrängt”. Die populäre Version des AP betrachtet aber offenbar das “verdrängte” Wasservolumen als jenes, welcher der Teil des schwimmenden Körpers einnimmt, der sich unter der Wasseroberfläche befindet. Dadurch ergibt sich die scheinbar paradoxe Situation, dass ein Schwimmkörper in einem schmalen Gefäß mehr Wasser “verdrängen” kann, als sich überhaupt im Gefäß befindet. Es ergibt sich aber keine Notwendigkeit für eine Erweiterung des AP, und dieses wird durch diese Beobachtung auch nicht widerlegt. Widerlegt wird, wie gesagt, nur eine zu enge Interpretation des Begriffs “verdrängt” in der Formulierung des AP.
Robert entgegnete meiner Auffassung allerdings mit der Feststellung, dass er mit mehreren Physikern über das Phänomen gesprochen habe und dass diese nicht seine Interpretation des Begriffs “verdrängtes Wasser” anzweifelten, sondern vielmehr das Phänomen selbst – also dass der Körper überhaupt schwimmt – nicht glauben wollten!
Das wiederum hielt ich für äußerst unwahrscheinlich. Es konnte m.E. nur auf Missverständnissen beruhen. Das führte mich zu der Idee eines Experiments in Form eines “Rätsels”. Ich schrieb an Robert:
Ich denke […] an eine “physikalische Rätselfrage” dieser Art:
“Ein Quader mit den Maßen 10 x 10 x 20 cm besteht aus einem Material, das 80% der Dichte von Wasser hat. Ein Glas hat die Innenmaße 12 x 12 x 25 cm und ist mit 1 Liter Wasser gefüllt. Der Quader wird vorsichtig in das Glas getaucht und losgelassen. Was passiert mit dem Quader? (Wir ignorieren etwaige Kapillarkräfte.)
(a) Er sinkt bis zum Boden. (b) Er schwebt im Wasser. (c) Er schwimmt im Wasser.
Hinweis: Archimedes!“Der Hinweis führt auf das Archimedische Prinzip, aus dem sich ergibt, dass der Quader schwimmend 1,6 l Wasser verdrängen müsste. Wenn die Leser das falsch interpretieren, sollten sie zum Schluss gelangen, dass der Quader bis zum Boden sinkt (a), da ja nur 1 l Wasser zur Verfügung steht. Mit ein wenig physikalischer Vorbildung und einer kurzen Rechnung müsste man dagegen m.E. schnell auf die korrekte Antwort (c) kommen. Meine Prognose ist, dass so gut wie alle Physiker bzw. Physikstudenten korrekt mit (c) antworten, die meisten Laien dagegen mit (a). Ihre Prognose ist, wenn ich es richtig sehe, dass selbst die meisten Physiker mit (a) antworten würden […]
Nun, der Rest ist Geschichte. Robert lag mit seiner Prognose weit daneben – inzwischen hat er seine Auffassung auch komplett revidiert. Von meiner eigenen Prognose stimmte zumindest die erste Hälfte, aber ich hatte offenbar die Laien unterschätzt – wobei ich natürlich nur von wenigen Kommentatoren den echten Status (Laie, Hobbyphysiker, Physiker) kenne. Kaum jemand nahm jedenfalls explizit Bezug auf das eventuell in die Irre führende Archimedische Prinzip.
Was mich selbst dabei erstaunt hat, ist dass die Unschärfe des Begriffs “verdrängt” offenbar zumindest in online erreichbaren Quellen kaum thematisiert wird. Einzig in der englischen Wikipedia gibt es eine Fußnote dazu. Oder meine Recherche war ungenügend… Wie auch immer – ich danke allen Kommentatorinnen und Kommentatoren für die eifrige Beteiligung am Exper… ähh, Sommerrätsel!
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