Dieser etwas sperrige Titel stammt von mir (UB), der folgende, deutlich besser lesbare Text, ist die im letzten Beitrag angekündigte
Fortsetzung des Gastbeitrags von Philippe Leick
In einem vorherigen Beitrag habe ich Francis Beauvais‘ Vorschlag diskutiert, Studien zur Wirksamkeit homöopathischer Präparate durch „in situ Randomisierung und Entblindung“ zu verbessern.
Vereinfacht gesagt wird dabei die zentrale Planung einer randomisierten und doppelblind durchgeführten Studie (RCT) durch eine lokale Steuerung ersetzt. Arzt und Patient bekommen nicht einen vorab ausgesuchten, kodiert beschriebenen Therapiesatz, der entweder das zu prüfende Mittel oder ein äußerlich ununterscheidbares Placebo enthält. Stattdessen bekommen sie gleich beide Varianten, ohne aber zu wissen, in welchem Therapiesatz das Verum und in welchem das Placebo sich befindet. Im Anschluss dürfen sie selbst auslosen, mit welchem der beiden Sätze sie arbeiten möchten. Unmittelbar nach Ende der Behandlungs- und Beobachtungsphase, nachdem alle Daten fälschungssicher erhoben wurden, bekommen sie mitgeteilt, ob sie sich für Placebo oder Verum entschieden haben.
Prinzipiell spricht wenig gegen diesen Vorschlag. Nach wissenschaftlicher Logik sollte eine solche Studie, sofern sie sorgfältig durchgeführt wird, zu keinen anderen Ergebnissen führen als ein zentral geplanter RCT. Beauvais argumentiert jedoch anhand der verallgemeinerten Quantentheorie (VQT), dass in seinem Studiendesign subtile, verallgemeinert-quantenmechanische und für die Homöopathie höchst relevante Effekte besser erhalten bleiben. Er erwartet daher „endlich“ deutlich positive Ergebnisse für die Homöopathie in ansonsten nach allen Regeln der Kunst durchgeführten RCTs.
Nach meiner Auffassung ist die Argumentationskette, die ihn zu diesem Vorschlag führt, jedoch alles andere als überzeugend.
Remedies as carriers of significance
In der gleichen Ausgabe von Homeopathy schlägt Yannis Almirantis (1) eine weitere Anpassung des Doppelblind-Protokolls vor. Sein Vorschlag ist ebenfalls praktisch umsetzbar, wird am Rande auch mit der verallgemeinerten Quantentheorie begründet, und kann sogar mit Beauvais‘ Anregung kombiniert werden. Ob die gleichzeitige Veröffentlichung dieser Arbeiten Zufall oder ein „seltsamer Fall von Synchronizität“ ist – oder ob sie schlicht daher rührt, dass die verallgemeinerte Quantentheorie derzeit als theoretischen Unterbau für die Homöopathie im Trend liegt – muss an dieser Stelle nicht weiter interessieren. Bei aller oberflächlicher Gemeinsamkeit unterscheiden sich die beiden Arbeiten nämlich deutlich. Während Beauvais dem Anschein nach ein mathematisches Modell aufbaut, orientiert sich Almirantis vor allem an klassischer homöopathischer Literatur und argumentiert beinahe philosophisch.
Ausgangspunkt ist jedoch auch bei ihm die Feststellung, dass es um rein „mechanistische“ Homöopathie-Erklärungen (wie etwa dem Gedächtnis des Wassers oder einer nicht näher spezifizierten Informationsübertragung von der Urtinktur zur Hochpotenz) nicht besonders gut steht. Da die Homöopathie insgesamt nicht in Frage gestellt werden kann, muss deshalb in Richtung nicht-lokaler Theorien wie der verallgemeinerten Quantenmechanik gedacht werden.
Als weiteres Indiz in diese Richtung sieht Almirantis die komplexen Beziehungen zwischen den Wirkungen der Ursubstanz und den homöopathischen Präparationen bei gesunden Probanden und kranken Patienten. In der Homöopathie wird gemeinhin Ähnliches mit Ähnlichem geheilt – similia similibus curentur. Es werden also Mittel ausgewählt, die beim Gesunden ähnliche Symptome erzeugen wie diejenigen, unter denen der Patient leidet. Das Symptombild homöopathischer Arzneien wird in sogenannten Arzneimittelprüfungen ermittelt. In den Anfangstagen verabreichte Hahnemann unverdünnte Substanzen an gesunde Probanden, später ging er dazu über, Arzneimittelprüfungen mit potenzierten Lösungen durchzuführen, heutzutage wird dafür meist C30 verwendet.
Wie aber verhält es sich zwischen dem Symptombild der unverdünnten Substanz und der homöopathischen Potenz? Almirantis unterscheidet vier Fälle, wobei nur der erste dem klassisch interpretierten simile-Prinzip entspricht:
1. Die unverdünnte Substanz erzeugt Symptome ähnlich denen, die das Homöopathikum heilen soll. Ein Beispiel wäre etwa Coffea Cruda bei Schlaflosigkeit.
Die Potenzierung verstärkt und erweitert in solchen Fällen die Wirkung der Ursubstanz, sie bereichert das Symptombild.
2. Die unverdünnte Substanz wird traditionell als Heilmittel verwendet und weist ähnliche Wirkungen auf wie das Homöopathikum. Beispiel: Chamomilla oder Kamillentee bei Unruhe.
3. Die unverdünnte Substanz hat keine oder vernachlässigbare physiologische Wirkung (z.B. Silica, Aurum Metallicum).
4. Die unverdünnte Substanz hat ganz andere Wirkung als das homöopathische Mittel (z.B. Plumbum).
Almirantis zufolge können alle vier Fälle nach einem verallgemeinerten Simile-Prinzip gedeutet werden. Erfahrenen Homöopathen soll dies auch bewusst sein, die Fälle 2 – 4 würden jedoch kaum diskutiert, aus Angst, dem Anliegen der Homöopathie zu schaden. Besonders intensiv geht Almirantis auf einige Beispiel der dritten Kategorie ein, in denen das Anwendungsgebiet der homöopathischen Arznei bemerkenswert nah an der symbolischen Bedeutung des Wirkstoffs liegt. Das erste von ihm besprochene Mittel ist das bereits erwähnte metallische Gold:
Aurum metallicum is typically prescribed in homeopathy to patients with severe depression. […]
G. Vithoulkas in his “Essences” comments on Aurum patients: “Everything becomes darker and darker, until there seems to be not one ray of light. To these Aurum patients, it is as if the sun has been completely snuffed out”. […]
Parallelism with the symbolisms associated with the couple Gold-Sun comes naturally. Ancient Greek Alchemy (Hellenistic period) associated gold with the sun, as a planet and as a deity, mostly identical to Apollo. […]
The association of gold with the concepts of wealth and money is also inscribed in the profile of Aurum. G. Vithoulkas writes about these patients: “They often are quite wealthy – financiers, bankers, etc.” and later he adds: “It is interesting that Aurum patients value gold (money) a lot”.
I do no attempt here to shrink the Aurum general picture only to its relation with psychological darkness or to the occurrence of its symptoms to wealthy patients. The width of application of this remedy certainly goes beyond these associations, but, as we realize here and in several other cases discussed in the following, correspondence of significance between substance connotations and patients’ idiosyncrasy is a typical feature of homeopathic remedies, not reducible to mere chance.
Im Folgenden werden weitere Metalle beschrieben, das Muster ist dabei ähnlich, die zitierten Autoren sind vor allem James Tyler Kent (1849-1916) und Georgos Vithoulkas (*1932). Vithoulkas gilt als einer der bedeutendsten lebenden Homöopathen, Kent ist in der Geschichte der Homöopathie fast ebenso wichtig wie Hahnemann, sein Repertorium wird auch heute noch in der homöopathischen Praxis verwendet. Korrespondenzen zwischen der Persönlichkeit eines Patienten und „seinem“ homöopathischen Mittel („der Aurum-Patient“) sind dabei recht typisch für Kent, auch wenn er selbst sich wahrscheinlich gegen eine solche Zuordnung gewehrt hätte.
Die genaue Art der symbolischen Entsprechung unterscheidet sich von Fall zu Fall. Mercurius solubilis (Quecksilber bzw. Zinnober) etwa eignet sich für innerlich unruhige, überimpulsive Patienten, aber auch für verschlossene, kontaktscheue Zeitgenossen. Almirantis stellt eine Verbindung zum Götterboten Hermes (Merkur) her, die sich auch im altenglischen Adjektiv „mercurial“ für einen sprunghaften, wechselhaften Charakter niederschlägt. Vithoulkas und indirekt Kent zitierend findet er aber noch eine weitere, auf dem Quecksilberthermometer beruhende Korrespondenz:
One further such correspondence of meaning – this time with a technological use of mercury – is remarked by both Kent and Vithoulkas: “The intolerance to heat and cold illustrates the instability which characterizes the particular Mercurius weakness. As mentioned by Kent, the patient is a living ‘thermometer’”. The above incidence depends on the technology of a given era for characterizing a remedy’s influence on patients.
Es folgt u.a. eine sehr interessante Diskussion zu Tarentula Hispanica, die ich hier aus Platzgründen nicht vollständig wiedergeben kann. Der Biss der europäischen Wolfsspinne (lycosa tarantula) ist vergleichsweise harmlos, wurde aber lange Zeit mit dem Veitstanz bzw. „potentiell tödlicher Ruhelosigkeit“ in Verbindung gebracht. Der auch heutzutage noch gebräuchliche Ausdruck „wie von der Tarantel gestochen“ geht auf diesen Aberglauben zurück. Die Symptome passen aber besser zum Biss der wesentlich giftigeren europäischen schwarzen Witwe (latrodectus tredecimguttatus), obwohl auch diese Deutung umstritten ist. Dennoch gehört das potenzierte Gift der europäischen Wolfsspinne auch heute noch zur homöopathischen Apotheke. Es wird für „nervöse, hysterische Patienten“ bzw. gegen „abnorm stark ausgeprägten Bewegungsdrang, gestörte Bewegungsabläufe und Zuckungen mit Muskelkrämpfen“ empfohlen.
Almirantis zufolge spricht die uneinheitliche, oft symbolbehaftete oder bedeutungsschwangere Zuordnung zwischen den von der „rohen Substanz“ und der homöopathischen Potenz verursachten Symptomen gegen einen streng kausalen oder deterministischen Erklärungsansatz. Auch die nicht besonders hohe Reproduzierbarkeit der Effekte deutet in diese Richtung. Ganz ähnliche Gedanken findet man im Übrigen auch bei Harald Walach (2) und Walter von Lucadou, die zu den wichtigsten Verfechtern der verallgemeinerten Quantentheorie gehören.
Das bessere homöopathische Placebo
Am Schluss seines Papers schlägt Almirantis eine kleine Veränderung in der Auswahl homöopathischer Placebos vor. Stand der Technik ist heute die Herstellung eines homöopathischen Scheinmedikaments entsprechend aller homöopathischen Vorschriften, mit aufeinanderfolgendem Verdünnen und Schütteln, nur ohne Urtinktur. Solche „leeren“ Arzneien möchte Almirantis durch willkürlich aus einem großen Pool ausgewählte, für den betroffenen Patienten also falsche homöopathische Präparate ersetzen. Mit dem Einsatz solcher „quasi-Placebos“ würde die Reproduzierbarkeit des Versuchsdesigns etwas gelockert. Aus Sicht von Skeptikern, die nach kausalen oder materiellen Ursachen suchen bzw. alle homöopathischen Hochpotenzen für prinzipiell ununterscheidbar halten, dürften die Versuchsergebnisse sich dadurch nicht ändern.
Auch aus homöopathischer Sicht sind die falschen Arzneien Placebos, da sie zufällig ausgesucht wurden und nicht zum Symptombild des Patienten passen. Sicherheitshalber könnten aber „sehr spezifische, potentiell gefährliche“ Mittel aus dem Pool ausgeschlossen werden.
Almirantis‘ Ziel ist es, placebokontrollierte Studien weniger wiederholbar zu machen. „Flüchtige Effekte“, die mit der schwachen Quantentheorie in Verbindung gebracht werden, sträuben sich nämlich gegen kontrollierte Beobachtung oder die immer gleiche Wiederholung eines Versuchs. Sie treten nur auf, wenn die Randbedingungen einen gewissen Neuigkeitswert haben oder die Kontrollen nicht zu streng sind. Auch das scheue Psi gehört nach von Lucadou in diese Kategorie. Wenn zu intensiv nach einer bestimmten Manifestation gesucht wird, macht es sich rar oder tritt an anderer Stelle überraschend auf (3). Almirantis erwartet daher in RCTs, die seine Anregung umsetzen, erstmals höhere Erfolgsraten für die Homöopathie- als für die quasi-Placebo-Gruppe – „sofern nichtlokale Faktoren eine wichtige Rolle bei der homöopathischen Heilung spielen“.
Zusammenfassung
Man kann Almirantis‘ gut geschriebene Arbeit auch ohne Kenntnis der Quantenmechanik mit einigem Gewinn lesen. Sie bietet interessante Einsichten in die Denkweise der Homöopathie, für Zyniker vielleicht auch einige schreiend komische Momente. Aber haben wir es hier mit dem praktisch durchführbaren Vorschlag eines Experimentes zu tun, mit dem nichtlokale Erklärungsansätze der Homöopathie experimentell geprüft werden könnten?
Almirantis versucht nicht, so präzise zu argumentieren wie Beauvais, dadurch macht er sich weniger angreifbar. Wenn in meiner Zusammenfassung nicht ersichtlich wurde, wie er zu seinem Vorschlag gekommen ist, falsche Homöopathika als Placebo zu verwenden… dann liegt es daran, dass auch in der vollständigen Arbeit entsprechende Hinweise fehlen. Das Herzstück seines Papers fällt im letzten Absatz aus heiterem Himmel.
Es besteht kein Zweifel daran, dass sowohl Almirantis‘ wie auch Beauvais‘ Vorschläge praktisch umgesetzt werden könnten. Nur ist in beiden Fällen die Verbindung zwischen Verallgemeinerter Quantentheorie, dem darauf basierenden Homöopathie-Modell und dem veränderten Studienprotokoll so vage, dass eventuelle Ergebnisse – ob positiv oder negativ – zu fast jeder Hypothese passen sollten.
Dem Anspruch, die Verbindung zwischen schwacher Quantentheorie und Homöopathie mit überprüfbaren Vorhersagen zu ergänzen und so die wissenschaftlichkeit des Ansatzes zu stärken, werden beide Vorschläge nicht gerecht. Sie sind zwar praktikabel und überprüfbar, aber bei näherer Betrachtung erweist sich ihre Verbindung zur Ausgangshypothese als ähnlich solide wie ein Kartenhaus.
Literatur
(1) Y. Almirantis: Homeopathy – between tradition and modern science: remedies as carriers of significance, Homeopathy 102:114-122, 2013
(2) H. Walach: Magic of Signs: A Nonlocal Interpreation of Homeopathy, Journal of Scientific Exploration 13(2):291-315, 1999
(3) W. von Lucadou, H. Römer and H. Walach: Synchronistic Phenomena as Entanglement Correlations in Generalized Quantum Theory, Journal of Consciousness Studies 14(4):50-74, 2007
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