Meinen Stammleserinnen und -lesern muss ich Dr. Hans-Werner Bertelsen ja nicht mehr vorstelle. Für alle anderen: Herr Bertelsen ist ein kritischer Zahnmediziner aus Bremen, der sich intensiv mit pseudomedizinischen Therapien in der Medizin und insbesondere in der Zahnheilkunde auseinandergesetzt hat. Der folgenden Beitrag widmet sich der, nun ja, “Problematik”, dass in Deutschland Zahnärzte nicht – wie gewöhnliche Ärzte – einfach mit irgendeinem Quacksalber-Voodoo an ihren Patienten herumpfuschen dürfen. Dadurch entgeht ihnen ein hübsches Zusatzeinkommen. Also was tun? Eine Lösung bietet sich an: Heilpraktiker müsste man werden! Oder doch nicht?
Ein Gastbeitrag von Hans-Werner Bertelsen
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Buchen oder nicht buchen?
Entscheidungen können einfach sein. Wenn man an Kinesiologie glaubt, kann einem jede Entscheidung abgenommen werden, sei sie auch noch so banal. Nie wieder dieses dumpfe Gefühl, das mich bei einer Entscheidung überkommt. Habe ich jetzt den richtigen Handyvertrag, den richtigen Urlaubsort, das richtige Zahnprothesenmaterial ausgewählt? Aber ich glaube nicht an Kinesiologie, weil ich die Beliebigkeit dieser Manipulationstechnik ausführlich kennengelernt habe. So stehe ich also hilflos vor der Entscheidung: Soll ich den Heilpraktikerkurs für Zahnmediziner bei dem Fortbildungsinstitut „eazf“ der Königlich Bayrischen Zahnärztekammer buchen, oder soll ich mir mit den € 5.500,- lieber einen Gebrauchtwagen kaufen?
Hin und her habe ich überlegt. Als Entscheidungshilfe habe ich mir drei Betrachtungsweisen zuhilfe genommen.
- Die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise
- Die qualitätsorientierte Betrachtungsweise
- Die Frage des beruflichen Gewinns
Die betriebswirtschaftliche Betrachtung
Wenn ich mir den Werbeprospekt ansehe, so erfahre ich, dass der Kurs 14-tägig jeweils freitags in der Zeit von 13 bis 20 Uhr und samstags in der Zeit von 9 bis 15.30 Uhr stattfindet. Ziehe ich die übliche Mittagspause und die Kaffeepause ab, verbleiben mir als Nettounterrichtszeit freitags sechs Stunden und samstags fünfe Stunden, also pro Unterrichtsblock elf Stunden. Im Monat addieren sich zwei Blöcke auf 22 Stunden. Der Kurs ist nach 11 Monaten beendet, also nach 242 Unterrichtsstunden. Bei einer Kursgebühr von € 5.500,- addieren sich die Einnahmen aus 16 Kursteilnehmern zu einer Summe von € 88.000,-. Ich besuche nur Qualitätsfortbildungen, und so möchte ich wissen, ob ich mit guten Dozenten rechnen kann. Hierzu teile ich die Einnahmen durch die Zahl der Unterrichtsstunden und erhalte folgende Rechnung: € 88.000,- : 242 = € 363,64.
Die Einnahmen des Veranstalters betragen also pro Stunde € 363,64. Ziehe ich jetzt die Raumkosten und die Heizkosten sowie die Kosten für Werbung und Organisation ab, so bleiben mir über den Daumen gepeilt € 300,- als Stundenlohn für die Dozenten übrig. Und nun kommt die Gretchenfrage:
Kann ich Top-Dozenten für € 300,- pro Stunde erwarten? Schließlich lautet die Aufgabe, man solle mir innerhalb kurzer Zeit ein mir völlig unbekanntes Geheimwissen vermitteln. Das könnte auch an 20 aufeinanderfolgenden Tagen geschehen, aber man gestaltet die Wissensvermittlung rücksichtsvoll so, dass ich als berufstätiger niedergelassener Zahnarzt in den Genuss dieser Ausbildung komme.
Die qualitätsorientierte Betrachtung
Diese Frage kann ich versuchen, mithilfe der im Fortbildungsprospekt aufgeführten Dozentenliste zu beantworten. Hierzu mache ich mir analog zu der in der Alternativmedizin gängigen Beliebigkeitsmethodik ein semiquantitatives Bewertungsschema. Maximal drei Punkte gebe ich dem Dozenten jeweils für die Kriterien Glaubwürdigkeit in Bezug auf einen Heilauftrag (G), für seriöse Fachspezifität (F) und für Erfahrung in der Zahnmedizin (E).
1. Dr. Reinhard Probst – niedergelassener Mediziner in einer Praxis ohne Wartezeiten, selbst kein Heilpraktiker, empfohlen von der „Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr“
G+++ F+ E0
2. Dr. Alexander Dorsch – renommierter Anästhesist, engagiert in der Pädiatrie, enorm wichtiges Fachwissen, wegen möglicher anaphylaktischer Schocks nach Injektion
G+++ F+++ E0
3. Stefan Duschl – gelernter Programmierer und Betriebswirt, danach Umschulung zum Heilpraktiker, Coach, Unternehmensberater, Dozent
G+ F0 E0
4. Marc Elstner – Betriebswirt, Inhaber einer Consultingfirma, Zusammenarbeit mit zahnärztlicher Abrechnungsdienstleisterin (fünf Referenzen)
G0 F++ E+
5. Susanne Gärtner – gelernte Hotelfachfrau, Lehramtsstudium (unklar, ob Abschluss), Masseurin, Qi-Gong-Kursleiterin, seit 2011 Heilpraktikerin
G++ F0 E0
6. Rainer Schwabe – Dipl. Sportlehrer, Heilpraktiker
G+++ F+ E0
Macht 20 von 54 möglichen Punkten. Schulnote 5. Nicht gerade berauschend. Für mich absolut nicht überzeugend. Also stürze ich mich auf die dritte Betrachtungsmöglichkeit.
Der berufliche Gewinn
Ich erhalte mit Absolvierung dieses Kurses „Rechtssicherheit“. Bedeutet dies, dass ich vor Gericht nicht verklagt werden kann, weil meine Methoden keinen gültigen Standards im Bereich der evidenz-basierten Medizin genügen müssen? Da muss ich nochmal nachfragen. Dann wird mir ein „Schutz vor Abmahnverfahren“ versprochen. Wozu brauche ich das, wenn ich Menschen helfen möchte? Da muss ich auch nochmal nachfragen. „Therapiefreiheit“ – herrlich. Ich kann also tun und machen was ich will und muss mich nicht mehr an diesen Quatsch halten, den ich im Zahnmedizinstudium eingetrichtert bekommen habe. „Erfüllung von Patientenforderungen nach Einbindung von alternativen Heilverfahren“ – aha. Gefälligkeitstherapien sind also hier erlaubt. Das beruhigt. „Keine Abrechnungsbeschränkungen für die von Ihnen durchgeführten Therapien“ – ich verstehe. Der rollende Rubel. „Erstattung der Leistungen durch immer mehr Privatversicherungen“ – es könnte auch heißen, die Gesetzlichen Krankenkassen zahlen keinen Unfug, weil sie sich nicht bei ihren Versicherten anbiedern müssen. Aber andersherum klingt gut. Ich bin mir noch unsicher und habe nochmal nachgerechnet. Zu den Kursgebühren von 5.500,- Euro kommen nochmal 22 Freitage Umsatzausfall hinzu. Aber unter dem Strich wird sich das schon rechnen. Schließlich sind Betriebswirte unter den Dozenten.
Schlussbetrachtung
Bedenken habe ich, weil nur zwei von sechs Dozenten einen fundierten medizinischen Hintergrund besitzen, wenn auch keinen, der speziell auf die Erfordernisse von Zahnärzten ausgerichtet ist. Der meiner Ansicht nach wichtigste Part wird von einem Anästhesisten übernommen. Weil es Heilpraktikern erlaubt ist, Injektionen zu verabreichen, muss stets mit einer Unverträglichkeitsreaktion, auch einem anaphylaktischen Schock, gerechnet werden. Lebensrettendes Fachwissen, wie die Injektion von gefäßverengenden Mitteln und Cortison, ist enorm wichtig. Damit nicht, wie ich es selbst erlebt habe, jemand zu Tode kommt.
Einer der Dozenten zeigt einen geradlinigen beruflichen Weg, der streng an einer Gewinnorientiertheit ausgerichtet ist, aber völlig frei ist von medizinischen Kenntnissen. Drei Dozenten zeigen einen solch verworrenen Ausbildungsweg, dass ich mich frage, was denn als nächster Schritt kommen mag. Bedenken habe ich aber noch wegen einer anderen Kleinigkeit. Im Zuge der EU-Harmonisierung ist man in Brüssel bestrebt, den Beruf des Heilpraktikers zu verbieten. Die „Ausbildung“ findet in dieser Form nur in Deutschland statt und ist in anderen europäischen Ländern weder anerkannt, noch ist die Ausübung erlaubt. Es kann also sein, dass der Kursus für die Katz ist. Da muss ich nochmal drüber nachdenken.
Wie würden Sie entscheiden?
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