Bericht über den ersten in einer Reihe von sechs Vorträgen von Dr.med. Dietmar Hager im Ars Electronica Center, Linz.
Ein Gastbeitrag von Dr. Stefan Uttenthaler
Am Freitag, dem 20. September 2013 um 18:30 Uhr startete die Vortragsreihe „Die Sternzeichen im Jahreskreis“, gehalten von Dr.med. Dietmar Hager im 3D-Projektionsraum des Ars Electronica Center (AEC) in Linz. Ich muss vorausschicken, dass ich Dietmar Hager als hervorragenden Amateurastrophotographen und engagierten Vorkämpfer gegen Lichtverschmutzung schätze. Umso erstaunter, ja betroffener, war ich, als ich vor kurzem von dieser Vortragsankündigung erfuhr. Im Zuge meiner Recherchen musste ich auch feststellen, dass nicht nur Dietmar sondern auch seine Frau, eine ausgebildete Krankenschwester, seit 2011 in der WKO als gewerbliche Astrologen eingeschrieben sind. Auch wenn es selbstverständlich ist, möchte ich hier betonen, dass sich meine folgende Kritik nicht an Dietmar als Person, sondern ausschließlich an seinen Vortrag und die darin vermittelten Inhalte richtet.
Jeder der sechs geplanten Vorträge soll ein jeweils im Jahr gegenüberliegendes Paar von Sternzeichen behandeln, das Duo zum Auftakt bildeten Widder und Waage. Dass er dabei keine wie immer gearteten Berührungsängste zu Astrologie und Esoterik hat, bewies der Sprecher nicht nur mit dem Titel, sondern gab er gleich zu Beginn des Referats unverwunden zu. Er stellte die Frage, „ob wir über den Rand der Naturwissen-schaften hinausschauen“ können. Außerdem wurde angekündigt, dass sich der Vortrag um Feiertage, vorwiegend solche mit (angeblich) astronomischem Bezug, sowie um Heilpflanzen, die im Zusammenhang mit den vorgestellten Sternzeichen stehen sollen, drehen wird.
Um einen Eintrittspreis von € 10,- würde man vielleicht einen qualitätsvollen Vortrag erwarten, aber was dann folgte, lässt sich schwer in einem logisch zusammenhängenden Bericht wiedergeben. Kurz gesagt war der Vortrag das, was man bekommt, wenn man Astrologie, Astronomie, Mythologie, Religion, Kultur, Geschichte, Medizin und viele bunte Bilder in einen Topf wirft, mit einem Mixer kräftig durchmixt, und das entstehende Amalgam mit den Worten „jeder soll sich mitnehmen, was er will“ dem Zuhörer serviert. Das mag sich vielleicht nach bösen Worten anhören, aber anders kann man es wohl nicht beschreiben. Ein roter Faden ließ sich kaum erkennen. Es gab bestenfalls einige „Motive“, die sich im Lauf des Referats in variierender Form wiederholten.
Motiv 1 ist die Reise in 3D weg von der Erdoberfläche über das Sonnensystem, die nächsten Nachbarsterne, die Milchstraße bis zu den entferntesten Galaxien, die im Deepspace des AEC natürlich sehr eindrucksvoll mit entsprechenden 3D-Brillen zu verfolgen ist. Der Sprecher sprang immer wieder mal auf diese Reise, um noch einen Schritt weiter ins All hinaus zu machen, und um am Schluss wieder auf die Erde zurück zu kehren.
Das zweite Motiv bildete Giordano Bruno, der angeblich schon im 16. Jahrhundert „über die Grenzen der Naturwissenschaft hinaus“ ging und das „kosmozentrische Weltbild“ begründete, wobei letzteres eine Wort-schöpfung des Vortragenden zu sein scheint. Während zu dieser Zeit angeblich die „fünfsinnige“ Natur-wissenschaft gerade mal das heliozentrische Weltbild aus der Taufe gehoben hatte bzw. noch mit der Kirche um heliozentrisch vs. geozentrisch stritt und die Fixsterne als eine Art Einlagearbeit auf einer gläsernen Kugel betrachtete, hatte Giordano Bruno bereits erkannt, dass die Sonne ein Stern ist und jeder Stern eine Sonne mit eigener Einflusssphäre und Planetensystem ist. Dies hat er laut dem Vortragenden dadurch geschafft, dass Bruno bereit war, „jenseits der fünf Sinne wahrzunehmen“, da er ein akribischer und genauer Naturbeobachter war, obwohl er nie durch ein Fernrohr geschaut hatte. (Dieses wurde wohlgemerkt auch erst für astronomische Zwecke eingesetzt, als Giordano Bruno von der katholischen Kirche längst zu Asche gemacht worden war). Die hier herauszuhörende, aber nie ganz klar ausgesprochene Kritik an der etablierten (Natur)Wissenschaft kann nicht als Zufall betrachtet werden. Was der Vortragende allerdings genau mit „jenseits der fünf Sinne“ meinte, wurde nicht erklärt.
Ein drittes Motiv bildete der Verlust des Bezuges zur Natur, an der die moderne Gesellschaft im Vergleich zu unseren Vorfahren vor Jahrhunderten und Jahrtausenden leidet, und damit verbunden ein Verlust an Verantwortung und Wertschätzung für die Natur. Dies war garniert mit einer mehr oder weniger deutlichen Gesellschaftskritik, an der das eine oder andere richtig sein mag, aber man fragt sich: Was hat das mit dem Thema Sternzeichen zu tun?
Neben diesen Motiven stachen vor allem die vielen meist haarsträubenden Analogien ins Auge, die im Vortrag mit dem lapidaren Hinweis „Wie im Großen, so im Kleinen“ präsentiert wurden. Laut Vortragendem gibt es eine Analogie zwischen dem Rhythmus von Tag und Nacht, den Jahreszeiten, dem menschlichen Pulsschlag, und dem Rhythmus der Sternentstehung. Wo hier eine Analogie zu erkennen ist, außer dass es sich um mehr oder weniger zyklisch wiederkehrende Ereignisse handelt, ist nicht erkennbar. In Linz durfte natürlich Keplers „Harmonices Mundi“ nicht fehlen, in der er eine Analogie zwischen den Planetenbahnen und den Tönen der Musik suchte, ein Unternehmen, das trotz der Verdienste Keplers zum Scheitern verurteilt war. Es wurde eine Analogie gezogen zwischen den Spiralen eines Schneckenhauses, eines Hurrikans und einer Spiralgalaxie. Es ist erstaunlich genug, dass in ihren Konstruktionen jeweils die Fibonacci-Zahlen zu finden sind, es ist aber auch klar, dass die physikalischen Gesetze und Kräfte, die jeweils am Werk sind, völlig andere sind. Eine weitere, besonders haarsträubende Analogie wurde zwischen den Strukturen in einer kosmologischen Computer-simulation („Cosmic Web“) und der Struktur eines Neurons im menschlichen Gehirn gezogen. Abgesehen davon, dass wir alles andere als sicher sein können, dass diese kosmologischen Simulationen richtig sind, da sie auf sehr vielen Annahmen und Vereinfachungen basieren und eine beobachtungsseitige Bestätigung noch in Arbeit ist, war hier auch die Behauptung falsch, dass ein menschliches Neuron „nur ein paar Nanometer“ groß sei. Schon ein kurzer Blick in Wikipedia zeigt, dass menschliche Neuronen eine Größe von zumindest einigen Mikrometern haben. Von einem Mediziner kann man durchaus verlangen, das zu wissen, oder zumindest sauber zu recherchieren.
Es wurden seltsame Querverbindungen zwischen den Ägyptern, die die Sonne zum obersten Gott erhoben hatten, der Himmelsscheibe von Nebra und Stonehenge gezogen. Swastika wurden als Sonnensymbole an Buddhastatuen und an den Wänden der Grabeskirche von Jesus präsentiert. Der Zusammenhang hier? Die Beobachtung und Verehrung der Natur, was sonst! Die Herkunft des Sonnensymbols, eines Kreises mit einem Punkt in der Mitte (⊙), kommt angeblich von der Analogie zwischen der Sonne (Punkt), die vom sphärischen „termination shock“ des Sonnenwindes (Kreis) umgeben ist. Diese Heliosphäre, von der der termination shock ein Teil ist, stellt angeblich den von Giordano Bruno postulierten „Einflussbereich“ der Sonne und anderer Sterne dar, nicht wissend (oder ignorierend), dass die Oortsche Kometenwolke der Sonne ein Vielfaches größer als die Heliosphäre ist.
Den Vogel abgeschossen hat der Vortragende aber mit jener Analogie, die er zwischen dem Widder-Symbol, in dem die Hörner eine Art sich aufweitendes V bilden, und der Armhaltung des österreischischen Apnoetauchers Herbert Nitsch beim Auftauchen sah. Damit musste der Widdergeborene (Geburtsdatum 20.4.!) quasi Apnoetaucher werden! Dass es mit Sicherheit auch Taucher mit Sternzeichen Löwe oder Skorpion gibt, fand keine Erwähnung.
Ich komme nicht umhin, auch faktisch falsche Darstellungen, fragwürdige Behauptungen und Zirkelschlüsse aufzuzählen. Ein nicht zu verzeihender Fehler ist die Verwechslung von Sternzeichen, auch Tierkreiszeichen genannt, von denen es nur zwölf entlang der Ekliptik gibt, und Sternbildern, von denen es insgesamt 88 gibt. Einem Astronomen tut es im Herzen weh wenn er hört, dass die Andromeda, der Große Bär und der Kleine Bär (bzw. Großer Wagen und Kleiner Wagen) Sternzeichen seien.
Der Vortragende sprach von einer Pyramide in Äypten, die wesentlich älter als alle anderen sei. Nun, eine muss die älteste sein, dass es aber eine gibt, die wesentlich älter als alle anderen ist, davon ist mir nichts bekannt. Weiters behauptete er, dass Menschen in der modernen Zivilisation im Durchschnitt nur mehr 1% der Tageszeit im Freien verbrächten. Ein Prozent von 24 Stunden wären knapp 14,5 Minuten, ein unplausibel niedriger Wert. Wenn man unter „Tageszeit“ nur die Zeit versteht, die die Sonne über dem Horizont steht, wird es noch unglaubhafter.
Auf einer Folie stand geschrieben: „Inuit: Sonne = Gottes-Lampe. Lampe Gottes. Lamp, Lamm Gottes… Wiederkehr des Lichts am 21.12.“. Dazu sagte der Vortragende, er mache jetzt eine „Lautverschiebung“ von „Lampe“ zu „Lamm“. Eine Suche auf www.etymonline.com ergibt dagegen, dass Lampe und Lamm etymologisch keine gemeinsame Wurzel haben, dass also diese „Lautverschiebung“ so nicht stattgefunden hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die „Gottes-Lampe“ der Inuit nichts mit dem „Lamm Gottes“ (ein Symbol für Jesus im christlichen Kulturkreis) zu tun, was auch wirklich sehr überraschend wäre.
Erstaunlich war auch die Herleitung der Bezeichnung Tierkreis, die sich laut dem Vortragenden vom keltischen [sic!] Licht-Gott Tyr ableitet: Tyr → Tyr-Kreis → Tierkreis. Erstens war Tyr eine nordischer (germanischer) Gott, kein keltischer. Zweitens leitet sich die Bezeichnung Tierkreis von der Übersetzung von „Zodiak“ ab; „zodion“ ist das Lebewesen, „Zodiak“ ist somit der „Kreis der Lebewesen“. Diese Beispiele zeigen, wie schlecht recherchiert der Vortrag war.
Ein herrlicher Zirkelschluss war „Tradiert wird nur, was Bestand hat“, aber vielleicht war das auch nur auf einen Konzentrationsfehler nach mehr als einer Stunde Sprechzeit zurückzuführen.
Erst sehr zum Schluss des insgesamt 1 ¾ Stunden dauernden Vortrags kam die Sprache tatsächlich auf die Stern-zeichen Widder und Waage. Dabei wurden auch kurz astronomische Inhalte präsentiert. Grundtenor war, dass sowohl Widder als auch Waage astrophotographisch wenig her geben. Nur auf eine Aufnahme eines gravitativ interagierenden Galaxienpaars im Widder (NGC 772) wurde etwas näher eingegangen.
Schnell kam aber die Diskussion auf Heilpflanzen, die mit den beiden Sternzeichen verbunden sein sollen. Verschiedene angebliche Wirkungen der Heilpflanzen wurden präsentiert. Besonders verstörend ist hier im Nachhinein, dass in diesem Zusammenhang von „Studien“ die Rede war, die dieses oder jenes belegen sollen, der Vortragende auf Anfrage per E-Mail nach dem Vortrag jedoch keine einzige dieser Studien vorweisen konnte. So wurde z.B. im Vortrag behauptet, dass „statistisch signifikant, und wie wir aus modernen Untersuchungen wissen, die Venus dem Waage-Prinzip zuordenbar ist“, was immer das heißen mag. Auf die E-Mail-Anfrage kam dazu nur ein kruder Hinweis auf die (unhaltbare) Signaturlehre des Paracelsus, der mit Sicherheit keine Statistik mit seinen Beobachtungsergebnissen betrieben hat. Weiters kann angeblich „die Ringelblume den Säure-Basen-Haushalt sehr günstig beeinflussen, das ist sehr gut untersucht und in kontrollierten Studien konfliktfrei [sic!] nachgewiesen“, und überhaupt gibt es eine Reihe von Heilpflanzen, die sowohl Bluthochdruck als auch Niederdruck lindern können, was kein pharmazeutisches Heilmittel könne. Auf meine kurze E-Mail-Anfrage, auf die man eine ebenso kurze Antwort erwarten könnte, kam eine ellenlange Nachricht, die aber nichts weiter enthielt als den Hinweis auf angebliche Heilpflanzen-Monographien der WHO, die ich selber recherchieren könne, und auf den gelinde gesagt umstrittenen Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl (dessen Name auch noch falsch geschrieben war). Man kann es nicht anders sagen als dass hier die Zuhörer wenn nicht absichtlich dann zumindest fahrlässig in die Irre geleitet und mit falschen Tatsachen gefüttert wurden.
Ein Hinweis auf die Homöopathie durfte nicht fehlen, als festgestellt wurde, dass der Sonnenhut eine bedeutsame Rolle sowohl auf homöopathischer als auch auf allopathischer Ebene spielt.
Wertfrei, aber wenig überraschend muss man feststellen, dass sich das Publikum zur Mehrzahl aus Frauen im mittleren bis fortgeschrittenen Alter zusammensetzte. Die Frage, die ich mir zum Schluss stellte, war, welches Publikum die Vortragsreihe an den kommenden Abenden ansprechen soll. Sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch orientierte Menschen fühlen sich von so einem „Alles und Nichts“ wohl kaum angezogen. Ob für astrologisch-esoterisch orientierte Menschen genug „Inhalt“ dabei ist und ob es in Linz genügend Interessenten aus diesem Metier gibt, muss sich wohl weisen.
Das AEC ist eine von der Stadt Linz, dem Land Oberösterreich und dem Bund finanzierte Einrichtung. Gerade bei öffentlichen Geldern besteht eine besondere Verantwortung für deren Verwendung. Ich bin der festen Meinung, dass Themen wie Astrologie und Esoterik in einer öffentlichen Einrichtung nichts verloren haben, vor allem, wenn sie so unkritisch präsentiert werden. Um solch unerfreulichen Entwicklungen einen Riegel vorzuschieben, kann ich dem AEC nur raten, sich bald einen wissenschaftlichen Beirat zuzulegen, der die geplanten Aktivitäten auf ihre wissenschaftliche Sinnhaftigkeit prüft und im Fall des Falles eine Veranstaltung aus dem Programm nimmt.
Zum Abschluss möchte ich den Satz anbringen, mit dem meine Begleitung den Abend sehr treffend zusammen-gefasst hat: „Ich gehe gerne in einen wissenschaftlichen Vortrag und ich gehe auch gerne in eine Märchen-stunde, aber beides zusammen ist mir zu viel!“
Mein Dank gilt Doris Vickers für ihre Hilfe bei linguistischen und geschichtlichen Fragen.
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