In einem beinahe so wissenschaftsfeindlichen wie tierfreundlichen Land wie Österreich kann, wie die Ereignisse der jüngsten Tage eindrucksvoll zeigen, eine an sich harmlose wissenschaftliche Studie beinahe zu einem Umsturz führen. Nur knapp ging das Land an einer Katastrophe vorbei. Wie konnte das geschehen? Kritisch gedacht deckt die Hintergründe auf.
Die inzwischen als “Streichelstudie” berühmt gewordene Arbeit eines internationalen Forscherteams, an der auch Prof. Rupert Palme von der Veterinärmedizinischen Universität Wien (VetMed) mitgewirkt hatte, wurde am 2. Oktober 2013 in der Fachzeitschrift Physiology & Behavior veröffentlicht. Vorgestern, am 8. Oktober, schockte die Wissenschaftsredaktion der renommierten Gratiszeitung Heute nach tagelanger Recherche die ganze Nation mit der neuen und unumstößlichen wissenschaftlichen Erkenntnis, zu der die Studie gelangt war: Katzen hassen es, gestreichelt zu werden!
Noch am selben Tag erhielt Heute knapp vier Millionen empörte Leser-Zuschriften. Wissenschaftler hatten ihnen unterstellt, dass sie ihre Lieblinge durch unbarmherziges Streicheln seit Jahren unnötig in Angst und Stress versetzten! Der Autor des Zeitungsartikels, ein durch spektakuläre undercover-Recherche bekannter investigativer Wissenschaftsjournalist, sah sich daraufhin in die Defensive gedrängt. Um die Gemüter zu besänftigen, versah er seine nächste Streichelstudienschlagzeile mit einem Fragezeichen. Doch die Fakten lügen nicht. Auch die später hinzugezogene Tierexpertin bestätigte: “Niemand mag dauernd gestreichelt werden“. Und selbst die letzten Zweifler verstummten, als noch am selben Tag die offizielle Stimme Russlands nachlegte: Streicheln schadet der Gesundheit von Katzen!
Der Zorn der österreichischen Katzenliebhaber war nicht mehr zu bändigen. Über Twitter wurde noch am Mittwoch Abend ein Protestmarsch zum Wissenschaftsministerium organisiert, wo tausende Tierfreunde unter aufgebrachtem Schnurren Minister Töchterle notfalls mit Gewalt dazu bringen wollten, die VetMed mit sofortiger Wirkung zu schließen und das Resultat der frevelhaften Studie öffentlich zu widerrufen. Eine militante Splittergruppe eines einschlägig bekannten Vereins von Tierrechtsaktivisten versuchte diesen Forderungen auf internationaler Ebene Nachdruck zu verleihen, indem sie den frischgebackenen Physik-Nobelpreisträger Peter Higgs nach Wien entführte und in einer Kleider Bauer Filiale versteckte.
Während eine Spezialeinheit der Cobra die protestierenden Katzenfreunde nur mit Mühe in Schach halten konnte, berief Töchterle eiligst eine Krisensitzung ein. Die zu Hilfe gerufenen Regierungsbeamten handelten schnell. Zuerst kontaktierte man Frank Stronach in Kanada, schilderte ihm den Ernst der Lage und versprach ihm eine für seine Partei günstige Neuauszählung der Stimmzettel der vergangenen Nationalratswahlen. Man einigte sich rasch auf 12,8%. Gegen Mitternacht kaufte Stronach den Elsevier-Verlag, den Eigentümer der Zeitschrift, in der die Studie erschienen war. Unmittelbar danach vertauschte man die Zahlen, die der Auslöser des ganzen Tumults gewesen waren. Seither liest sich die inkriminierte Passage in der online-Version der Studie gänzlich unspektakulär:
there were only 4 cats in the category “disliking [being petted]” while 13 in the category “tolerating” and 85 “enjoying”
Damit war zumindest auf dem Papier die Basis dafür gelegt, um die aufgebrachte Menge zu beruhigen. Was noch fehlte, war die mediale Verbreitung der nächtlichen Datenfälschung. Ein beamteter Journalist des Staatsfunks erhielt unverzüglich die Weisung, ein Dementi zu lancieren. Wenig später erschien dieses auf der Webseite des ORF: Katzen wollen doch gestreichelt werden, ließ diese nun wissen, untermauert durch frei erfundene angebliche Zitate von Prof. Palme.
So ethisch bedenklich diese Vorgangsweise auch erscheinen mag, sie erreichte jedenfalls ihr Ziel. Blitzschnell verbreitete sich der Widerruf über die sozialen Netzwerke der Katzenbesitzer. Der Pöbel auf dem Minoritenplatz beruhigte sich und zog ab, die verbleibenden Randalierer wurden von der Cobra weggeknüppelt, und als die ersten Frühaufsteher zur Arbeit eilten, war von den nächtlichen Krawallen keine Spur mehr zu sehen. Seither ist die Welt in Österreich wieder in Ordnung. Nur Prof. Higgs zu befreien hatte man in dem Trubel vergessen.
Auf der Strecke bleibt leider die Gratiszeitung Heute, die doch lediglich der Meinung war, dem Österreicher sei die Wahrheit zuzumuten. Sie steht jetzt wie ein dummes Boulevardblatt da, deren Redakteure wissenschaftliche Studien nicht lesen oder nicht verstehen. Oder im Dienst besoffen sind. Das ist echt gemein.
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