Am 19. März ist das neue profil-wissen erschienen, und die Titelgeschichte “Warum Alternativmedizin nicht wirkt (aber manchmal hilft)” lässt schon erahnen, dass sich darin eine Menge angenehm skeptischer Beiträge finden – eine Wohltat nach all dem unkritischen Alternativ-und-Komplementär-PR, den wir uns zwangsläufig oft zu Gemüte führen müssen! Skeptische Beiträge kommen natürlich nicht ohne Skeptiker aus, und deshalb stoßen Sie in dieser Ausgabe des profil-wissen auf Ihnen sicher bekannte Namen wie Krista Federspiel oder Edzard Ernst genauso wie auf ein ausführliches Interview mit Kritisch-gedacht-Gastautor Hans-Werner Bertelsen. Und schließlich findet sich in dem Heft auch ein Beitrag von mir selbst, in dem unter anderem der Einzug der Kugerlwissenschaft, aka Homöopathie, in die Unis beleuchtet wird. An aktuellen Fällen mangelt es ja leider nicht. Meine Empfehlung wäre ja, das ganze Heft zu kaufen, aber zumindest meinen eigenen Beitrag gibt’s hier auch online.
Akademische Globulisierung
Ulrich Berger über die fortschreitende und höchst irritierende Unterwanderung der Universitäten durch die Pseudowissenschaft. Wie Quacksalberei jetzt mit hochtrabenden Titeln verbrämt wird.
Irgendwann im Frühjahr 2007 platzte David Colquhoun der Kragen. Seit Jahren hatte der renommierte Pharmakologe vom University College London gegen die zunehmende Verbreitung der in seinen Augen absurdesten aller alternativen Heilslehren angekämpft. Und nun das. “Diskutieren Sie, inwiefern die Symptome von Psorinum und Sulphur die miasmatische Natur dieser Arzneimittel widerspiegeln”, lautete eine Prüfungsfrage, die ein Student der University of Westminster ihm zugespielt hatte. Ein Miasma steht in der homöopathischen Lehre für eine Art Urübel, das für chronische Krankheiten verantwortlich ist. Sulphur, also Schwefel, wird in der Homöopathie oft bei Patienten mit Hautausschlägen eingesetzt, ebenso wie Psorinum, jene eitrige Flüssigkeit, die aus geöffneten Krätzebläschen fließt. Die ekelerregende Ursubstanz wird den Regeln der Homöopathie zufolge potenziert, das heißt schrittweise mit Alkohol verdünnt und geschüttelt, bis nichts mehr davon im Lösungsmittel enthalten ist – ausgenommen natürlich die “geistartige Kraft” des Eiters, die laut Homöopathie im Patienten für Heilung sorgt.
Was hat eine Prüfungsfrage über eine bereits hoffnungslos veraltete dogmatische Heilslehre wie die Homöopathie in der universitären Lehre zu suchen? In diesem Fall sogar sehr viel. Das Studium, das in Westminster angeboten wurde, schloss nämlich mit einem Bachelor of Science (BSc) in Homöopathie ab. Dutzende solcher Studienangebote in Komplementärmedizin hatten sich seit einiger Zeit in Großbritannien verbreitet, allein fünf davon reine Homöopathiestudien, die alle mit dem akademischen Grad eines BSc lockten. Verärgert griff David Colquhoun in die Tastatur. Ein paar Tage später erschien sein bissiger Kommentar unter dem Titel “Science degrees without the science” in der renommierten Zeitschrift Nature. Fächer wie Homöopathie, konstatierte der Professor, seien nicht nur nicht wissenschaftlich, sondern regelrecht antiwissenschaftlich, und Universitäten, die derlei Mumpitz ernsthaft unterrichteten oder gar mit einem akademischen Titel würdigten, seien Schandflecke der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
Etliche Kollegen folgten Colquhoun und erklärten öffentlich, dass Homöopathie an einer Universität nichts verloren habe. Unterstützt wurden sie dabei von Wissenschaftsorganisationen und kritischen Journalisten. Letztlich erfolgreich: Zwei Jahre später wurde das letzte der BSc-Studien in Homöopathie aufgelassen. In Kontinentaleuropa, wo man oft ein wenig hinterher hinkt, fing da die unrühmliche Geschichte erst an. An der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt a. d. Oder hatte man soeben das Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) eingerichtet, dessen Hauptaufgabe die Durchführung des mit einem Master of Arts (MA) abschließenden Masterstudiengangs Kulturwissenschaften und Komplementäre Medizin war. Fortbildungswilligen Ärzten wurden dort gegen eine Studiengebühr von € 10.000,- aber nicht nur die kulturellen Aspekte der Medizin näher gebracht, sondern vor allem auch diverse Methoden und Lehren der Alternativmedizin: Homöopathie, Homotoxikologie und Biologische Medizin. Dass neben der Homöopathie ausgerechnet diese zwei kaum bekannten Heilslehren auf dem Stundenplan standen, war kein Zufall – die dort eingesetzten Mittelchen stammen zu einem Großteil von genau jenem deutschen Unternehmen, das den Masterstudiengang großzügig mit einer Stiftungsprofessur unterstützte.
Harald Walach, der am IntraG eingesetzte Professor, machte schon wenig später Schlagzeilen, wenn auch nicht die, die er sich gewünscht hätte. Von “Aberglaube” war die Rede, von einem “Rückfall ins Mittelalter”, von “Hokuspokus” und von “Spinnern”. Das böse Wort vom “Hogwarts an der Oder” machte die Runde. Durch vehemente Kritik des Wissenschaftsbloggers Florian Freistetter sowie aus den Reihen der Skeptiker, die sich in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) zusammengeschlossen hatten, waren die Medien auf die seltsamen Vorgänge am IntraG aufmerksam geworden: Walach hatte einen UFO-Forscher und Esoterik-Autor zum wissenschaftlichen Mitarbeiter bestellt, ein Tierarzt und astrologischer Lebensberater wurde zum Gastprofessor ernannt und ein neues Lehrmodul über “Energiemedizin” war bereits in Planung. Orgon-Therapie, Radionik und Bioresonanz standen dort auf dem Programm; der Kooperationspartner, ein Verein von Alternativmedizinern, hatte neben der “Physik der Feinstofflichkeit” auch “Global Scaling” im Angebot, ein betrügerisches Verfahren, dessen Erfinder wenig später zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Vom Energiemedizin-Modul nahm man rasch wieder Abstand, doch kurz darauf wurde eine am IntraG angefertigte Masterarbeit öffentlich bekannt, in der ein Berliner Orthopäde mit Hilfe von Alu-Dosen Belege für Hellseherei gefunden haben wollte und vom “Kontakt mit Verstorbenen” auf der Basis einer Theorie von “Zeitwellen” schwadronierte. Wenig später empfahl die zuständige Hochschulstrukturkommission die Schließung des Instituts sowie die Einstellung des Masterstudiengangs. Die Europa-Universität hat sich bislang noch nicht dazu durchringen können.
Seit einigen Wochen steht nun das oberbayerische Traunstein im Licht der Öffentlichkeit. Dort soll im Herbst der deutschlandweit erste BSc-Studiengang in Homöopathie starten. Die Initiative dazu stammt von der Europäischen Union der Homöopathie (EUH), angeboten wird das Studium über das Steinbeis-Transfer-Institut EUH, eine Einrichtung der privaten und staatlich anerkannten Berliner Steinbeis-Hochschule. “Klassische Homöopathie auf Hochschulniveau” soll in Traunstein in Zukunft betrieben werden, für viele Beobachter ein Widerspruch in sich. Aber nicht nur, dass an einer Hochschule Homöopathie gelehrt werden soll, erbost die Kritiker. Als besonderen Affront empfinden viele es, dass man sich für die geistlose Beschäftigung mit esoterischer Hokuspokus-Medizin ausgerechnet mit einem Titel schmücken dürfen soll, der den englischen Ausdruck für Wissenschaft enthält.
Ein eigenständiges Homöopathie-Studium gibt es in Österreich bisher noch nicht. Doch auch hierzulande hat die Kugerl-Lehre eine universitäre Nische gefunden. An der Medizinischen Universität Wien etwa wird seit Jahren regelmäßig ein Wahlfach Homöopathie angeboten. Auch die Veterinärmedizinische Universität hat einen entsprechenden Kurs im Angebot. Durchgesetzt hat das die Studenteninitiative Homöopathie (SIH), die seit eineinhalb Jahrzehnten daran arbeitet, eine “wissenschaftliche Homöopathie-Ausbildung” an den Universitäten zu etablieren. Im Vorlesungsmanuskript zu einer Unterrichtseinheit mit dem programmatischen Titel “Homöopathie und Evidence-based Medicine – Kein Widerspruch!” werden konsequenterweise auch die ersten zehn Seiten der Thematik Homöopathie und Wissenschaftlichkeit gewidmet. Das mündet auf Seite 11 in die fettgedruckte Konklusio “Homöopathie ist eine Wissenschaft!” – Rufzeichen inklusive. Dennoch bietet sich auch hier das gewohnte Bild: Die homöopathische “Wissenschaft” beschränkt sich hauptsächlich darauf, jene Metaanalysen zu kritisieren, die der Homöopathie lediglich
Placebowirkung attestieren, und einzelne positive Studien zu zitieren, die angeblich beweisen würden, dass Homöopathie trotzdem wirkt. Dazu gehört auch jene im “Wissenschaftsskriptum” der SIH zitierte Studie aus dem Jahr 2004, die einen Einfluss von unendlich verdünntem Belladonna auf ein Stück Rattendarm in vitro nachgewiesen zu haben meinte. Die schwer fehlerhafte Studie war zwar bereits 2005 zurückgezogen worden, diente den Homöopathiefreunden an der Medizinischen Universität Wien aber noch Jahre später als Beleg für die Wirksamkeit geistartiger Arzneikräfte.
Auch an der Donau-Universität Krems wird die Lehre von den Zuckerkügelchen zwar nicht erforscht, dafür aber fleißig unterrichtet. Der Lehrplan des seit neun Jahren bestehenden dreisemestrigen MSc-Lehrgangs namens Natural Medicine verspricht für € 6.000,- “praktisches Arbeiten mit betreutem E-learning” in Homöopathie und weiteren komplementärmedizinischen Methoden. Der Lehrgangsleiter ist nicht nur homöopathischer Arzt, sondern auch Energetiker und Autor eines Büchleins über “Heilsame Schwingungen”. Die Homöopathie ist das Flaggschiff der Alternativmedizin, doch beileibe nicht die einzige Vertreterin dieser Gattung, die in die Universitäten drängt. In Wien war von 2003 bis 2009 die TCM Privatuniversität Li Shi Zhen mit Bachelor- und Masterstudiengängen u.a. in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und in Akupunktur aktiv. Einen viersemestrigen TCM-Lehrgang um € 7.900,- findet man auch an der Donau-Uni Krems. In Kärnten wiederum dachte man gar an die Gründung einer Privatuni für Tibetische Medizin. Das Problem der TCM ist ähnlich gelagert wie das der Homöopathie: Die gar nicht so traditionelle, in den 1950er Jahren von Mao Tse-tung zusammengebastelte Variante der chinesischen Medizin hat keine an die modernen Naturwissenschaften anschlussfähigen theoretischen Grundlagen, die man sinnvollerweise lehren oder lernen könnte. Stattdessen werden die fernöstlichen magisch-mystischen Lehren von der “Lebenskraft” Qi und das von der wissenschaftlich orientierten Medizin mangels Existenznachweis längst ad acta gelegte Meridiansystem studiert. Wissenschaftliche Forschung im Bereich der TCM wurde weder von der TCM-Privatuni noch von der Donau-Uni Krems in nennenswertem Umfang betrieben. Dabei wäre genau dies die einzige angemessene Herangehensweise an die TCM. Wie das gehen kann, macht etwa die Medizinische Uni Graz vor, wo man ein TCM-Forschungszentrum betreibt, aber nicht den Fehler macht, Akupunktur gleich in der Lehre anzubieten.
Pseudowissenschaftliche Inhalte und Aktivitäten waren und sind auch außerhalb des weiten Bereichs der Alternativmedizin an österreichischen Unis anzutreffen. Das reicht von dem deutschen Global-Scaling-Betrüger, der vor einem Jahrzehnt ein Labor der Donau-Uni in seine Machenschaften verwickelt hatte über den zum Spott der Medien ebenfalls in Krems vorübergehend angebotenen Feng-Shui Lehrgang bis zu jenem esoterischen Grüppchen, das sich am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien etabliert hatte. An der Wiener Universität für Bodenkultur findet man Abschlussarbeiten sowie professorale Gutachten, die esoterische Methoden zum Nachweis erfolgreicher Wasserbelebung und ähnlichen Humbugs heranziehen genauso wie ein seit Jahren laufendes unkritisches Seminar zur Wünschelrutengeherei. Doch das sind meist vorübergehende Ärgernisse, Einzelfälle oder bedauerliche Ausrutscher. Die Alternativmedizin hingegen, und darunter besonders die Homöopathie, arbeitet gezielt und systematisch an einem Eindringen in die Hallen der Wissenschaft.
Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die nicht zu leugnende enorme Nachfrage nach Alternativen zur oft als kalt und unpersönlich empfundenen Praxis der Hochschulmedizin hat in den letzten beiden Jahrzehnten zur Entstehung von zwei parallelen und lukrativen Märkten geführt, dem Markt für alternativmedizinische Aus- und Weiterbildungen einerseits und dem Markt für alternativmedizinische Therapieangebote andererseits. Die weniger relevanten Quacksalbermethoden, von Bioresonanz, Radionik und Geistheilung bis zu Bachblüten und Holopathie, wurden in das neugeschaffene Energetiker-Gewerbe abgeschoben, während die etablierten Methoden wie Homöopathie oder Akupunktur den Ärzten vorbehalten blieben. Der Wettbewerb läuft auf beiden Märkten zu einem großen Teil über den Wohlklang der Titel, die man erworben hat bzw. die man vergeben darf. So schlägt das Ärztekammer-Diplom “Applied Kinesiology” den Wochenendkurs in Kinesiologie und der zusätzliche BSc in Homöopathie übertrumpft die bloße Heilpraktikererlaubnis. Der vermeintliche Qualitätsausweis dahinter bleibt freilich ein Etikettenschwindel, denn ob man die Diagnostik mittels kinesiologischem Muskeltest nun zehn oder hundert Stunden studiert, ändert nichts daran, dass dieser Test Humbug ist, und die Arzneimittelbilder der Homöopathie bleiben Fantasiegebilde, egal wieviele davon man auswendig gelernt hat.
Eine Hochschule, die einer Pseudowissenschaft Tür und Tor öffnet, leidet natürlich unter dem damit unweigerlich einhergehenden Verlust ihrer Reputation in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Eine renommierte Medizinische Fakultät kann sich ein Homöopathiestudium also schlicht nicht leisten, würde sie sich doch umgehend zum Gespött der Fachwelt machen. Auf berufliche Weiterbildung spezialisierte Universitäten ohne nennenswerte Forschungsreputation wie die Steinbeis-Hochschule Berlin oder die Donau-Universität Krems tun sich da wesentlich leichter. Andere müssen erst mit beträchtlichen finanziellen Mitteln überredet werden. Die unter dem IntraG-Debakel leidende Europa-Universität Viadrina etwa wurde durch eine mit € 100.000,- jährlich dotierte Stiftungsprofessur gelockt, die die Heel GmbH, einer der weltweit größten Hersteller von Homöopathika, finanziert. Hinter der universitären Homöopathie steckt zudem fast immer die im deutschen Essen ansässige Karl und Veronica Carstens-Stiftung, deren erklärtes Ziel die Etablierung der Globuli in der Hochschullandschaft ist. Seit drei Jahrzehnten fördert sie Studentenprojekte, Promotionen, Wahlfächer und Lehrgänge in Homöopathie. Auch die Naturheilkunde-Professur an der renommierten Charité in Berlin wird von der Stiftung des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten und seiner Frau unterstützt.
“Homöopathie als Irrlehre und Täuschung des Patienten” lautete der Titel der Marburger Erklärung von 1992, als Mediziner der Marburger Universitätsklinik öffentlich gegen die Aufnahme von Prüfungsfragen zur Homöopathie in das Studienfach Humanmedizin aufgetreten waren. Das geistige Fundament der Homöopathie, so das nüchterne Urteil der Ärzte, bestehe aus Irrtümern. Und wenn der Placeboeffekt alleine als Grundlage eines universitären Faches ausreichen sollte, dann müsste man neben Homöopathie doch auch Handlesen oder Astrologie in der Lehre berücksichtigen. Was die Marburger Ärzte als Schreckensvision konzipiert hatten, ist dank eines finanzstarken Gönners jenseits des Ärmelkanals bereits Realität geworden. Die University of Wales Trinity Saint David nimmt derzeit Bewerbungen für das Masterstudium in “Kultureller Astronomie und Astrologie” entgegen. David Colquhoun wird noch viel zu tun haben.
Ulrich Berger ist Wirtschaftswissenschafter und Präsident der Wiener Skeptikervereinigung
“Gesellschaft für kritisches Denken”.
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