Keine wissenschaftlichen Ergebnisse erwartbar
Man kann sich von einem solchen Rahmen alles Mögliche erwarten. Nur keine wissenschaftlichen Ergebnisse, die sich so ohne weiteres auf die Normalbevölkerung umlegen lassen. Oder irgendetwas anderes aussagen als wie sich die befragten Studierenden zu dem Zeitpunkt selbst einordneten, als sie den Fragebogen ausfüllten.
Das waren nur die groben Fehler bei der Studie, die bei ernstzunehmenden Wissenschaftsjournalistinnen- und journalisten auf den ersten Blick hätten auffallen müssen.
Auch das Messinstrument war untauglich
Ein wenig Internetrecherche hätte ergeben, dass der Gesamtzugang wissenschaftlich gesehen höflich formuliert umstritten ist. Bis heute ist der Begriff Temperament in der Psychologie nicht eindeutig definiert. Geschweige denn, dass es die Temperamentstypen seien, die in der Studie genannt werden.
Der Fragebogen, der den Studierenden gegeben wurde, ist auch nicht von der gesamten wissenschaftlichen Community anerkannt. Zudem wurde der “Temperament Evaluation of Memphis, Pisa, Paris and San Diego- Auto-questionnaire” (TEMPS-A) für andere Fragestellungen entwickelt, als die, für die ihn die Hauptautorin verwendet hat.
Im Allgemeinen wird mit TEMPS-A untersucht, welches Temperament Menschen mit einer diagnostizierten psychiatrischen Erkrankung aus dem Bereich der Affektstörungen haben. Etwa Depressionen, bipolare Störungen und so weiter und so fort – und ob es einen Zusammenhang zwischen diesen Temperamenten und dem Ausbruch der Krankheiten gibt.
Gesunde, die den Fragebogen ausfüllen, sind meist nur als Kontrollgruppe gedacht.
Dafür, den Test großflächig bei gesunden Menschen einzusetzen um sie auf irgendetwas zu untersuchen, ist TEMPS-A nicht gedacht.
Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Fragebogen nahezu ausschließlich im Bereich der klinischen Psychiatrie eingesetzt wird und auch dort nicht als Standardinstrument bezeichnet werden kann. Es gibt einige andere Verfahren, die die Persönlichkeitsstruktur messen.
Presseaussendung war suggestiv
Als ob ein zu kleines Sample, der offensichtliche Bias der Hauptautorin und ein untaugliches Messinstrument nicht ausreichen würden, kommt erschwerend ein klassischer Fehlschluss dazu. Eine an sich schon zweifelhafte Koinzidenz wird so präsentiert, als sei sie Beweis für eine Kausalität.
Das liegt auch an den suggestiven Formulierungen im Pressepapier von ECNP: „Obwohl genetische und Umweltfaktoren eine Rolle beim Temperament spielen, wissen wir jetzt, dass die Geburtsjahreszeit auch eine Rolle spielt“, wird etwa ein Sprecher von ECNP zitiert. Hauptautorin Gonda darf sogar schwadronieren, man suche jetzt nach genetischen Merkmalen, die in Verbindung mit der Geburtsjahreszeit und Stimmungsstörungen stehen.
Da feiert ein wissenschaftlicher Kongress eine wissenschaftliche Entdeckung, die keiner ist. Wohl aus der Überlegung heraus, damit komme man in die Medien.
Dass das von Revolverblättern aufgegriffen wird, muss der Öffentlichkeitsarbeiter des Kollegs wissen. Man darf davon ausgehen, die Meldung wurde auch so geschrieben, dass das passiert. Die Notwendigkeit, in der Öffentlichkeit zu stehen, heiligt offenbar auch in weiten Teilen der Wissenschaft alle Mittel.
Standard wird sich an der Nase nehmen müssen
Was das nicht erklärt, ist, warum sich eine Qualitätszeitung nicht die Mühe macht, den Unsinn zu hinterfragen. Und sogar unseriöser agiert als der Daily Telegraph, indem sie den pseudowissenschaftlichen Quatsch der ursprünglichen Meldung mit noch pseudowissenschaftlicherem Quatsch anreichert.
Da wird sich der Standard an der Nase nehmen müssen.
Christoph Baumgarten
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