Ein Gastbeitrag von Christoph Baumgarten
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Die Meldung ging um die Medienwelt: Die Geburtsjahreszeit bestimmt das Temperament von Menschen. Das behauptet eine ungarische Forscherin herausgefunden zu haben. Verbreiten konnte sich die gewagte These nur dank der Schlamperei in den Redaktionsstuben.
Gib der Welt eine einfache Botschaft mit einer Prise Magie, versehe sie mit wissenschaftlichen Würden und schon hast du eine Sensation. So geschehen mit einer Pressemitteilung vom Europäischen Kolleg für Neuropsychopharmakologie (ECNP).
Eine junge ungarische Forscherin behauptet auf dem Kongress des Kollegs, sie habe einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Temperament von Menschen und der Jahreszeit nachweisen können, in der die Betreffenden geboren wurden. Liest sich wie eine wissenschaftliche Bestätigung astrologischer Uralt-Thesen.
Dass ein offizieller Vertreter des Kollegs das auch noch als Durchbruch feiert, setzt dem Ganzen die Krone auf. Basis für die angeblich wissenschaftliche Erkenntnis: 400 Befragte.
Die Oma hatte Recht
Was man immer schon gewusst haben will, haben endlich die verbohrten Wissenschaftler bestätigt. Sie konnten nicht anders. Eine unterdrückte Wahrheit kommt zum Durchbruch. Die arroganten Damen und Herren in Weiß oder mit Brille sind gedemütigt. Oder so.
Die da oben, die Großkopferten mussten endlich eingestehen, die Oma, die nur vier Jahre Volksschule hatte, hatte Recht. Volksweisheit triumphiert über Wissenschaft.
Daily Telegraph und Co
Was gibt es schöneres für einen Boulevardredakteur als das? Bekannte Revolverblätter wie der Daily Telegraph zählten zu den ersten, die die Frohbotschaft verbreiteten. Interessanterweise übernahmen sie die Presseaussendung des ECNP 1:1.
Nachrichtenagenturen taten das ihre dazu und die Sache stieß auf wohlmeinende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Qualitätsmedien wie dem österreichischen „Standard“.
Der Standard vermehrt den Unfug
Der setzte dem noch eins drauf und orakelte, der Geburtszeitpunkt habe einen stärkeren Einfluss auf das spätere Leben als gedacht:
“Zu zahlreich sind mittlerweile die Studien, die von der Kinderanzahl (bei Frauen) bis zur Lebenserwartung statistisch signifikante Unterschiede entdeckten: So etwa kam erst kürzlich eine Untersuchung zum Schluss, dass Frauen, die im November geboren wurden, im Durchschnitt 7,3 Monate länger lebten als Frauen, die im Mai geboren wurden.“
Da hatte wohl ein stressgeplagter Journalist keine Zeit zu recherchieren. Ein bisschen Copy-Paste, ein bisschen umschreiben um den eigenen stilistischen Anforderungen genüge zu tun und dann gleich mal ohne Quellenangabe ein bisschen was rein, was das eigene Gedächtnis gerade so gespeichert hat. Arbeitsaufwand: 10 Minuten.
Ein journalistisches Armutszeugnis
Ein journalistisches Armutszeugnis. Ein redaktionelles obendrein. Der Text hätte vielleicht bei der BILD oder der Kronenzeitung durchgehen können. In einer Qualitätszeitung hätte der Unfug rausfliegen müssen.
Ein gleich großer Arbeitsaufwand wie er notwendig war, diesen Unfug herbeizufabulieren, hätte – allenfalls in Verbindung mit minimaler Bildung – gezeigt, dass die zitierte Studie aus Budapest das Papier nicht wert ist, auf dem sie gedruckt ist.
Studie: Methodisch schwach
Der Ausgangspunkt für die Studie ist die These von Hauptautorin Xenia Gonda, dass die Jahreszeit, in die man geboren wurde, einen großen Einfluss auf den Charakter und die Prädisposition für psychische Erkrankungen wie bipolare Störungen habe oder eben auch für Gehirntumore (!).
Das hat die Assistenzprofessorin testen lassen. 366 Studierende aus Budapest mit einem mittleren Alter von nicht mal 21 Jahren haben einen Fragebogen ausgefüllt, der zur Temperamentbestimmung dienen soll. Die Ergebnisse wurden mit den Geburtsdaten abgeglichen. Und voilá, man hat einen Effekt.
Das dürfte wenig überraschen. Das Sample ist arg klein. Pro Geburtsmonat sind es durchschnittlich um die 30 Studierenden, pro Jahreszeit 90. Da lässt sich alles raus- oder hineinlesen.
Fragebogen nur einmal ausgefüllt
Das Sample war nicht im Geringsten repräsentativ. Zwei Drittel der Befragten waren Männer. Ihr mittleres Alter ist knapp halb so hoch wie in der ungarischen Gesamtbevölkerung. Die Bildung der Teilnehmenden wiederum war überdurchschnittlich.
Und der Fragebogen wurde offenbar nur ein einziges Mal ausgefüllt. Das ist für eine grundsätzliche Aussage, wie es um das „Temperament“ eines Menschen bestellt sei, etwas wenig.
Keine wissenschaftlichen Ergebnisse erwartbar
Man kann sich von einem solchen Rahmen alles Mögliche erwarten. Nur keine wissenschaftlichen Ergebnisse, die sich so ohne weiteres auf die Normalbevölkerung umlegen lassen. Oder irgendetwas anderes aussagen als wie sich die befragten Studierenden zu dem Zeitpunkt selbst einordneten, als sie den Fragebogen ausfüllten.
Das waren nur die groben Fehler bei der Studie, die bei ernstzunehmenden Wissenschaftsjournalistinnen- und journalisten auf den ersten Blick hätten auffallen müssen.
Auch das Messinstrument war untauglich
Ein wenig Internetrecherche hätte ergeben, dass der Gesamtzugang wissenschaftlich gesehen höflich formuliert umstritten ist. Bis heute ist der Begriff Temperament in der Psychologie nicht eindeutig definiert. Geschweige denn, dass es die Temperamentstypen seien, die in der Studie genannt werden.
Der Fragebogen, der den Studierenden gegeben wurde, ist auch nicht von der gesamten wissenschaftlichen Community anerkannt. Zudem wurde der “Temperament Evaluation of Memphis, Pisa, Paris and San Diego- Auto-questionnaire” (TEMPS-A) für andere Fragestellungen entwickelt, als die, für die ihn die Hauptautorin verwendet hat.
Im Allgemeinen wird mit TEMPS-A untersucht, welches Temperament Menschen mit einer diagnostizierten psychiatrischen Erkrankung aus dem Bereich der Affektstörungen haben. Etwa Depressionen, bipolare Störungen und so weiter und so fort – und ob es einen Zusammenhang zwischen diesen Temperamenten und dem Ausbruch der Krankheiten gibt.
Gesunde, die den Fragebogen ausfüllen, sind meist nur als Kontrollgruppe gedacht.
Dafür, den Test großflächig bei gesunden Menschen einzusetzen um sie auf irgendetwas zu untersuchen, ist TEMPS-A nicht gedacht.
Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Fragebogen nahezu ausschließlich im Bereich der klinischen Psychiatrie eingesetzt wird und auch dort nicht als Standardinstrument bezeichnet werden kann. Es gibt einige andere Verfahren, die die Persönlichkeitsstruktur messen.
Presseaussendung war suggestiv
Als ob ein zu kleines Sample, der offensichtliche Bias der Hauptautorin und ein untaugliches Messinstrument nicht ausreichen würden, kommt erschwerend ein klassischer Fehlschluss dazu. Eine an sich schon zweifelhafte Koinzidenz wird so präsentiert, als sei sie Beweis für eine Kausalität.
Das liegt auch an den suggestiven Formulierungen im Pressepapier von ECNP: „Obwohl genetische und Umweltfaktoren eine Rolle beim Temperament spielen, wissen wir jetzt, dass die Geburtsjahreszeit auch eine Rolle spielt“, wird etwa ein Sprecher von ECNP zitiert. Hauptautorin Gonda darf sogar schwadronieren, man suche jetzt nach genetischen Merkmalen, die in Verbindung mit der Geburtsjahreszeit und Stimmungsstörungen stehen.
Da feiert ein wissenschaftlicher Kongress eine wissenschaftliche Entdeckung, die keiner ist. Wohl aus der Überlegung heraus, damit komme man in die Medien.
Dass das von Revolverblättern aufgegriffen wird, muss der Öffentlichkeitsarbeiter des Kollegs wissen. Man darf davon ausgehen, die Meldung wurde auch so geschrieben, dass das passiert. Die Notwendigkeit, in der Öffentlichkeit zu stehen, heiligt offenbar auch in weiten Teilen der Wissenschaft alle Mittel.
Standard wird sich an der Nase nehmen müssen
Was das nicht erklärt, ist, warum sich eine Qualitätszeitung nicht die Mühe macht, den Unsinn zu hinterfragen. Und sogar unseriöser agiert als der Daily Telegraph, indem sie den pseudowissenschaftlichen Quatsch der ursprünglichen Meldung mit noch pseudowissenschaftlicherem Quatsch anreichert.
Da wird sich der Standard an der Nase nehmen müssen.
Christoph Baumgarten
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