Der vor ein paar Tagen hier veröffentlichte Gastbeitrag von Christoph Baumgarten ist eine herbe Kritik an einer jüngst via Pressemeldung vorgestellten psychologischen Studie und an der Art und Weise, wie die Resultate dieser Studie durch einen Artikel im Standard weiter verbreitet wurden. Kurz gefasst: Christoph hält die Studie über einen Zusammenhang zwischen Geburtszeitpunkt und Temperament für pseudowissenschaftlich und meint, ein Wissenschaftsjournalist sollte das auch nach kurzer Recherche erkennen können.
Diese Kritik stieß jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung. Dem Gastbeitrag voraus gegangen war eine Diskussion auf der Mailingliste der GkD, die sich auch danach noch fortsetzte. Einige konnten die Kritik nicht nachvollziehen. Ich persönlich z.B. halte Christophs Kritik am Standard-Artikel für überzogen. Die Studie wurde bisher nur auf einer Konferenz vorgestellt und ist noch nicht in einer Zeitschrift mit peer-review Verfahren publiziert worden. Öffentlich einsehbar ist daher auch nur die Pressemeldung, die auch das Abstract der Studie enthält. Ob man eine noch nicht einmal publizierten Studie zu einem Zeitungsartikel verarbeiten muss, darüber kann man diskutieren. Wenn man es jedoch tut, sollte man zumindest vorsichtig fomulieren. Das aber ist im Standard-Artikel meines Erachtens ausreichend der Fall. Schon der Titel der Meldung enthält das relativierende Wörtchen “könnte”. Im Untertitel ist von “möglichen” Zusammenhängen die Rede. Und er grenzt sich auch schon in der Einleitung von “astrologischem Hokuspokus” ab.
Zur Qualität der Studie selbst kann ich wenig sagen. Erstens liegt wie erwähnt nur das Abstract vor, und zweitens ist das nicht mein Fach. Es ist allerdings das Fach von Andreas Hergovich, Psychologe an der Uni Wien. Er hat an der E-Mail-Diskussion teilgenommen und kritisiert wiederum die Kritik von Christoph. Hier ist seine Entgegnung kurz zusammengefasst:
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Eine Metakritik von Andreas Hergovich
Es macht ja an sich wenig Sinn, ein Abstract zu kritisieren, weil ein Abstract zu viele Informationen nicht enthält. Es ist auch von vornherein klar, dass nicht aus jedem Abstract ein Fachartikel wird.
Eine schnelle Internetrecherche kombiniert mit inhaltlicher Reserviertheit ist aber auch nicht unbedingt die Grundlage für eine fundierte Analyse. In einigen Punkten ist die Kritik von Christoph Baumgarten nämlich mindestens so schwach wie das von ihm kritisierte Abstract:
“mangelnde Repräsentativität”: Man zeige mir die psychologischen Fachartikel mit repräsentativen Stichproben! In diesem Kontext ist Repräsentativität ist eine reine Laien-Forderung, studentische Zufallsstichproben sind üblich.
“Stichprobe im Mittel 21 Jahre alt”: Auch das ist durchaus üblich. Aus praktischen Gründen kommen meist Bachelor-Studenten zum Handkuss.
“ungeeignetes Messinstrument”: Es ist ebenso üblich, genuin psychiatrische Tests der Normalbevölkerung vorzulegen, wie z.B. das Minnesota Multiphasic Personality Inventory.
“Stichprobe zu klein”: Die Stichprobe ist keineswegs zu klein. Vermutlich ist sogar das Gegenteil der Fall: die Stichprobe ist zu groß, daher werden unbedeutende Effekte statistisch signifikant.
“Messinstrument ist umstritten”: Gibt es dafür gute Belege? Ist es nicht reliabel oder nicht valide?
“nur einmalige Testung”: Es ist vollkommen üblich, die Persönlichkeit bzw. das Temperament einmalig zu testen. Man geht davon aus, dass es sich eher um Traits (stabile Persönlichkeitseigenschaften) als States (momentane Zustände) handelt.
Andreas Hergovich
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