Also gut, genug gerätselt! Hier nocheinmal die Fragestellung in Form der Überlegung von Odo, der sich in die Position eines Kandidaten bei “Wer wird Millionär” versetzt:
Angenommen, ich habe nicht die geringste Ahnung, welche der vier Antworten A, B, C, D richtig ist. Ich tippe aufs Geratewohl auf A. Da fällt mir ein, dass ich ja noch den 50:50 Joker habe. Ich setze also diesen Joker ein und tatsächlich bleibt meine anfängliche Wahl A stehen, und auch C. Was sollte ich jetzt tun? Bleiben oder Wechseln? Die meisten Leute glauben, es wäre egal, weil die Chancen jetzt 50:50 stehen. Aber in Wirklichkeit haben wir in dieser Situation eine Variante des Ziegenproblems. Die richtige Antwort lautet: Meine erste Wahl war mit Wahrscheinlichkeit 1/4 richtig, also müssen die restlichen 3/4 jetzt auf C entfallen. Durch Wechseln verdreifache ich meine Gewinnchance.
Hat Odo recht oder unrecht? – das war die Frage. Und die Mehrheit (etwa 10:3) sagt, er hat unrecht. Die Chancen stehen 50:50, wechseln erhöht die Gewinnchancen nicht. Es ist kein Ziegenproblem.
UND DAS IST KORREKT!
Es handelt sich um kein Ziegenproblem. Die wenigen, aber hartnäckigen Verfechter der Ziegenhypothese argumentieren im Grunde wie folgt:
- Die Wahrscheinlichkeit, dass mein anfänglicher Tipp richtig ist, ist 1/4.
- Wir betrachten nur die Fälle, wo meine anfängliche Antwort stehen bleibt.
- Die andere stehen gebliebene Antwort, die ich anfänglich nicht getippt habe, hat dann die verbleibende Wahrscheinlichkeit von 3/4, korrekt zu sein.
- Also ist in diesen Fällen wechseln besser.
Der entscheidende Fehler liegt in der Kombination von 1. und 2.. Die Tatsache, dass mein anfänglicher Tipp stehen geblieben ist, ändert nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass der Tipp korrekt ist. Der Vorgang nennt sich bayesian updating (ich habe keine Ahnung, ob es eine gängige deutsche Übersetzung dafür gibt) und ergibt eine bedingte Wahrscheinlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit, dass mein anfänglicher Tipp korrekt ist, gegeben die Tatsache, dass er stehen geblieben ist, ist 1/2, nicht 1/4. Die genauere Herleitung und Argumentation erspare ich mir hier, da sie in vielfachen Varianten bereits in den Kommentaren geliefert wurde. Wer es genau wissen will, dem empfehle ich die Kommentare von Daniel Kürner nachzulesen, besonders die ersten drei (#10, #13, #45).
Übrigens hat Odo das Problem natürlich nicht als erster entdeckt. Googlen zeigt, dass es schon seit Jahren diskutiert wurde und wird. Das hat sogar auf Wikipedia Niederschlag gefunden, wo im Artikel Who wants to be a Millionaire? festgehalten wird:
Wenn beim Fünfzig-fünfzig-Joker die vom Kandidaten favorisierte Antwort stehen bleibt, erhöht sich im Gegensatz zur Konstellation beim Ziegenproblem die Gewinnwahrscheinlichkeit nicht, wenn der Kandidat sich für die andere Antwort umentscheidet. Dies liegt daran, dass die Auswahl der wegfallenden Antworten nicht von der Vorauswahl des Kandidaten beeinflusst wird; im Gegensatz zum Ziegenproblem ist es auch möglich, dass eine favorisierte Antwortmöglichkeit vom Computer herausgenommen wird.
Also wenn Sie schon mir nicht glauben – Wikipedia hat immer recht! 😉
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