Die letzte Aprilwoche war, falls Ihnen das entgangen ist, die “Europäische Impfwoche“. Sie soll laut WHO “das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung von Impfmaßnahmen für Gesundheit und Wohlbefinden schärfen“. Die Tiroler Tageszeitung lässt anlässlich der Impfwoche Herrn Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz-Martin Fink, Vorstand der Kinder- und Jugendheilkunde im Krankenhaus St. Johann in Tirol, zu Wort kommen. Dr. Fink betont in seiner Stellungnahme, dass Impfen richtig und wichtig ist. Damit könnte man wieder zur Tagesordnung übergehen.
Aber nein, der Tiroler Tageszeitung ist das nicht genug. Schließlich ist es eine journalistische Tugend, zu jedem wissenschaftlich gesicherten Konsens einen Vertreter der Flacherde-Fraktion aufzutreiben, der anderer Meinung ist, und diesem ebenfalls ein Podium zu bieten. Dann hat man nämlich eine ausgewogene Diskussion auf Augenhöhe. Bei der Tiroler Tageszeitung nennt sich das ein Streitgespräch. Die Verteidigung der Flacherde-Theorie übernimmt dabei Dr. Ursula Bubendorfer, eine “ganzheitliche” Ärztin aus Schwoich. In ihrer Praxis bietet sie u.a. Mikroimmuntherapie, Allergie-Nahrungsmitteltest, Darmsanierung, Schwermetallausleitung, Applied Kinesiologie, Vitalfeldtherapie, Global Diagnostik, Homöopathie, Akupunktur, Osteopathie, Narbenentstörung, Neuraltherapie, Bachblütentherapie, Kirlianfotografie, Fußreflexzonenmassage und Energetische Massagen an.
Das sind laut Dr. Bubendorfer “zum Teil jahrtausende alte bewährte Heilmethoden, deren Wirksamkeit durch moderne biophysikalische Messmethoden heute beweisbar sind“. Im Streitgespräch meint sie, die Durchimpfungsrate sei so niedrig, weil “Eltern heute besser informiert und gesundheitsbewusster sind.” Dass besser informierte Eltern ihre Kinder durch die Unterlassung von Impfungen unnötig quälen, weiß sie zwar aus eigener Erfahrung,
Mein jüngstes Kind hat keine Impfungen erhalten. Es hatte Keuchhusten, …
gibt aber Entwarnung
… aber alles verlief normal.
Auch einen tieferen Sinn entdeckt sie in Kinderkrankheiten, und beeindruckt mit unbestechlicher Logik:
Ich denke, die Natur ist weise. An sich sind Kinderkrankheiten ein natürliches Training für das Immunsystem, sonst gäbe es sie nicht.
Die Natur mag weise sein, die Tiroler Tageszeitung ist es nicht. Anlässlich des “Tages der Homöopathie” druckte sie zwar einen Artikel mit dem Titel “Aussage gegen Aussage“, verzichtete dabei aber gleich ganz auf eine Hälfte des Streitgesprächs und überließ der Flacherde-Fraktion alleine das Wort. Also durfte der Innsbrucker Homöopath Dr. Gerhard Sallaberger mit folgender Erkenntnis beginnen:
Ist ein Patient nicht in der Lage seine Beschwerden ohne Hilfe von außen selbst zu beseitigen, ist das offensichtlich Ausdruck seiner individuellen Schwäche.
Nachdem der interessierte, aber leider kranke Leser jetzt also über seine individuelle Schwäche Bescheid weiß, wird er auch darüber aufgeklärt, warum Metastudien wie etwa jene von Prof. Edzard Ernst der Homöopathie die Wirksamkeit absprechen:
Ernst hat nämlich für seine Untersuchung 98 Prozent der Studien aussortiert, die ein günstiges Ergebnis für die Homöopathie ergeben haben.
Dabei fällt mir ein weiteres Streitgespräch ein, in dem ein garstiger Skeptiker zur Homöopathie kürzlich gemeint hat, sie sei “keiner wissenschaftlichen Ethik verpflichtet und kann daher ungeniert lügen“. Im Falle von Dr. Sallaberger trifft das natürlich nicht zu. Der lügt nicht, er weiß es nur nicht besser. Den Grund dafür offenbart er immerhin selbst gleich im Anschluss:
Ein zentrales Problem ist, dass wir Ärzte in unserer Ausbildung auf der Universität nicht lernen, Statistiken richtig zu interpretieren.
Zum Wirkmechanismus der magischen Kügelchen weiß Dr. Sallaberger aus der Welt der Grundlagenforschung zu berichten:
Wasserforscher sind jedoch überzeugt, dass bei der Herstellung von homöopathischen Mitteln das Lösungsmittel Wasser in seiner Struktur bleibend verändert wird, auch wenn kein Arzneimittel mehr vorhanden ist.
Tatsächlich meldete sich, nachdem der Himmel seine Farbe wiedererlangt hatte, ein Wasserforscher per Leserbrief zu Wort. Dabei handelte es sich um den Physiker Univ.-Prof. Dr. Martin Beyer von der Uni Innsbruck. Den homöopathischen Wasserträumereien wusste er folgendes zu entgegnen:
Keine Info im Wasser
Der Vertreter der Homöopathie, Herr Dr. Gerhard Sallaberger, führt als Grundlage für den Wirkmechanismus homöopathischer Mittel die angebliche Fähigkeit des Wassers an, Information zu speichern. Bei der Herstellung von homöopathischen Mitteln soll die Struktur des Wassers bleibend verändert werden.
Als Innsbrucker Physiker, der seit mehr als 20 Jahren an der Struktur von Wasser forscht, muss ich dem widersprechen. Wir wissen aus unseren eigenen Arbeiten sowie aus den Arbeiten unzähliger Kollegen in der ganzen Welt, dass Wasser sich innerhalb kürzester Zeit vollständig und zufällig neu organisiert. Kürzeste Zeit bedeutet dabei die Zeitspanne von wenigen billionstel Sekunden.
Die Überschrift des Artikels, “Aussage gegen Aussage”, unterstellt, dass hier gleichwerte Aussagen nebeneinanderstehen. Das ist nicht der Fall. Die Aussagen der Naturwissenschaft sind durch Experimente bestätigt. Jede wissenschaftliche Veröffentlichung wird von mehreren Kollegen anonym gelesen und überprüft. Alle Wissenschafter, die sich diesen Qualitätskontrollen unterziehen, sind sich einig, dass flüssiges Wasser keine Information speichern kann.
Wenn Herr Dr. Sallaberger ausführt, dass Antibiotika nur das Krankheitsbild verbessern, während die Homöopathie die Ursachen bekämpft, dann wird es lebensgefährlich. Eine mögliche Ursache von Entzündungen sind Bakterien. Wenn sich ein Entzündungsherd ausgebreitet hat, braucht der Kranke dringend ein passendes Antibiotikum, das die Ursache der Krankheit – die Bakterien – tötet, sonst töten die Bakterien möglicherweise den Kranken.
Die Bakterien kann man unter dem Mikroskop sehen, man kann ihren genetischen Code entschlüsseln. Eine bakterielle Entzündung ist kein Zeichen der “individuellen Schwäche” des Kranken. Sie kann jeden, auch bei bestem Immunsystem, jederzeit treffen.
Dass man sich heute auf ein Kind freuen kann, ohne Angst davor zu haben, dass die Mutter an einer Entzündung stirbt, verdanken wir der Medizin auf naturwissenschaftlicher Grundlage, nicht der Homöopathie.
Auch hier steht nicht Aussage gegen Aussage, sondern es stehen gerettete Menschenleben gegen die leeren Versprechungen der Homöopathie.
Damit wäre eigentlich alles gesagt, was gesagt werden sollte. Doch die Tiroler Tageszeitung wäre nicht die Tiroler Tageszeitung, wenn sie sich nicht flugs wieder ihrer journalistischen Tugenden entsonnen und einen Leserbrief auf den Leserbrief abgedruckt hätte. In diesem durfte sich eine Frau Dr. Ursula Lässer äußern, die gleich zu Beginn klar stellte: “Ich bin weder Medizinerin noch Physikerin, sondern Juristin.” Zum Thema Medizin hat sie allerdings immerhin eine Erfahrung aus zweiter Hand anzubieten: “Ich habe einen Allgemeinmediziner und Homöopathen als Hausarzt, der selten Antibiotika verschreibt, und nur gute Erfahrungen gemacht hat.” Eine Meinung aus erster Hand hat sie aber auch: “Ich glaube, das Ausspielen der Homöopathie gegen die Schulmedizin dient vor allem wirtschaftlichen Interessen, insbesondere der Pharmaindustrie.”
Wer jetzt meint, dieser Satz solle eventuell suggerieren, dass der Homöopathie-Kritiker Beyer im Sold der Pharmaindustrie stehe, der tut Frau Lässer Unrecht. Wenn diese etwas suggerieren will, dann tut sie das nämlich in ihrer Eigenschaft als Juristin. Als solche stößt sie sich nämlich an Beyers Behauptung, wenn Sallaberger ausführe, dass Antibiotika nur das Krankheitsbild verbessern, während die Homöopathie die Ursachen bekämpft, dann werde es lebensgefährlich. Und deshalb suggeriert sie ihm per Leserbrief ein bisschen eine drohende Klage:
Deshalb würde mich interessieren, ob es belegbare Todesfälle gibt, weil sich Patienten (oder Homöopathen) der dringend notwendigen Einnahme eines Antibiotikums widersetzt haben. Gibt es solche Belege nicht, so sollte Prof. Beyer vielleicht etwas vorsichtiger mit dem Ausdruck “lebensgefährlich” umgehen.
Mich als Leser des Lässer-Leserbriefs auf den Leserbrief wiederum würde interessieren, ob sich Frau Lässers Recherchefähigkeiten auch in ihrer Arbeit als Juristin so dermaßen bescheiden ausnehmen, dass sie per Leserbrief die Öffentlichkeit dabei um Hilfe ersuchen muss. Wenn dem so ist, dann sollte Frau Lässer vielleicht etwas vorsichtiger mit ihren Suggestionen umgehen. Man könnte sonst auf den Gedanken kommen, sie habe ihren Leserbrief gar nicht auf eigene Faust geschrieben, sondern im Auftrag der Homöopathie-Industrie.
Aber wir freundlichen Skeptiker sind ja stets hilfsbereit. Also, Frau Lässer, auf Ihrer Suche nach Belegen für Todesfälle durch Globuli-statt-Antibiotika-Gabe besuchen Sie bitte den Ratgeber-News-Blog und studieren Sie den zweiten und den dritten dort geschilderten Fall. Danach konsultieren Sie bitte die Fälle, die unter what’s the harm gelistet sind. Falls Ihr Wissensdurst dann immer noch nicht gestillt ist, hilft vielleicht das Informationsnetzwerk Homöopathie auf dieser Seite aus. Bitte, gerne, nichts zu danken!
Kommentare (41)