Die Ausführungen über das Leaky-Gut-Syndrom erscheinen auf den ersten Blick plausibel und klingen nach einer handfesten Erkrankung. Nur: Das Leaky-Gut-Syndrom gibt es in dieser Form gar nicht! Die Existenz eines Leaky-Gut-Syndroms wird gerne von Alternativmedizinern behauptet, um fragwürdige Therapien und Produkte zu verkaufen. Verschiedenste Erkrankungen wie Migräne, Asthma, Multiple Sklerose oder Autismus werden von den Verfechtern auf das Leaky-Gut-Syndrom zurückgeführt. Heilung sollen spezielle Nahrungsergänzungsmittel, Kräutermischungen und Diäten bringen. Wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit solcher Maßnahmen gibt es nicht. Übrigens: Auch bei Kiweno ist der Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln für Betroffene angedacht.
Ein Körnchen Wahrheit steckt dennoch in den Behauptungen. Es ist bekannt, dass Alkohol und Medikamente wie Aspirin und Ibuprofen die Darmschleimhaut schädigen und vorübergehend zu einer erhöhten Durchlässigkeit führen. Auch von Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn oder Zöliakie weiß man, dass sie mit einer Schädigung der Darmwand einhergehen. Der Kiweno-Bluttest verwendet als Marker für die Darmdurchlässigkeit vermutlich das Protein Zonulin, das an der Regulation der Öffnung der Zellzwischenräume des Darmepithels beteiligt ist. Es konnte gezeigt werden, dass Zonulin im Blut von Zöliakie-Patienten in höherer Konzentration vorkommt, Ursache und Wirkung sind jedoch noch nicht restlos geklärt. Ob diese vorläufigen Ergebnisse neue Wege in der Diagnose und Behandlung von Autoimmunerkrankungen eröffnen, ist Gegenstand aktueller Forschung. Für die Diagnose oder gar Behandlung eines spekulativen Leaky-Gut-Syndroms ist es definitiv zu früh.
Hang zu fragwürdigen Heilverfahren
Im Kiweno-Expertenbeirat, dem im Profil „Unterhaltungswert“ zugeschrieben wird, ist man anscheinend durchaus offen für Therapien ohne nachgewiesenen Nutzen. Dr. Roland Fuschelberger, der ärztliche Leiter von Kiweno und Vater eines Mitgründers, führt auf seiner Website zahlreiche pseudomedizinische Leistungen an. Er bezeichnet sich als Coach für die (esoterische) Spiegelgesetz-Methode® und bietet neben Entgiftungs- und Entschlackungskuren auch eine „biologische intravasale Lasertherapie“ zur Stärkung des Immunsystems an. Diese Laserbestrahlung des Blutes („Blutakupunktur“) soll „im Sinne einer energetischen Systemakupunktur“ bei einer breiten Palette von Erkrankungen helfen, auch begleitend bei Krebs. Die Methode wird mit den Mitochondrien erklärt, die die Lichtquanten aufsaugen würden. Eine Wirksamkeit des Verfahrens ist freilich nicht nachgewiesen.
Mithilfe der „Pain Neutralisation Technique“ (PNT) sollen Schmerzen durch Berühren und Beklopfen von Reflexzonen innerhalb von Sekunden zum Verschwinden gebracht werden. Diese Wunderkur kann man angeblich ganz einfach per DVD-Kurs erlernen. Erfahrungsberichte bezeugen, wie phänomenal, revolutionär und unglaublich die Behandlung sein muss. Im Kleingedruckten der wenig Vertrauen erweckenden Website wird man dann aber darauf hingewiesen, dass es sich bei PNT um keine medizinische Methode zur Diagnose, Behandlung oder Heilung von Krankheiten handelt. Die dargestellten Fälle seien „nicht typisch“, Ergebnisse werden keine garantiert. Die PNT-Methode wird in Redmond an der „ganzheitlichen“ Tahoma-Klinik – die übrigens auch einen eigenen Shop für Nahrungsergänzungsmittel führt – praktiziert, und zwar von ihrem medizinischen Direktor Gastón Cornu-Labat. Dieser wird ebenfalls im Kiweno-Expertenbeirat angeführt.
Gefährlich wird es, wenn Dr. Fuschelberger sogenannte „bio-identische Hormone“ als nebenwirkungsarme Alternative zur konventionellen Hormonersatztherapie propagiert. Dabei wird suggeriert, dass bestimmte „natürliche“, aus Pflanzen gewonnene Hormone wirksamer und sicherer wären als synthetische Hormone. Diese Therapieform sei aufgrund der „kommerziellen Interessen der Pharmaindustrie“ aber nur wenig bekannt. Der Begriff wurde von Jonathan Wright, dem Gründer der Tahoma-Klinik, geprägt. Für die meisten Behauptungen gibt es keine wissenschaftliche Grundlage. Patientinnen werden dazu verleitet, das Risiko zu unterschätzen, obwohl mit demselben Nebenwirkungsprofil wie in der herkömmlichen Hormonersatztherapie zu rechnen ist. Von wissenschaftlicher Seite wird auch kritisiert, dass mit einem einfachen Speicheltest gearbeitet wird, der als unzuverlässig gilt.
Fazit
Wir sind uns sicher, dass das Kiweno-Team mit Herzblut bei der Sache ist und an sein Produkt glaubt, doch die Ergebnisse des Kiweno-Bluttests lassen leider keine sinnvolle Interpretation zu. Vieles deutet darauf hin, dass die Kiweno-„Experten“ der Alternativmedizin näher stehen als der wissenschaftlichen Medizin. Wenn Kiweno ernst genommen werden will, sollte es sich unbedingt seriöses medizinisches Know-how an Bord holen. Menschen mit gesundheitlichen Problemen sollten derweil Ärzte oder Diätologen aufsuchen, die ihnen keine ungerechtfertigten Nahrungsmittelunverträglichkeiten einreden, sondern ihre Beschwerden ernst nehmen.
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