Die Wiener Skeptiker machen wieder einmal Schlagzeilen. Diesmal im neuen Profil. Es geht um Grüne Gentechnik bzw. die Angst vor ihr, und die Titelgeschichte stammt von Martin Moder. Die gibt es (noch?) nicht online. Mein Tipp: Heft Kaufen!
Stefan Uttenthaler legt in einem offenen Brief dar, was ihn dazu bewogen hat, nach 18 Jahren seine Spendentätigkeit für Greenpeace einzustellen. Offene Briefe sollten nicht nur dem Namen nach offen sein, sondern tatsächlich open access, haben wir uns gedacht. Deshalb hier exklusiv für Kritisch gedacht-Leserinnen und-Leser der Volltext dieses Briefes. (O.k., hier auch, aber schwer zu lesen…)
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Die Ablehnung von Gentechnik tötet Menschen. Deshalb spende ich nicht mehr für Greenpeace.
Ein offener Brief von Dr. Stefan Uttenthaler
Sehr geehrte Damen und Herren!
Hiermit widerrufe ich ab sofort meine Einzugsermächtigung für Spenden an Greenpeace von meinem Konto IBAN ATXX XXXX XXXX XXXX XXXX bei der XXX Bank. Gleichzeitig fordere ich Greenpeace auf, seinen Widerstand gegen die Grüne Gentechnik im Allgemeinen und den Goldenen Reis im Besonderen aufzugeben, um weiteres Leiden und Sterben von hunderttausenden Menschen jährlich zu beenden. Auch fordere ich jeden mitfühlenden und vernunftorientierten Menschen auf, es mir gleich zu tun und Spenden an Greenpeace einzustellen.
Im Folgenden lege ich dar, warum ich nicht mehr möchte, dass mein Geld Teil des Greenpeace-Budgets von weltweit über 330 Mio. Euro pro Jahr ist und warum die eingangs gewählten drastischen Worte angebracht sind.
Ich kann mich ziemlich genau daran erinnern, wie ich als junger Student vor etwa achtzehn Jahren von einem Greenpeacemitarbeiter auf der Straße angesprochen wurde und ohne groß zu zögern zugesagt habe, einen Spendenvertrag zu unterschreiben. Ich war zuvor schon zu der Auffassung gelangt, dass man über alles Schlechte in der Welt nicht immer nur lamentieren könne, sondern auch etwas dagegen tun muss, weshalb der Spendenwerber bei mir offene Türen einrannte. Aufgewachsen in der Abgeschiedenheit am oberösterreichischen Lande war ich schon als Kind der Überzeugung, dass es selbstverständlich sein müsse, die Umwelt, deren Teil wir sind und von der unser Überleben abhängt, zu schützen. Eine Spende für Greenpeace erschien mir eine gute Möglichkeit, einen kleinen Teil dazu beizutragen. Tatsächlich macht Greenpeace auch sehr lobenswerte Dinge wie z.B. der Einsatz für den Erhalt von wichtigen Lebensräumen wie dem Regenwald oder gegen den Klimawandel und Lebensmittelverschwendung.
Zugegeben, wahnsinnig groß war meine Spende nie. Als Student aus armem Elternhaus war mein Budget immer knapp und die letzten Jahre habe ich aus den unten angeführten Gründen schon Abstand davon genommen, meinen Beitrag zu erhöhen. Trotzdem ist über die Jahre sicherlich ein schönes Sümmchen zusammengekommen und Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist.
Warum ist die von Greenpeace propagierte Ablehnung von Gentechnik so tödlich? In vielen wenig entwickelten Ländern v.a. in Asien ist Reis das einzige nahrhafte Lebensmittel, das die Menschen zur Verfügung haben. Reis liefert zwar viel Energie, ihm fehlt aber ein wichtiger Nährstoff, den wir in den wohlhabenden Ländern aus der uns verfügbaren Nahrung reichlich zu uns nehmen können: Beta-Carotin. Das Provitamin Beta-Carotin wird im Körper in Vitamin A umgewandelt, das vielerlei physiologische Funktionen erfüllt. Eine Unterversorgung mit Vitamin A kann u.a. zu Erblindung und Entwicklungsstörungen führen. Laut WHO leiden weltweit etwa 250 Millionen Vorschulkinder an Vitamin-A-Defizienz (VAD) und jedes Jahr sterben daran etwa eine Million Kinder. Zwischen 250.000 und 500.000 Kinder erblinden zudem durch VAD und die Hälfte stirbt im darauf folgenden Jahr.
Es gibt einige Möglichkeiten, VAD in wenig entwickelten Ländern zu bekämpfen. Keine der vorgeschlagenen Lösungen war bisher vollumfänglich erfolgreich, sodass das Problem weiterhin in großem Maßstab besteht. Eine mögliche Lösung, die bisher leider nicht zur Anwendung kam, ist der Goldene Reis, eine mit Methoden der modernen Gentechnik gezielt entwickelte Reissorte, die das essentielle Beta-Carotin in ihren Körnern erzeugt. Anders als manche gentechnisch optimierten Pflanzen wäre der Goldene Reis für die Bauern frei und ohne Gebühr verfügbar. Sie könnten ihn auf den Feldern vor ihrer Haustür anpflanzen und ernten und einen Teil der Ernte wieder aussäen, Transportprobleme wie bei anderen Lösungswegen zur Bekämpfung von VAD (Vitamintabletten, angereicherte Grundnahrungsmittel) würden automatisch wegfallen.
Doch die Freigabe des Goldenen Reises wurde bisher von Greenpeace und anderen Aktivisten erfolgreich bekämpft. Sie haben starken Einfluss auf Politik, Behörden und Medien und haben Rückhalt vor allem in Bevölkerungsschichten, die nicht von Armut und VAD betroffen sind. So sorgen sie für bürokratische Hürden gegen die Einführung des Goldenen Reises, im Frühjahr 2014 wurde von Aktivisten ein Versuchsfeld zerstört. In keinem Land der Welt ist heute der Anbau von Goldenem Reis erlaubt. Wissenschafter schätzen, dass die Nichteinführung von Goldenem Reis seit 2002 – dem Jahr, in dem die Sorte frühestens hätte eingeführt werden können – bis 2014 1,42 Millionen Lebensjahre gekostet hat [1]. Allein in Indien. Pro Jahr könnten 40000 Menschenleben durch den Goldenen Reis gerettet werden. Allein in Indien.
Greenpeace begründet seine Ablehnung damit, dass es sich bei Goldenem Reis um eine „gefährliche Illusion“ handle. Welche konkreten Gefahren von dem Reis ausgehen sollten, wird selten dazu gesagt. Selbst wenn sie ausgesprochen werden, stehen sie in keinem Verhältnis zum Menschenleben rettenden Potential, das dem Goldenen Reis innewohnt. Ein ganz neuer Biosyntheseweg sei in die Reispflanze eingeführt worden, der unerwartete Effekte haben könnte und traditionelle Reissorten „verunreinigen“ würde, behauptet Greenpeace. Dabei ist die Synthese von Beta-Carotin der Reispflanze nichts Unbekanntes, produziert sie doch das Provitamin-A sehr wohl in den Blättern, nicht aber in den verzehrbaren Körnern. Dieser Mangel wurde im Goldenen Reis behoben durch die Einführung von zwei Genen, eines aus einem Bakterium und eines aus Mais, die den Syntheseweg in den Körnern vervollständigen. Außerdem behauptet Greenpeace, dass der Goldene Reis als Lösung versagt hätte, da er immer noch nicht verfügbar ist. Dabei beruht die Nichteinführung des Goldenen Reises hauptsächlich auf dem von Aktivisten wie Greenpeace lancierten Lobbying gegen die Reissorte.
Doch es wird immer offensichtlicher, dass es sich allein um eine allgemeine, dogmatische Ablehnung von Gentechnik handelt. Wie Verschwörungstheoretiker verteidigt Greenpeace seine kruden Thesen zur Gentechnik gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis und jedes rationale Argument. Anders als z.B. bei Klimawandel und Artensterben argumentiert Greenpeace beim Thema Gentechnik gegen den breiten und gesicherten wissenschaftlichen Konsens. Die „gefährliche Illusion“ besteht ausschließlich darin, dass das Spendenbudget von Greenpeace in Gefahr gerät, wenn die Vorteile des Goldenen Reises in der Anwendung ersichtlich werden und man nicht mehr dagegen zu Felde ziehen und Angst verbreiten kann. Lange habe ich gewartet und gehofft, dass Greenpeace noch zur Vernunft kommen und wenigstens beim Goldenen Reis eine Ausnahme machen würde. Meine Hoffnung wurde vor kurzem sehr bitter enttäuscht.
Denn vor kurzem wurde ein von 110 Nobelpreisträgern unterzeichneter offener Brief veröffentlicht, der Greenpeace dazu auffordert, die positiven Erfahrungen von Bauern und Konsumenten mit gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) weltweit, sowie den wissenschaftlichen Konsens dazu, zu akzeptieren und seinen Widerstand gegen Gentechnik im Allgemeinen und gegen den Goldenen Reis im Speziellen aufzugeben [2]. Die meisten Unterzeichner des Briefes, mehr als ein Drittel der lebenden Nobelpreisträger, haben ihre nobelpreisausgezeichneten Arbeiten auf Gebieten erbracht, die der Biotechnologie nahestehen und die daher genau wissen, wovon sie sprechen. Aber auch die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat den Brief unterzeichnet.
Offenbar hat Greenpeace jedoch nicht lange über den offenen Brief nachgedacht und ihn umgehend vom Tisch gewischt. Es ist enttäuschend und bezeichnend zugleich, wenn sich Greenpeace offenbar nicht einmal die Zeit nimmt zu überlegen, ob die Nobelpreisträger nicht doch Recht haben könnten und Gesprächsbereitschaft signalisiert. Als Wissenschafter, der aus dem ehemals jungen Studenten geworden ist, fällt es mir besonders schwer, diese antiwissenschaftliche Haltung nachzuvollziehen. Die Nobelpreisträger stellen in ihrem Brief die Frage, wie viele arme Menschen noch sterben müssen, bevor wir die Ablehnung des Goldenen Reises als Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachten? Eine Frage, die aufgrund der vorliegenden Zahlen berechtigt ist. Es ist eine Groteske der Globalisierung, dass wir im reichen Europa an eine Umweltschutzorganisation spenden, die u.a. gegen die Globalisierung auftritt und das Geld dazu verwendet, armen Menschen in weit entfernten Erdteilen den Zugang zu einer Technologie zu verweigern, die ihnen ein gesünderes und besseres Leben ermöglichen würde.
Bis zum Jahr 2050 wird sich der weltweite Bedarf an Lebensmitteln verdoppeln. Dies liegt nicht nur an der stetig steigenden Weltbevölkerung, sondern auch daran, dass die Menschen immer mehr hochwertige, ressourcenintensive Nahrung haben wollen, sprich Fleisch. Der wachsende Bedarf muss gedeckt werden, wollen wir nicht neue Hungersnöte heraufbeschwören. Soll nicht noch mehr Regenwald und unberührte Natur zerstört werden, dann haben wir aber nicht mehr Land zur Verfügung, um die wachsenden Bedürfnisse zu befriedigen. Der einzige Ausweg ist, auf den bestehenden landwirtschaftlichen Flächen einen höheren Ertrag zu erzielen. Die gezielte, gentechnische Optimierung von Pflanzen ist ein vielversprechender, zugegeben jedoch nicht der allein selig machende Weg, diesen Anforderungen in Zukunft gerecht zu werden. Pflanzensorten können für den Einsatz unter widrigen Bedingungen wie z.B. Trockenheit und salzige Böden optimiert werden. Der erhöhte Ertrag wird helfen, die Rückzugsgebiete von seltenen Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und zu schützen. Um diese Herausforderungen zu meistern, sollten wir um jeden Preis vermeiden, uns im Vorhinein und ohne Not dieser mächtigen Technologie zu berauben.
Entgegen der vor allem in Europa weitverbreiteten Meinung sind GVOs für den menschlichen und tierischen Verzehr sicher. Seit ihrer erstmaligen Freisetzung im Jahr 1996 wurden Billionen Mahlzeiten auf Basis von GVOs verzehrt, ohne auch nur einen einzigen dokumentierten Fall von gesundheitlichen Nachteilen. Österreich importiert jährlich 400000 Tonnen gentechnisch optimiertes Soja für die Tiermast. Es kann davon ausgegangen werden, dass jeder nicht-vegetarische Österreicher schon ein mit gentechnisch optimiertem Soja ermästetes Schnitzel gegessen hat. Negative Folgen für Mensch und Tier sind keine bekannt, zumindest nicht aufgrund des Sojas. Ganz im Gegensatz dazu sparen GVOs bereits aktiv Ressourcen, z.B. die Bt-Baumwolle, durch deren Einsatz die Verwendung von giftigen Pestiziden und damit verbundene Vergiftungsfälle drastisch zurück gegangen sind. Die vielfachen Vorteile von GVOs sind durch umfassende, unabhängige wissenschaftliche Studien klar belegt [3].
Wie viele Menschen müssen noch erblinden und sterben, bis Greenpeace endlich von seiner rein ideologischen Ablehnung des Goldenen Reises abweicht? Müssen wir bald den letzten Rest Regenwald abholzen, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Greenpeace würde seinen eigenen Zielen, dem Schutz der Umwelt und der Lebensräume, einen großen Dienst erweisen, wenn es bald von seiner dogmatischen Ablehnung von Gentechnik abrückte.
Ich möchte nicht, dass mit meinem Geld im Namen des Umweltschutzes weiterhin Menschen Leid zugefügt wird. Deshalb spende ich nicht mehr für Greenpeace und fordere dazu auf, es mir gleich zu tun.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Stefan Uttenthaler
Dr. Stefan Uttenthaler hat Physik und Astronomie in Wien studiert und in Astronomie promoviert. Nach mehrjähriger Forschungstätigkeit als Astronom ist er seit 2013 wissenschaftlicher Projektbetreuer für Physik und Astrophysik beim Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Er ist Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP, www.gwup.org) und beschäftigt sich u.a. mit Fragen der Gentechnik.
Links:
[1]: doi:10.1017/S1355770X1300065X
[2]: https://supportprecisionagriculture.org/nobel-laureate-gmo-letter_rjr.html
[3]: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0111629
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