Dick, arm und ungebildet sein – gehört das zusammen? Die gestern veröffentlichte “Nationale Verzehrsstudie” der Bundesregierung legt das nahe. Die britische Regierung veröffentlichte Anfang des Monats ein ähnliches Zahlenwerk. Beides sind indirekt Armutsstudien, die die Verantwortung den Betroffenen zuschieben.

Gestern stellte Bundesminister Horst Seehofer eine Studie zur Ernährung der Deutschen vor. Demnach sollen zwei Drittel der Männer und 51 Prozent der Frauen zu dick sein, weil sie einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30 haben. Nach offizieller Lesart liegen sie damit über dem so genannten “Normalgewicht”. Ob diese Menschen sich wirklich Sorgen über ihre Kilos machen sollten, ist allerdings umstritten. Als wirklich fettleibig gilt nur jeder fünfte Deutsche, der einen BMI von 30 übertrifft.

So richtig interessant werden diese Zahlen erst durch ergänzende Daten, wonach der durchschnittliche Hauptschüler eher zu Übergewicht neigt als der Gymnasiast. Bildung und Ernährung stehen offenbar in einem Zusammenhang. Wobei der Begriff “Bildung” den (nicht offen ausgesprochenen) Vorwurf in sich trägt, der tendenziell Ungebildete mache sich eben nicht genug Gedanken über seine Ernährung. Aber sollten wir statt von Bildung nicht besser von Geld sprechen?

Wer arm ist, ernährt sich schlechter. Das ist nicht nur in Deutschland so. Vor kurzem vorgelegte Zahlen aus Großbritannien kommen zum gleichen Ergebnis. Die britische Regierung hat Daten vorgelegt (hier als PDF, siehe Seite 92 ff), nach denen Menschen mit geringem Einkommen deutlich weniger Obst und Gemüse zu sich nehmen als der Durchschnittsverdiener. Dafür verzehren Arme mehr gesättigte Fettsäuren und mehr Zucker.

Eine qualitativ hochwertige, abwechslungsreiche, und damit langfristig gesunde Ernährung statt Billigstware muss man sich leisten können. Wenn Menschen mit geringem Einkommen beim Essen sparen müssen und in zunehmendem Maße auf Lebensmittelspenden durch privat organisierte Tafel-Projekte angewiesen sind, dann ist das nicht ihr individuelles Fehlverhalten, sondern ein soziales Problem. Natürlich liegt hier nicht die einzige Ursache für den allgemeinen Trend zum Übergewicht. Doch dass der Armuts-Aspekt in der öffentlichen Diskussion weitestgehend außen vor bleibt – so wie Armut auch in der politischen Diskussion selten thematisiert wird -, ist ein trauriges Beispiel für die verzerrte Wahrnehmung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Die britische Regierung betont in ihrer begleitenden Pressemeldung jene Aspekte, die die Verantwortung beim Individuum sehen. Und auch Seehofer will in erster Linie “den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, was sie selbst tun können, um ihre eigene Gesundheit zu fördern und zu erhalten”.

Schön, auf welch famose Idee Seehofer da plötzlich gekommen ist! Was haben der Minister bzw. seine Vorgänger/innen eigentlich die ganzen letzten Jahre über gemacht? Aufklärungskampagnen über gesunde Ernährung scheinen jedenfalls bisher immer ins Leere gelaufen zu sein. Denn ein Blick auf Statistiken der Jahre 2004 und 2006 zeigt, dass wir Jahr für Jahr immer ein oder zwei Prozentpünktchen dicker werden. Was lässt Seehofer dann auf ein weiteres Ernährungs- bzw. Erziehungsprogramm hoffen?

Kommentare (10)

  1. #1 Arnd
    Januar 31, 2008

    Wer es wirklich will kann sich auch mit sehr wenig Geld gesund ernähren. Gemüse und Früchte auf dem Markt sind meist ziemlich billig. Ich glaube es hat schon eher was mit Initiativlosigkeit zu tun. Und ich glaube dass “Ist mir doch alles egal”-Gefühle deutlich sowohl mit Bildung als auch mit Armut korrellieren. Wer sich eher treiben läßt, wird im Schnitt weder reich noch gebildet.

  2. #2 Peter Artmann
    Januar 31, 2008

    Ihr Bürger Berlins: Der Engländer versucht durch Export seiner schäbigen Küche unserem schönen Volk zu schaden. Ich werde die weiteren Versuche unsere Volksgesundheit zu schwächen ein für allemal beenden. Mit meinem Aktionsplan Ernährung wird diese Art der Verfettung keine Chance mehr haben! Wollt ihr Euer weiteres Leben Diät leben? Wollt ihr Diät leben, wie sie noch kein Mensch gekannt hat? Dann folgt mir.
    “Euer schlanker Hotte aus Berlin”

  3. #3 Monika Armand
    Januar 31, 2008

    Du “schreibst” mir aus dem Herzen. Ich kenne einige kinderreiche HartzIV-Familien. Keine kann sich das teure Obst und Gemüse leisten. Dabei ist – auch ohne Übergewicht – davon auszugehen, dass die Ernährung unausgewogen ist und ernährungsbedingte Mangelzustände vorprogrammiert sind. Die in manchen Orten vertretenen “Tafeln” bleiben dabei oft auch nur ein “Tropfen auf den heißten Stein”.

  4. #4 Monika
    Januar 31, 2008

    Arnd wer wirklich arm ist, sehr sehr arm, der hat nicht mal die paar Cent für das billigste Obst,

    ich vermut Du lebst in einer anderen Welt, um zu wissen was *arm* sein heißt,

    wenn Du für eine 4köpfige Familie knappt 55€ pro Woche hast – das ist arm, geh damit mal einkaufen … dann erklär hier wieder was von Bildung und gesunder Ernährung,

    reden geht leicht, ….

    lg

  5. #5 Monika Armand
    Februar 1, 2008

    @ Arnd
    “Wer es wirklich will kann sich auch mit sehr wenig Geld gesund ernähren. Gemüse und Früchte auf dem Markt sind meist ziemloich billig.”
    1. Frage:
    Was heißt hier “billig”? Auf welchem Markt gibt es “billige” Früchte, so dass 2,70 € / Tag für die gesamte Ernährung reichen?
    2. Frage:
    Wo gibt es diesen Markt, welcher Obst und Gemüse zu Cent-Beträgen anbietet?

    Behaupten kann man viel, wenn man nichts belegen muß. Die Belege für Arnds Behauptung müssen erst noch “erfunden” werden.
    Weiterführende Adressen:
    https://www.abendblatt.de/daten/2007/08/02/777912.html
    https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/news/ernaehrungsmaengel_aid_68538.html
    https://www.rbb-online.de/_/kontraste/beitrag_jsp/key=rbb_beitrag_6077947.html

  6. #6 Klaus-Peter
    Februar 3, 2008

    Sehhofer hat wohl selbst einmal eine Ernährungsberatung genossen und so erteilt er jetzt öffentlich den Rat, nie hungrig zum Einkaufen zu gehen.
    Wenn es bei ihm geholfen hat, muss es ja auch beim Rest der Nation finktionieren.

  7. #7 Alte Meister
    August 27, 2008

    Aber eines muss ich mal hinzufügen: Warum werden denn unsere Politiker immer dicker je länger sie im Amt sind? Nimmt die Bildung bei denen ab?

  8. #8 Gemälde
    Juli 2, 2009

    warum joschka fischer wurde dünner und nicht dicker?!

  9. #9 Pop Art
    Juni 9, 2010

    eher die frage, warum war er steineschmeisser 🙂

  10. #10 Mario Steuck
    Mai 21, 2012

    ich denke das hängt auch eindeutig mit dem wissen um die ernährung zusammen. viele scheinen gar nicht zu wissen was sie da eigentlich essen und was es anrichten kann. auch ist der faktor zeit ein weiteres thema. viele menschen haben kaum noch die zeit sich wirklich gesund zu ernähren. da bleibt oft nur die imbissbudde um die ecke.