Klar, weiß doch jeder: Süßstoffe machen dick. Weil sie Zucker vortäuschen und dem Körper nicht die Kalorien liefern, die er erwartet. Deshalb bleibt er hungrig und man isst mehr als man wollte. Haben das nicht gerade wieder Versuche mit Ratten bewiesen? Stimmt so pauschal gar nicht, wendet ein Forscher der University of Washington ein und verweist auf eine eigene Studie. Der Absender seiner Pressemeldung macht dann aber doch etwas misstrauisch…
Heute machte eine Meldung die Runde, nach der Süßstoffe eher kontraproduktiv sind, wenn es darum geht, das Körpergewicht unter Kontrolle zu halten. Das glauben Psychologen der Purdue University nach Versuchen mit Ratten sagen zu können. Ein Teil der Tiere hatte Joghurt zu fressen bekommen, der mit Traubenzucker versetzt war. Ein anderer Teil bekam mit dem Süßstoff Saccharin angereicherten Joghurt. Zusätzlich konnten die Ratten beliebig weiteres Futter fressen. Die mit Süßstoff gefütterten Tiere legten während der Versuche deutlich an Gewicht zu, schreiben die Forscher in “Behavioral Neuroscience” (PDF).
Ihre These: Der Süßstoff Saccharin stört die Verdauung, weil die natürliche Verbindung von Süße zu Kalorien fehlt. Der Körper verwertet die Nahrung schlechter und erwartet gleichzeitig einen Nachschub an Kalorien. Süßstoffe regten damit den Appetit an und führten so letztlich zu Übergewicht. Es sei besser, so die Forscher in einer Pressemeldung der “American Psychological Association” (APA), wenn der hungrige Konsument gleich zum echten Zucker greife.
Hier endet der erste Teil der Geschichte, der durch jene deutschen (Online-)Medien ging, die sich von der Agentur ddp beliefern lassen. Denn bei der ddp hatte man den Pressetext der APA ins Deutsche übersetzt.
Über “Eurek Alert”, eine Plattform für wissenschaftliche Pressemeldungen, wurde aber noch ein zweiter Text zum Thema veröffentlicht. Und das sogar mit zwei Tagen Vorlauf, aber mit Bezug auf die APA. In diesem zweiten Text stellt Adam Drewnowski, Leiter des “Center for Public Health Nutrition” an der University of Washington, die Studie der Purdue-Kollegen in Frage. Kritikpunkte u.a.: Die Studie sei mit gerade einmal 27 Tieren durchgeführt worden. Tatsächlich waren nur 9 davon mit dem Süßstoff gefüttert worden. Die Tierversuche seien nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar – ein Problem, welches die Forscher selbst auch einräumen. Und überhaupt: Eine Studie aus dem Februar 2007, an der Drewnowski als Co-Autor beteiligt war, habe einen positiven Einfluss von Süßstoffen bei Menschen bewiesen, die ihr Gewicht halten oder reduzieren wollten.
Eine Diät-Beraterin vom “Calorie Control Council” bestätigt Drewnowskis Auffassung. Die Gründe für Übergewicht seien vielfältig, sie seien u.a. in übermäßigem Essen und zu wenig Bewegung zu suchen. Die Purdue-Studie vereinfache allzu sehr.
Absender dieses zweiten Pressetextes ist allerdings nicht die University of Washington, an der Drewnowski arbeitet. Absender ist die PR-Agentur Kellen Communications. Zu deren Klienten gehören u.a. Coca Cola, die Konzerne Procter & Gamble und Unilever, ein Verband der Margarine-Produzenten sowie das eben erwähnte Calorie Control Council. Diese herzensgute Organisation gibt seit über 40 Jahren selbstlose Gesundheits- und Fitnesstipps. Ach ja, und dann preist sie noch die Vorzüge von Süßstoffen für die moderne Ernährung. Das kann man dem Council kaum übel nehmen, besteht es doch aus 60 Herstellern von Süßstoffen und kalorienreduzierten Light-Lebensmitteln.
Sollte man die Einwände des Forschers Drewnowski ignorieren, weil der Mann offenkundig zur Süßstofflobby gehört? Kann man machen. Ich persönlich finde die Haltung der “Los Angeles Times” besser, die in ihrem Beitrag über die Debatte sowohl einen unbeteiligten Fachmann befragt hat als auch Drewnowski zu Wort kommen lässt. Mit Hinweis auf seine Verbindung zur Industrie, versteht sich.
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