Der sich epidemisch ausbreitenden Fettsucht sei genauso viel Aufmerksamkeit zu widmen wie dem Klimawandel, findet der Ernährungswissenschaftler Philip James. Das klingt auf den ersten Blick etwas alarmistisch, doch James hat gute Argumente.
Der Forscher sprach als Vertreter der International Association for the Study of Obesity (IASO) Ende letzter Woche auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science in Boston. Angesichts der begrenzten Ressourcen für den Anbau von Nahrungsmitteln müsse sich die Landwirtschaft darauf konzentrieren, die regionale Versorgung mit frischem Obst und Gemüse sicherzustellen, so James. Dies sei eine große Herausforderung angesichts klimatischer Veränderungen und der zu erwartenden Wasserknappheit.
Der Ernährung der westlichen Industrieländer stellte James ein schlechtes Zeugnis aus: Unsere Lebensmittelproduktion habe eine schlechte CO2-Bilanz, verbrauche zu viel Wasser und Energie und liefere letztlich eine Nahrung, die zu kalorienreich sei. Nach diesem Muster seien die acht Milliarden Menschen, die in rund 20 Jahren vermutlich die Erde bevölkern würden, kaum zu ernähren.
Mehr Fälle von Diabetes und Bluthochdruck sagt James all jenen aufstrebenden Staaten voraus, die sich den westlichen Lebensstil zum Vorbild nehmen. Zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viel Salz, ein Zuviel an Junk Food – was macht einen solchen Lebensstil eigentlich so anziehend? Auf diese Frage kann ich bei James leider keine Antwort finden.
Wir fressen uns fett und bewegen uns gleichzeitig dank komfortabler motorisierter Mobilität zu wenig. Eine derartige Bilanz haben wir schon oft gehört. Ursachen und Folgen wurden auch schon ausgiebig beschrieben. Doch James bringt immerhin einen neuen Ansatz in die Diskussion: In einer mehrheitlich übergewichtigen Welt sei es aussichtslos, persönliche Verantwortungen einzufordern und die Bürger zu mehr Bewegung und Disziplin beim Essen aufzufordern. Stattdessen seien die Bedingungen zu ändern, unter denen wir leben.
James will die Lebensmittelindustrie dazu bringen, gesündere und weniger energiereiche Nahrungsmittel zu produzieren. Die Industrie habe eine “soziale Verantwortung, gesunde Lebensmittel nicht zu überteuern und sie für alle Verbraucher erschwinglich zu machen.” Dazu gehöre, nicht länger zu fettige und zu süße Speisen mit künstlichen Aromen aufzupeppen. Zudem sei die Vermarktung der Produkte fragwürdig; die auf Kinder zielende Werbung sei verwerflich und diene lediglich der Gewinnmaximierung.
Spätestens an dieser Stelle mischen sich bei mir Zustimmung und Skepsis. Klar, der Mann hat inhaltlich Recht. Aber ob die Industrie ihre Umsatzziele zurücknimmt und nach ihrem sozialen Gewissen zu suchen beginnt…
Ein weiterer Vorschlag des Forschers sieht vor, die körperliche Bewegung wieder stärker in unseren Alltag zurück zu holen. Je mehr Wege wir zu Fuß zurücklegen könnten und je besser öffentliche Verkehrssysteme ausgebaut seien, um so leichter würden wir auf die individuelle motorisierte Fortbewegung verzichten, spekuliert James. Und es funktioniert tatsächlich. Das kann ich als nicht motorisierter Großstadtmensch bestätigen. Voraussetzung ist allerdings, seine Wohn- und Arbeitssituation aufeinander abzustimmen und seinen Lebensstil entsprechend auszurichten. Aber angesichts steigender Kosten für die individuelle “mobile Freiheit” könnte sich dieser Punkt noch am ehesten auf absehbare Zeit von selbst erledigen.
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