Die Preise für Grundnahrungsmittel steigen zur Zeit auf ein Niveau, das viele Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht mehr bezahlen können. Als Ursachen werden gern veränderte Ernährungsgewohnheiten, schlechte Ernten durch den Klimawandel und der hohe Ölpreis gehandelt. Aber das ist höchstens die halbe Wahrheit. Eine internationale Arbeitsgruppe hunderter Wissenschaftler nennt noch ganz andere Gründe.
Im südafrikanischen Johannesburg wurde in den letzten sieben Tagen der Abschlussbericht des “International Assessment of Agricultural Science and Technology for Development” (IAASTD) beraten. Auf Initiative der Vereinten Nationen und der Weltbank hatte dieses Gremium seit vier Jahren daran gearbeitet, eine globale Strategie für die Landwirtschaft und gegen den Hunger in der Welt zu entwickeln. Über 400 Landwirtschaftsexperten steuerten ihr Wissen bei. Hunderte weitere Wissenschaftler arbeiteten den Ausschüssen zu. Tausende wissenschaftliche Arbeiten wurden ausgewertet. Und für eine gewisse Zeit schien es so, als könnten sich die Vertreter von rund 90 Regierungen, zahlreichen NGOs und der Biotech-Industrie auf eine gemeinsame Strategie einigen.
Doch dann stieg die Industrie Anfang des Jahres aus. Sie will die abschließenden Bewertungen des IAASTD, die Anfang dieser Woche offiziell veröffentlicht werden, nicht mittragen. Der Entwurf zur Abschlusskonferenz, so viel wurde vorab bekannt, enthält zu viele industriekritische Aussagen und stellt zahlreiche Regeln in Frage, welche die Weltwirtschaft bisher wie Naturgesetze prägen.
Das IAASTD empfiehlt, lokale Bedingungen für die Landwirtschaft stärker zu berücksichtigen, Kleinbauern und regionale Vertriebswege zu stärken, großflächige Monokulturen zu vermeiden und natürliche Ressourcen zu schützen. Der Biotechnologie und der Gentechnik wird zwar keine eindeutige Absage erteilt, aber das IAASTD sieht in der Technik keine Lösung für das Hungerproblem.
Vertreter von Konzernen wie Syngenta und Monsanto können einer solchen Linie natürlich nicht folgen. Im Magazin “New Scientist” (Text nicht frei online) begründet die für Syngenta arbeitende Forscherin Deborah Keith ihren Ausstieg aus dem IAASTD: Die ökologische Landwirtschaft sei kein Mittel gegen den globalen Hunger, weil sie dreimal so viel Fläche wie die konventionelle Landwirtschaft benötige, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren. “Sadly, social science seems to have taken the place of scientific analysis.” Der IAASTD-Bericht stelle Ängste und Vorurteile gegenüber Technik und Wirtschaft als Fakten dar, so Keith im “New Scientist”.
In derselben Ausgabe der Zeitschrift muss sich die Industrie aber auch fragen lassen, welche Probleme der Bauern in Entwicklungsländern jemals technisch gelöst worden seien. Die Fortschritte durch technologisch optimiertes Saatgut und Hightech-Dünger haben bisher nur die Industrieländer eingefahren. Ihre Überproduktion haben sie zu stark subventionierten Preisen in Entwicklungsländer exportiert. Deren Bauern konnten häufig gegen die billigen Importwaren nicht bestehen und verloren ihre Existenz.
Jene, die auf dem Weltmarkt nachgefragte Nahrungsmittel anbauen, bekommen von uns nur selten “faire” Preise bezahlt. Und wer auf Biotech-Saatgut setzt, begibt sich in die Abhängigkeit weniger Monopolisten. Den Weltmarkt für Saatgut haben die vier größten Konzerne schon zu 30 Prozent in der Hand, den nordamerikanischen Markt für Düngemittel beherrschen gerade mal zwei Hersteller. Kann man es den Bauern verdenken, wenn sie sich diesen Bedingungen entziehen wollen?
Den Empfehlungen des IAASTD zufolge wäre den Bauern in den ärmsten Regionen der Welt schon mit simpelsten Methoden zu helfen. Dazu gehört etwa die Möglichkeit, Regenwasser zu sammeln und das kostbare Nass nicht durch veraltete Bewässerungstechnik zu verschwenden. Und den Bauern im südlichen Afrika wäre häufig schon geholfen, wenn es vernünftige Straßen gäbe, um Lebensmittel überhaupt auf die regionalen Märkte transportieren zu können.
Derartige Probleme lassen sich mit “Low Tech” bestens lösen.
Wenn das politisch gewollt ist.
Nachtrag 15.4.2008:
Die Ergebnisse der abschließenden Beratung sind jetzt als PDFs online abrufbar unter
www.agassessment.org
sowie für das “normale Publikum” verständlicher aufbereitet unter
www.greenfacts.org
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