Wenn sich riesige Supermärkte an den Stadträndern ansiedeln, zieht dies ein Ladensterben in der Innenstadt nach sich. Die Auswirkungen haben Forscher am Beispiel einer kanadischen Großstadt untersucht.
In Nordamerika, sowohl in den USA als auch in Kanada, sind viele Großstädte von sozialen Kontrasten gezeichnet. Wer wohlhabend ist, lebt im Eigenheim in der Vorstadt. Wer wenig Geld hat, lebt zur Miete in der Innenstadt. Ein Auto ist Pflicht, denn öffentliche Verkehrsnetze sind nur schlecht ausgebaut und die Geschäfte mit dem Lebensnotwendigen sind in riesige Supermärkte ins Umland abgewandert.
Von regelrechten “urban food deserts” sprechen Kristian Larsen und Jason Gilliland vom Geography Department der University of Western Ontario. Das Duo untersuchte die Lage am Beispiel der mittleren Großstadt London in der kanadischen Provinz Ontario. In London leben knapp über 350.000 Menschen, die Stadt liegt damit auf Platz 15 der größten kanadischen Städte.
Zwischen 1961 und 2005 vollzog sich in London jene Entwicklung, die für viele nordamerikanische Städte typisch war: In den wachsenden Vorstädten entstanden große Einkaufszentren, welche Kaufkraft aus der Innenstadt abzogen. Für jene, die sich kein Auto leisten können, hat das fatale Folgen, schreiben Larsen und Gilliland im “International Journal of Health Geographics“. Die Betroffenen bekommen in den noch verbliebenen innerstädtischen Läden eine geringere Auswahl an Lebensmitteln zu höheren Preisen. Die schlechtere Ernährung in den armen City-Bereichen führe langfristig zu mehr Herzkrankheiten, Diabetes und Krebs. In den sozial schwachen Bezirken Central und East London mache sich das statistisch am stärksten bemerkbar.
Die Menschen der betreffenden Stadtteile hätten den vergleichsweise längsten Weg zu einem der 28 großen Supermärkte, ermittelten die Forscher. Kaufen die Bewohner aber nur in der City ein, zahlen sie in den kleinen Läden für vergleichbare Waren glatt das Doppelte. 1961 hätten noch 75 Prozent der innerstädtischen Bevölkerung problemlos einen großen Supermarkt erreichen können, so die Forscher, heute gelänge das nur noch einer Minderheit von 20 Prozent.
Die Forscher sehen eine Spirale des sozialen Abstiegs am Werk: Je mehr Geschäfte aus der City abwandern, um so mehr Arbeitsplätze gehen verloren, womit gleichzeitig eine Verteuerung des Lebens für die Betroffenen verbunden ist. Die Stadt müsse wirtschaftliche Anreize schaffen, um wieder Supermärkte in den “Einkaufswüsten” anzusiedeln, schlagen Larsen und Gilliland vor.
Die Ausrichtung auf ein Leben mit, ja geradezu im Auto scheint in Nordamerika stärker ausgeprägt zu sein als in Europa. Selbst wir autoverliebten Deutschen kommen nicht annähernd an diesen Lebensstil heran. Glücklicherweise haben sich die meisten unserer Städte auch einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr erhalten. Aber das Wuchern der Metropolen in die Fläche, der Trend zum eigenen Häuschen in der grünen Vorstadt und zum immer größeren Einkaufszentrum am Stadtrand – das alles gibt es auch bei uns. Wir sollten öfter mal einen Blick über den großen Teich werfen, um uns die negativen Folgen einer solchen Expansion vor Augen zu führen.
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