Die Aktienkurse erholen sich, die globale Wirtschaft bricht wohl noch nicht zusammen. Aber das ist kein Grund, sich erleichtert zurückzulehnen.

Die folgende Grafik illustriert im aktuellen “New Scientist” das Titelthema “The folly of growth – How to stop the economy killing the planet”.

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Das Bild vereint u.a. so unterschiedliche Werte wie die Temperaturen auf der Nordhalbkugel (habe ich mit 1 gekennzeichnet), das Bevölkerungswachstum (2), die Kohlendioxyd-Konzentrationen (3) und die Zahl der Kraftfahrzeuge (4). Die Grafik beginnt links mit dem Jahr 1750 und endet rechts im Jahr 2000. (Hier gibt´s die Grafik in voller Größe.)

Man kann kaum schöner illustrieren, auf welchem Irrweg wir uns befinden, wenn wir nach ständigem, sich möglichst beschleunigendem Wachstum streben. Geradezu beispielhaft zeigte das auch eine Meldung Mitte Juli: Da gab Google bekannt, im zweiten Quartal 3,38 Milliarden Euro umgesetzt zu haben – ein Zuwachs von 39 Prozent zum Vorjahr! Trotzdem verlor die Google-Aktie nach der Bekanntmachung bis zu 11 Prozent. Die Analysten waren enttäuscht, sie hatten noch mehr Zuwachs erwartet.

Wir können so einfach nicht weitermachen, ist das nüchterne Fazit von Tim Jackson, der zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung an der University of Surrey forscht. Er beklagt, der Politik fehle es an Mut, offen von den Grenzen des Wachstums zu sprechen:
The one piece of advice you will not see on a government list is “buy less stuff”. Buying an energy-efficient TV is to be applauded; not buying one at all is a crime against society.

Unser Wirtschaftssystem muss auf Wachstum programmiert bleiben, wenn wir unseren hohen Lebensstandard halten wollen. Dabei wissen wir längst, dass unser Verbrauch natürlicher Ressourcen diesen Standard nur noch vergleichsweise kurze Zeit wird aufrecht erhalten können. Es wird nicht reichen, das internationale Finanzwesen ein bißchen umzubauen oder den Wohlstand ein bißchen umzuverteilen. Stattdessen müssten wir Wege finden, unseren Konsum einzuschränken, unseren Wohlstand zu teilen, unseren Verbrauch an Ressourcen drastisch zu verringern, ohne dadurch den Zusammenbruch der Gesellschaft auszulösen. Es wäre an der Zeit, in den Medien die Notwendigkeit des Verzichtens ernsthaft zu thematisieren.

Der “New Scientist” zeigt hier, wie das geht. Hallo “Spiegel”, hallo “Focus”, “Welt” & Co! Ihr schreibt doch sonst auch so gern aus dem “New Scientist” ab, warum nicht auch diesmal?

Kommentare (9)

  1. #1 Marc Scheloske
    Oktober 20, 2008

    Mal wieder komme ich nicht umhin, Dir eine Extraportion Applaus und Zustimmung zu spendieren. Allein: was hilft es, wenn wir hier im kleinen Kreis uns Zunicken?

    Das Problem ist ganz einfach, daß wir (als Individuen, als auch als Gesellschaft) darauf geeicht scheinen, daß wir Wachstum toll, Verzicht aber negativ bewerten.

    Und sowas:

    “Es wäre an der Zeit, in den Medien die Notwendigkeit des Verzichtens ernsthaft zu thematisieren.”

    Kommt einem doch beispielsweise sehr bekannt vor. Hatte nicht Kohl damals auch schwadroniert, daß wir “den Gürtel enger schnallen müssten”? Und? Wirklich gut kam er dann halt doch damit an, wenn er das Loblied von den “blühenden Landschaften ” anstimmte. Plausibilität ist das eine, die Hoffnung auf Wachstum das andere.

  2. #2 Stefan Jacobasch
    Oktober 20, 2008

    Hmmja, zugegeben, meine Beiträge hier haben in letzter Zeit einen starken Drall ins Moralische. Ich mach dann demnächst mal wieder mehr auf Optimismus… 😉

  3. #3 Shin
    Oktober 20, 2008

    Diese Kurve zeigt den Fortschritt inklusive einiger seiner Kosten, und dennoch gibt es sogar auf einem Wissenschaftsblog scheinbar einige, die zurück in die Steinzeit wollen. Traurig.
    Wachstum und Expansion sind für den Fortschritt notwendig, es müssen ständig neue Wege und Möglichkeiten erschlossen werden, und das ganze hat eben auch seinen Preis. Bessere Lebensbedingungen bringen höhere Lebenserwartung und mehr Konsum mit sich, und auf beides hat jeder Mensch ein Recht, das ihm niemand absprechen kann.

  4. #4 Marc
    Oktober 21, 2008

    @shin:

    Bessere Lebensbedingungen bringen höhere Lebenserwartung und mehr Konsum mit sich, und auf beides hat jeder Mensch ein Recht, das ihm niemand absprechen kann.

    So, so. Vom Menschenrecht auf Konsum habe ich auch schon lange nichts mehr gehört.

    Aber im Ernst: die Kurven zeigen u.a. den Anstieg der CO2-Emissionen und den Fortschritt von Regenwaldzerstörung oder Verlust von Arten. Das hat mal rein gar nichts mit Notwendigkeiten zu tun, sondern ist eine Korrelation die gerade in einem Weblog mit wissenschaftlicher Akzentsetzung thematisiert werden darf.

    Denn wirklicher Fortschritt läge doch dann vor, wenn der Anstieg des Wohlstands nicht mehr an einen parallel verlaufenden Anstieg der Umwelt- und Ressourcenzerstörung gekoppelt wäre. Eine wirkliche Innovation wäre es, wenn die Mobilitätsanforderungen erfüllt werden könnten und der Energieverbrauch abnehmen würde.

    Aber vielleicht sollte ich gar nicht versuchen, zu argumentieren – Dein Vorwurf, wir wollten “zurück in die Steinzeit”, zeugt in diesem Fall von mangelnder Bereitschaft zu differenzieren.

  5. #5 Stefan Jacobasch
    Oktober 21, 2008

    Gestern Abend erschien übrigens bei der “Süddeutschen” ein Interview mit Dennis Meadows, das zum Thema passt: “Es geht darum, weniger zu konsumieren”

    @shin: Vorsicht! Nicht lesen! Noch so jemand, der Sie in die Steinzeit befördern will!

  6. #6 Shin
    Oktober 21, 2008

    “Denn wirklicher Fortschritt läge doch dann vor, wenn der Anstieg des Wohlstands nicht mehr an einen parallel verlaufenden Anstieg der Umwelt- und Ressourcenzerstörung gekoppelt wäre.” Eben. Aber wie kommen wir an diesen Punkt? Sicherlich nicht durch Verzicht und Askese. Flucht nach vorn heißt das Gebot der Stunde. Wachstum und Nachhaltigkeit sind durchaus vereinbar, doch dazu müssen entsprechende Technologien eben erst einmal entwickelt werden.
    @Stefan: Jemanden wie Meadows, der den Zusammenbruch der Zivilisation kommen sieht, wenn man nicht seinem Masterplan zur Weltretzung folgt, kann ich nicht ernstnehmen, tut mir leid. In den Augen von Leuten wie Meadows sind Menschen doch nichts als Figuren auf einem Schachbrett, deren Geschick abhängig ist von der Strategie des jeweiligen Spielers. Dass Menschen Individuen mit eigenen Zielen und Interessen sind, scheint er nicht zu begreifen, er sieht nur Macht und die Mächtigen.

  7. #7 Stefan Jacobasch
    Oktober 21, 2008

    @Shin: “Jemanden wie Meadows, der den Zusammenbruch der Zivilisation kommen sieht, wenn man nicht seinem Masterplan zur Weltretzung folgt, kann ich nicht ernstnehmen, tut mir leid.”
    Ich wusste ja, das ist nichts für Sie. Den im Beitrag verlinkten Tim Jackson mögen Sie wahrscheinlich auch nicht lesen, oder?

    “Wachstum und Nachhaltigkeit sind durchaus vereinbar, doch dazu müssen entsprechende Technologien eben erst einmal entwickelt werden.”
    Auf gut deutsch: Ich habe keine Ahnung, wie eine Lösung aussehen könnte, aber irgendwer wird schon irgendeine Technologie entwickeln.
    Eine solche Argumentation kann ich nicht ernst nehmen, tut mir leid.

  8. #8 Shin
    Oktober 22, 2008

    “Ich habe keine Ahnung, wie eine Lösung aussehen könnte, aber irgendwer wird schon irgendeine Technologie entwickeln.”
    Eben. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Viele andere scheinen dies nicht zu wissen und maßen sich Wissen an, über das sie nicht verfügen. Der Gedanke, dass aufgrund “des Wachstums” in nicht mal 50 Jahren die Zivilisation zusammenbricht ist so abwegig, dass der hier auf dem Nachbarblog gerade diskutierte Herr von Däniken noch geradezu glaubwürdig erscheint. Genau so Herr Jackson, der scheinbar trotz der richtigen Erkenntnis des eigenen und allgemeinen Nichtiwssens (“we have no idea if such a radical transformation is even possible, or if so what it would look like. Where will the investment and resources come from? Where will the wastes and the emissions go? What might it feel like to live in a world with 10 times as much economic activity as we have today?”) unglücklicherweise die freie Marktwirtschaft als das Problem statt die Lösung ansieht. Soll der Staat, der ebenso wenig weiß wie wir alle, die Probleme Lösen? Dies glaubt offenbar auch Jackson nicht, immerhin. Dass Technologien entwickelt werden, die die anstehenden Probleme lösen, liegt doch auf der Hand, denn die Nachfrage danach steigt mit jedem vergehenden Tag. Wenn das Öl teurer wird, kauft sich ganz selbstverständlich irgendwann jeder ein Auto mit Hybridantrieb, und ganz selbstverständlich entwickelt sich ein Markt für Alternativtechnologien zum alten Otto-Motor.

  9. #9 Tark.V
    Oktober 23, 2008

    @Shin, die Meinung (Hoffnung?), dass durch “freien Markt” die Probleme gelöst, die passenden Techologien entwickelt werden, erscheint mir wie von der Hand in den Mund zu Leben. Aktuell zählt doch immer der Gewinn, nie die Nachhaltigkeit. Eine Firma überlebt, wenn sie heute Gewinn macht und nicht die Welt von morgen rettet. Soviel Freiheit gibt es in einer profitorientierten Welt nicht.
    Ich glaube auch nicht, dass es uns in den vergangenen (z.B.) zehn Jahren immer besser geht. Es gibt mehr technische Möglichkeiten, schnellere Computer usw. abere ist das schon BESSER? Und bald wird sich so selbstverständlich kaum einer ein Auto kaufen können. Wenn man bedenkt, dass die Produktivität pro Jahr um mindestens 5-20% steigt, in der Masse aber wegen Inflation, fehlenden Einkommensteigerungen nichts ankommt (außer die genannten technischen Details) wäre für Nachhaltigkeit viel Spielraum. Fehlanzeige. Profit ist Gesetz in freier Marktwirtschaft.
    Es ist ja nicht profitabel, etwas zu vermarkten, was begrenzte Rohstoffe statt 50 150 Jahre reichen lässt. Also regiert die Kurzsichtigkeit.

    Hier sollte keiner in eine Ecke gedrängt werden, weder Richtung Steinzeit noch “freie” Marktwirtschaft. Aber es ist nunmal so, dass in der “freien” Marktwirtschaft der Gewinn zählt, nicht die Ökobilanz oder unsere Lebensbedingungen in 50 Jahren.