Eine deutsche Forschergruppe will erfahren haben, dass Dick sein nicht schick ist! Das berichten Marburger Forscher um Anja Hilbert in einer vom BMBF geförderten Studie. Glückwunsch. Aber noch besser sind die Deutungen der Gruppe.

Zunächst jedoch zu den Rahmendaten. Die Studie fußt auf einer repräsentativen Umfrage, die nicht von den Marburgern, sondern von kooperierenden Leipziger Forschern durchgeführt wurde. 1000 Leute haben sie befragt. Das Ergebnis: “Fast ein Viertel der Befragten haben eindeutig stigmatisierende Einstellungen geäußert“ (sagt Forscher Winfried Rief)…

“Aber in der Öffentlichkeit ist bislang zu wenig bekannt, wie komplex das Übergewichtsproblem eigentlich ist. Wer die Ursachen einer Adipositas vor allem im individuellen Verhalten sucht, neigt auch eher zu Vorurteilen“, sagt Studienautor Dipl.-Theol. Jens Ried.
Und was sollen das für Vorurteile sein? Naja, 85 Prozent der Befragten glauben, dass dicke Menschen selbst für ihr starkes Übergewicht verantwortlich sind, weil sie sich zu wenig bewegen und zu viel essen.
Das scheint wohl grundverkehrt zu sein. Damit nicht noch mehr Leute glauben, dass Ernährung und Übergewicht zusammenhängen, hat die Forschergruppe ein computergestütztes Lernmodell entwickelt, das über ganz, ganz viele zusätzliche Möglichkeiten informiert, die erklären sollen, wie Übergewicht entsteht (genetische Faktoren, Lebensumfeld, etc.). Damit sollen dann Vorurteile abgebaut werden.

Schuld hat bekanntlich immer die Gesellschaft (im Zweifelsfall das schlechte Fernsehprogramm …).

Dass jedoch starkes Übergewicht ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen kann, sowie ein erhöhtes Risiko für Diabetes-2, Herz-Kreislauferkrankungen und eine verkürzte Lebenserwartung mit sich führt, lässt man angesichts größerer Ideen lieber ganz unter den Tisch fallen (sind wir nicht alle lieber Opfer?).

Keine Opfer sind die Forscher selber, hier ein Zitat aus der Pressemeldung:

Die bisherige Arbeit und die geplanten Projekte der Nachwuchsforschergruppe haben auch den Geldgeber überzeugt. Das BMBF hat die bisherige Tätigkeit der Nachwuchsforschergruppe vor kurzem begutachtet und wird das erfolgreiche Projekt für weitere zwei Jahre fördern. Die Philipps-Universität finanziert anschließend für drei weitere Jahre die aussichtsreiche Arbeit der jungen Wissenschaftler.

Das ist doch eine gute Nachricht! Und welche Auswirkungen können wir uns von der künftigen Arbeit der Forschern erhoffen?
„dass stigmatisierende Einstellungen sich verringern, wenn mehr Wissen über die Adipositas und die verbreiteten Vorurteile vorhanden ist“, sagt Anja Hilbert.

Toll. Vielleicht brauchen die ja noch einen Pressesprecher von extern …

Dass es auch ganz anders geht, zeigen mal wieder die Amis. Statt altes Wissen und vergammelte Methoden zu verwenden, um altbekannte Ergebnisse zu finden, die sie noch nicht mal veröffentlicht bekommen haben (OK, die deutsche Arbeit soll in Obesity erscheinen),

haben die Amis mal Selbstwertgefühl und Übergewicht überprüft und zwei Jahre später festgestellt, dass geringes Selbstwertgefühl bei 70 Prozent der Befragten zu überdurchschnittlicher Gewichtszunahme geführt hat.(gibt’s hier auf deutsch).

Eine konkrete Fragestellung und eine Antwort, an der die Gesellschaft zwar auch beteiligt ist, aber dafür lassen sich aus den amerikanischen Ergebnissen konkrete Handlungsmöglichkeiten ableiten, wie zum Beispiel Kurse um das Selbstwertgefühl zu stärken.

Damit gibt es zumindest mal einen Ansatz, wie man Übergewicht konkret bekämpfen kann.

Beim deutschen Ansatz sollen hingegen nur gesellschaftliche Vorurteile abgebaut werden. Es bleibt jedoch bei den gesteigerten persönlichen Gesundheitsrisiken (für die Dicken) und auch bei den hohen gesellschaftlichen Kosten, die die Behandlung der Krankheiten der Übergewichtigen erfordern. Selbst wenn die Vorurteile abgebaut sind, bleiben diese Probleme bestehen, oder?

Kommentare (1)

  1. #1 einszweidrei
    Mai 3, 2008

    Die Sache ist aber die … Vorurteile in der Bevölkerung -> Dicke werden auf Schritt und Tritt angepöbelt und permanent zum Abnehmen angehalten (auch wenn sie gar nicht richtig dick sind, sondern nur ein bisschen) -> Dicke machen eine Diät nach andern -> und werden dank Jojo immer dicker …

    Klar sind da Selbstbewusstseinstrainings angebracht, damit man lernt, sich über das Gewäsch der Mitmenschen hinwegzusetzen, aber wenn es das Gewäsch erst gar nicht gäbe, wäre das schon auch ein sinnvoller Ansatz, zumal die Ursachen für den Anstieg der Zahl der Übergewichtigen nicht so eindeutig sind, wie das leider auch in diesem Blog hier dargestellt wird.

    Dass die Dicken die Gesellschaft so enorm viel kosten, ist übrigens inzwischen hinlänglich widerlegt:
    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/368/156952/
    … und dabei wurde der Faktor des volkswirtschaflichen Vermögens, dass durch den Konsum von Diät- und Abnehmprodukten jeder Art, erwirtschaftet wird, noch nicht berücksichtigt.