Heute können die Stammzellforscher wieder einmal feiern. Der Stanforder Forscher Gary Steinberg hat Rattenhirne repariert … mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Die Tiere hatten einen Schlaganfall und können jetzt wieder laufen.


Ist das nicht eine tolle Nachricht? Stimmt das nicht hoffnungsvoll? Die Wissenschaftler sagen sogar, dass sie zuversichtlich sind, in fünf Jahren erste Experimente dieser Art an Menschen durchzuführen. Dann gäbe es eine Revolution in der Therapie.

Also hoch die Tassen! Doch halt, warum eigentlich fünf Jahre warten, wenn die Therapie so gut funktioniert? Gibt es etwa Fallstricke? Ja natürlich!

Wer sich derzeit embryonale Stammzellen ins Gehirn spritzen lässt, kann sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gleich zur Strahlentherapie anmelden, damit der frisch injizierte Tumor unter der Schädeldecke nicht zu schnell wächst.
Induzierter Krebs bleibt das Hauptproblem bei der Arbeit mit embryonalen Stammzellen. Ob die Forscher das jemals in den Griff kriegen, ist nach 19 Jahren mehr als fraglich.
Vielleicht sollte man die Hoffnung darauf genauso aufgeben, wie die Hoffnung auf ein Medikament das AIDS besiegen kann (daran glaubt schließlich auch kein ernsthafter Forscher mehr).

Auch die Stammzellforschung (die in vielen Ländern deutlich kostenintensiver betrieben wird, als in Deutschland) ähnelt immer noch eher einem Glücksspiel als reproduzierbarer Forschung.
Wenn es gut geht, berichten die Wissenschaftler freudig über Zellen, die wie von Geisterhand zur verletzten Region wandern, sich selbstlos auf die Wunde legen und gesundes Gewebe bilden. Wenn es schlecht läuft, redet man nicht darüber.

Das geht jetzt seit 19 Jahren so. Irgendwann kommt es einem zu den Ohren raus.

Denn wenn alles so toll läuft, wo sind dann die Therapien?

Aber wer nach solchen Anwendungen verlangt, ist ein Spielverderber, will Forschung einschränken und übersieht die gewaltigen Potenziale.

Vielleicht muss man ja tatsächlich nur weitere fünf Jahre abwarten, aber zuletzt wurden dann stets neue Zahlen ausgegeben, wie lang man von da an noch auf die erste Therapie (an Menschen) warten muss.

Bis dahin kann man sich ja mal fragen, was an dem aktuellen Versuch überhaupt so aufregend gewesen ist.
Die Forscher hatten 10 Ratten so präpariert, dass sie Schlaganfälle bekamen. Dann injizierten sie ihnen Vorläuferzellen von Nervenzellen ins Gehirn. Diese stammten von humanen embryonalen Stammzellen.

Das war der Versuch und anschließend konnten die Stammzell-Tiere ihre Vorderbeine besser bewegen als die Tieren, die keine Stammzellen injiziert bekommen hatten. Ein paar der eingebrachten Zellen haben bei der Reparatur tatsächlich mitgeholfen, aber wie hoch ist deren Anteil an der Reparaturleistung?
Soll heißen, hätten nicht vielleicht die natürlichen Reparaturvorgänge des Körpers ausgereicht, um einen spontan induzierten Schlaganfall in einer ansonsten gesunden Ratte wieder ungeschehen zu machen? Im Paper heißt es nur, dass die mit Stammzellen behandelten Ratten sich etwas normaler bewegen konnten, als die Unbehandelten und zur Tumorbildung soll es diesmal auch nicht gekommen sein.

Aber ist dieses bisschen besser die Gefahr der Nebenwirkungen wert?

Kommentare (4)

  1. #1 Tobias
    Februar 21, 2008

    Warum so skeptisch? Klar sind deine Fragen berechtigt, und die Probleme, die du beschreibst bekannt. Aber sollen wir deshalb aufhören zu forschen? Natürlich vergehen noch einige Jahre, bis tatsächliche Anwendungen marktreif sind, aber wenn du in deinem Beitrag suggerierst, dass in 19 Jahren eigentlich kein Fortschritt gemacht wurde, ist das schlichtweg falsch. Forscher sind halt auch keine Zauberer, und in die Zukunft schauen koennen sie auch nicht. Bevor an Therapien gedacht werden kann, müssen die Mechanismen verstanden werden. Damit beschäftigt ich die Grundlagenforschung, und die kostet Zeit und Geld.
    Kannst du belegen, dass die Stammzellforschung einem Glücksspiel gleicht? Auf diesem Forschungsgebiet ist es wie in jedem anderen: Um Gelder zu aquirieren, müssen Anträge geschrieben werden, die auf begündeten Hypothesen aufbauen, Ziele formulieren, und klar aufzeigen, wie die diese erreicht werden sollen.
    In ein ähnliche Horn wie du stösst Björn Schwentker im “Zeit” weisslog: “Grundlagenforschung: ein teurer Spass” (https://blog.zeit.de/weisslog/)

  2. #2 Peter Artmann
    Februar 21, 2008

    Nur weil Gutachter über Forschungsanträge entscheiden heißt das noch lange nicht, dass dabei sinnvolle Forschung herauskommt.
    Das kennt man doch auch von der Wissenschaft. Nicht alles was peer-reviewed ist, ist gute Wissenschaft.
    Aber vielleicht reagiere ich auch zu emotional in Bezug auf embryonale Stammzellen. Allerdings finde ich schon, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem gesellschaftspolitischen Brimborium, dass diese Art der Forschung hervorruft und den wissenschaftlich extrem dünnen Ergebnissen – da möchte ich am liebsten entweder mal bessere Ergebnisse hören oder eben gar nichts.
    Allerdings möchte ich betonen, dass sich meine Ablehnung nicht gegen adulte Stammzellen richtet.

  3. #3 Tobias
    Februar 23, 2008

    Zwei Papers in der letzten Ausgabe von Nature Biotechnology: Das erste beschreibt, wie bei Mäusen Diabetes mit humanen embryonalen Stammzellen geheilt werden kann, ein zweites, wie wieder humane embryonale Stammzellen in verschiedene Sehzelltypen ausdifferenziert werden können, mit dem Potential Krankheiten der Retina zu heilen. Hier bei mir im Blog: https://sosciency.wordpress.com/2008/02/21/von-mausen-und-menschen/
    Das ist gute Wissenschaft, die leider dank der momentanen Gesetzgebung in Deutschland nicht möglich wäre.
    Was sind denn deine Gründe gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen? Ist es wirklich die Frustration, dass nicht “bessere Ergebnisse” erzielt werden, sind es die bekannten Resentiments, die durch ausreichende Information auszuräumen wären, oder hat das religiöse Hintergründe?
    Viel mehr zu diesem Thema auf https://sosciency.wordpress.com/

  4. #4 Peter Artmann
    Februar 25, 2008

    Lieber Tobias,
    das Paper über die embryonalen Stammzellen, die sich in B-Zellen umformen und Diabetes-Typ 1 bekämpfen ist doch wieder ein typisches Beispiel von: Guck mal, mit unserer Therapie machen wir die Patienten erst richtig krank.
    Das Ärzteblatt hat das sehr gut aufbereitet:
    https://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=31441
    Daraus kurz zusammengefasst:
    Bei sieben der 105 Tieren kam es zur Bildung von Tumoren. Das stellt den gesamten Therapieansatz in Frage. Denn ein Krebsrisiko ist keine Alternative zu einer täglichen Behandlung mit Insulin.
    Der Antrag auf Durchführung einer klinischen Studie dürfte von der US-Gesundheitsbehörde solange abgelehnt werden, bis die Firma ein sicheres Therapieverfahren ohne Krebsrisiko entwickelt hat.

    Etwas anderes kann man ethisch nicht verantworten!