In unserem Land der Dichter und Denker hat man Gerhard Roth (Delmenhorst) und Wolf Singer (Frankfurt) die Meinungsführerschaft für die Erklärung von Denkprozessen zugewiesen.
Das ist keine gute Wahl, da beide bekennende Reduktionisten sind, die vom synaptischen Spalt ausgehend, unsere Fähigkeit Entscheidungen zu treffen beurteilen und selbstzufrieden feststellen, dass gar keine Freiheit existiert.
Glücklicherweise ist das jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Auf der anderen Seite des großen Teichs formulierte bereits vor einigen Jahren der Nobelpreisträger Roger Sperry:
“In dem Modell des Gehirns, das ich hier vorstelle, ist die kausale Potenz einer Idee oder eines Ideals genauso real, wie die eines Moleküls, einer Zelle oder eines neuronalen Impulses. Ideen verursachen Ideen und tragen dazu bei, dass neue Ideen entwickelt werden. Sie interagieren miteinander und mit anderen geistigen Kräften im selben Gehirn, in benachbarten Gehirnen und dank der globalen Kommunikation in weit entfernten Gehirnen in anderen Ländern.” (Roger Sperry: Mind, Brain and Humanist Values).
Und diese mutige These formulierte Sperry nicht etwa gestern (denn der Mann starb bereits 1984) sondern 1965 – und trotz seiner kühnen (für altmodische Reduktionisten sogar unwissenschaftlichen) Idee erhielt er 1981 den Nobelpreis für Physiologie.
Ausgehend von dieser These formulierte jetzt der Amerikaner Douglas Hofstadter eine hochinteressante Theorie des Bewusstseins und Denkens, bei der er das Problem des „Ich” einfach und elegant auflöst (zu finden in seinem aktuellen Buch „Ich bin eine seltsame Schleife”(Klett-Cotta)).
Als Seitenhieb auf die aktuell dominierende Forschergeneration schreibt er:
“Man könnte jetzt vermuten, dass Neurowissenschaftler im Gegensatz zu Laien mit der Tief-Ebenen-Hardware unseres Gehirns so vertraut sind, dass sie zu einem echten Verständnis durchgedrungen sind über die Art, wie solche Mysterien wie Bewusstsein und freier Wille bedacht werden müssen. Allerdings ist häufig genau das Gegenteil der Fall: Ihre fachliche Nähe zu den Gehirnaspekten der unteren Ebene führt bei ihnen zu einer generellen Skepsis gegenüber der Perspektive, dass Bewusstsein und freier Wille überhaupt jemals in physikalischen Begriffen gefasst werden können. Zwischen Geist und Materie sehen sie einen unüberwindlichen Abgrund, und davon fühlen sie sich so vor den Kopf gestoßen, dass sie all ihre Anstrengungen einstellen, herauszubekommen, wie Bewusstsein und Selbst aus physikalischen Prozessen hervorgehen können; stattdessen werfen sie das Handtuch und werden Dualisten. Es ist schlimm, die Resignation dieser Wissenschaftler zu sehen, und es passiert leider nur allzu oft. Die Moral von der Geschichte: Ein neurowissenschaftlicher Profi zu sein bedeutet noch lange nicht, dass man ein wirklich tiefes Verständnis des Gehirns hat – ebenso wenig wie ein Physikprofi unbedingt ein tiefes Verständnis von Hurrikanen haben muss. Im Gegenteil: Manchmal stecken sie so tief im Sumpf des Detailwissens, dass sie keine klaren Gedanken mehr fassen können, die für ein echtes Verständnis nötig wären.” (S. 269 ff. – zitiert mit freundlicher Genehmigung des Verlags).
Wie bereits gesagt, anstatt neue Konzepte zu diskutieren und vielleicht auch mal gewagte Konzepte zu diskutieren, ziehen sich unsere berühmten Neuroprofis auf wissenschaftliche Angstpositionen zurück, die sämtliche neuen und spannenden Konzepte von vornherein kategorisch ausschließen.
Natürlich stellt sich die Frage nach dem Warum. Tatsächlich können sie sich mit einer derartig streng positivistischen Haltung vor den spöttischen Kommentaren von Kollegen schützen – aber kann man nicht von einem Max-Planck-Direktor ein bisschen mehr Mut erwarten?
Die Vorträge dieser Leute sind jedenfalls sehr langweilig, wer einen eigenen Kopf hat, wendet sich nach kurzer Zeit ab (so wie sich Angela Merkel nach ihrem 50sten nie wieder gemeldet hat).
Unselbstständigere Denker tendieren dazu die hohe Intelligenz der Denker anzuerkennen und entscheiden sich für eine unkritische Anhimmelung, bei der sie peinlichst darauf achten, Angreifern der Theorie stets einzubläuen, dass sie die Terminologie der Tiefflieger einhalten müssen – und wer das nicht könnte, müsste sowieso nicht ernst genommen werden.
Das klingt fast so armselig wie die Argumente der Freudianer, für die alle Gegner ohnehin nur den erwarteten „Widerstand” gezeigt hatten. Ein paar Jahre zuvor waren es die Marxisten, die sich argumentativ nicht bekämpfen ließen.
Noch etwas früher waren es die Hegelianer und trotzdem sind sämtliche Theorien widerlegt worden.
Jetzt soll man sich mit Epiphänomenalismus und Supervenienz beschäftigen … aber nur, damit wir akzeptieren, dass
- Alle menschlichen Entscheidungen aufgrund der funktionellen Architektur im Gehirn getroffen werden.
- Die funktionelle Architektur aufgrund von Genen und Umwelteinflüssen entstanden ist.
- Sämtliche Willens- und Entscheidungsfreiheit auf einer Täuschung basiert.
- Menschlicher Geist, sowie geistige Strukturen, im Gehirn nicht vorhanden sind.
Dass solche Positionen ernsthafte Hirnforschung darstellen sollen, ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Denn in letzter Konsequenz behauptet die „Gibt-es-nicht-Schule”, dass Menschen nicht über Gut und Böse entscheiden können – also keine Moral haben (Nietzsche lässt grüßen).
Wie unsinnig das ist, bringt ein Vergleich mit Sprache zutage, denn im Prinzip müsste man diesen Kriterien entsprechend auch die Existenz von Sprache leugnen, da sich von naturwissenschaftlicher Seite nur akustische Signale messen lassen und das Kriterium ob es sich dabei um ein Wort handelt in der gewünschten exakten Form nicht möglich ist (bitte erklären sie die stoffliche Basis eines Wortes, bevor sie solch tollkühne Behauptungen anstellen, Herr Blogautor).
Und dennoch erhalten diese Nicht-Erklärer trotz der offensichtlichen Wertlosigkeit ihrer Argumente noch immer so viel Gehör, haben eigene (staatlich finanzierte) Institute und züchten dort zukünftige Generationen von Nicht-Erklärern heran, die die große Schule ihrer Vorbilder weiterverbreiten werden.
Zwar könnte man entschuldigend hinzufügen, dass es heutzutage immer noch tiefenpsychologisch arbeitende Therapeuten gibt – aber tatsächlich lädt diese Schattengewächse schon seit Jahren keiner mehr in eine Talkshow ein.
Wir hoffen jedenfalls, dass die „Gibt-es-nicht-Forscher” (klingt, wie im Ostkaufhaus) bald aus der Gehirnforschung verschwinden und durch neue, interessierte und offene Ideenträger ersetzt werden.
Vielleicht wird Gehirnforschung dann ja auch wieder spannend, schließlich kann die deutsche Forschung auf eine lange Tradition zurückblicken, an der Riesen wie Wilhelm Griesinger und Ernst Kraepelin beteiligt waren.
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