Gestern berichteten wir über ResearchGATE, das in Deutschland gegründete soziale Netzwerk für Forscher. Heute folgt das Interview mit dem Gründer Ijad Madisch
Wie kam es zur Gründung von ResearchGATE?
Madisch: Im Jahr 2005 war ich während eines Forschungsaufenthalts in den USA. Ich war dort im Labor eines Radiologen an der Harvard University tätig. Damals beobachtete ich das Aufkommen von Facebook und war von diesem neuartigen Dienst sehr angetan.
Madisch: In beruflicher Hinsicht fand ich dieses Netzwerk jedoch wenig
hilfreich. Persönlich war ich stets in den Disziplinen Medizin und
Informatik eingespannt und musste dabei feststellen, dass der
Informationsfluss zwischen beiden Fachrichtungen sehr langwierig war.
Im Jahr 2007 gründete ich dann mit zwei Freunden ResearchGATE. In
erster Linie um Informationen in der Wissenschaft schneller verfügbar
zu machen.
Was gibt es bei ResearchGATE, was Facebook nicht bietet?
Madisch: Wir haben eine ganze Reihe von Applikationen entwickelt, die vor allem für Forscher einen Mehrwert darstellen. Dazu gehört die semantische Volltextsuche in den Datenbanken: Pubmed, Citeseer, IEEE, NASA, arxivund Repec.
Zusätzlich sind wir im Gegensatz zu Facebook auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet: Wissenschaftler. Diese organisieren sich derzeit auf der Plattform in 780 Gruppen und sind sehr aktiv. Aktuell haben wir 22.000 Mitglieder aus 117 Ländern. Darunter mehr als 120 Professoren aus 18 Ländern.
Worüber tauschen sich die Mitglieder von ResearchGATE aus?
Madisch: Meistens geht es um Methoden und ob man die im Labor zum Laufen bekommen kann. Zusätzlich geht es jedoch auch um Ideen, also die eigentlichen Juwelen im Forschungsbereich. Dafür haben wir auch ein Tool entwickelt, mit dem man Abstracts bewerten kann.
Wenn ich mir beispielsweise eine Freundesliste zusammengestellt habe und einer von diesen auf ein besonders gutes Paper aufmerksam macht, dann kann ich schnell entscheiden, ob ich das auch lesen möchte. Ebenso hilfreich kann ein Hinweis von jemandem sein, der zu einer bestimmten Nature-Veröffentlichung schreibt, dass bereits vier Postdocs aus seinem Labor erfolglos versucht haben, die Methode nachzukochen.
Derzeit findet sich keine Bannerwerbung auf Ihrem Portal und die Benutzung ist kostenlos. Soll sich das in Zukunft ändern?
Madisch: Nein, die Nutzung soll für Member kostenlos bleiben und im Gegensatz zu anderen Netzwerken wollen wir keine Bannerwerbung etablieren, da wir davon einen abschreckenden Effekt befürchten.
Aber wie finanziert sich ReseachGATE dann?
Madisch: Derzeit hauptsächlich durch “Family and Friends”. Das geht jedoch nur, weil wir die Kosten sehr niedrig halten, indem wir kaum Gehälter zahlen. Aktuell arbeiten außer den drei Gründern etwa 30 Freunde an ReseachGATE. Diese haben allesamt zusätzlich einen anderen Broterwerb. Auch ich selber habe einen Arbeitsvertrag mit einem Radiologenlabor in Harvard und bin deshalb in finanzieller Hinsicht nicht auf ResearchGATE angewiesen.
Der Vorteil unserer “freien” Finanzierung ist, dass wir keinen fixen Zeitpunkt haben, an dem wir anfangen müssen Gewinn zu erwirtschaften. Allerdings haben wir konkrete Pläne, wie wir Geld verdienen wollen.
Und das wäre?
Madisch: Wie gesagt, wird die Seite samt aller Applikationen für die Nutzer immer kostenlos bleiben. Aber wenn wir Kommunikations-Lösungen für größere Einrichtungen bereitstellen, wollen wir dafür auch etwas verlangen. Konkret planen wir auch eine Stellenbörse. Auch hier wäre das Einstellen von Angeboten mit Kosten verbunden.
Für die Zukunft können wir uns auch indirekte Werbung vorstellen. Grundsätzlich müssen Forscher ja über neue Produkte informiert sein. Wenn wir das einmal machen sollten, dann aber nur auf ausdrücklichen Wunsch der Nutzer. Sie müssen dann auch selbst auswählen können, was für Informationen sie erhalten wollen. Wir werden ganz sicher niemals unerwünschte Werbung verschicken oder Nutzerdaten dafür missbrauchen.
Könnten Sie sich auch einen Einstieg von einem Pharmaunternehmen vorstellen
Madisch: Nein, dann wäre ResearchGATE wahrscheinlich ziemlich schnell kaputt. Vielleicht könnten wir uns irgendwann gegenüber einer öffentlichen Forschungseinrichtung beispielsweise von der Europäischen Union öffnen, jedoch ist das auch noch Zukunftsmusik und derzeit nicht spruchreif.
Derzeit ist in Deutschland vor allem das Netzwerk StudiVZ erfolgreich. Ist das eine Konkurrenz für Sie?
Madisch: Nein, denn wie bereits beschrieben, verfolgen wir einen komplett anderen Ansatz. Wir wollen die Leute nicht in ihrer Freizeit vernetzen, sondern für professionelle Zwecke.
Dass so etwas gelingen kann, sieht man recht deutlich beim Vergleich der höchsten Aktivität. Während bei den sozialen Netzwerken die meisten Beiträge in den Pausenzeiten geschrieben werden, ist unsere Community während der klassischen Bürozeiten am Aktivsten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Ijad Madisch ist 28 Jahre alt, promovierter Mediziner und Informatiker und derzeit an einem radiologischen Labor der Harvard Medical School in Boston beschäftigt.
Für seine interdisziplinäre Tätigkeit erhielt er im Jahr 2006 den Young Investigator-Preis der Radiological Society of North America (RSNA).
Im Jahr 2008 erhielt er für seine Arbeit über Adenoviren an der MH-Hannover den Promotionspreis der Gesellschaft der Freunde der MHH.
Das Foto entstand vor Samiis Hirnklinik in Hannover (dem INI).
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