Naturwissenschaft darf man grässlich finden – das ist sozial akzeptiert. Man kann heute als angesehener Mensch souverän lächelnd mit dem Cocktailglas in der Hand verkünden, dass man sich für Wissenschaft schon in der Schule nicht interessiert hat, Physik langweilig findet, und in Mathematik immer ganz schlecht war. Die Zuhörer werden einem auf die Schulter klopfen, höflich lachen, und erklären, ihnen gehe es genauso. Man muss keine Angst haben, wegen radikaler Naturwissenschafts-Verweigerung als ungebildet, dumm oder inkompetent zu gelten. Eigentlich ist das schade.
Niemand würde es wagen, sich in bildungsbürgerlicher Gesellschaft als Musik-Muffel, Fremdsprachen-Feind oder Geographie-Gegner darzustellen. Aber bei Naturwissenschaft ist das kein Problem – die zählt irgendwie nicht so richtig zur Allgemeinbildung. Dabei spielt Naturwissenschaft und Technik heute für das tägliche Leben eine größere Rolle als jemals zuvor. Wir wachen in geheizten Schlafzimmern auf, duschen uns mit Wasser, das dafür dutzende Meter bis in den zehnten Stock hinaufgepumpt wird, sehen uns dann im Internet die aktuellen Nachrichten an und telefonieren in der U-Bahn am Weg ins Büro mit Freunden, die irgendwo auf der anderen Seite der Erde wohnen. Gleichzeitig sind wir gesünder und haben eine höhere Lebenserwartung als je eine Generation vor uns. All das haben wir den Naturwissenschaften zu verdanken. Sie ermöglicht heute Durchschnittsbürgern eine Lebensqualität, die noch vor wenigen Jahrhunderten nicht einmal an den führenden Königshäusern erreicht wurde.
Und damit nicht genug: Naturwissenschaft ist nicht nur wichtig, um zu verstehen, wie die Welt rund um uns funktioniert, sie ist auch noch spannend, sie ist schön, sie ist wertvolles Kulturgut. Eine Beobachtung, die uns ein neues Naturphänomen erkennen lässt, kann das selbe Bauchkribbeln hervorrufen wie gute Musik. Eine Theorie, die in schönen, einfachen Formeln große Wahrheiten festhält, kann ähnlich begeisternd sein wie Poesie. Ein Experiment, bei dem in sorgfältig verschraubten Vakuumkammern physikalische Effekte so schlau gegeneinander ausgespielt werden, dass sie ihre Natur dem Beobachter plötzlich sauber preisgeben, kann auf eine ähnliche Weise schön sein wie die Skulptur eines Bildhauers.
Und trotzdem hat Wissenschaft nicht den gesellschaftlichen Stellenwert, den sie verdient. Trotzdem gehören Physik und Mathematik zu den meistgehassten Schulfächern. Trotzdem begeistern sich viele Leute viel mehr für esoterische Phantastereien als für echte Wissenschaft. Die Schuld daran liegt nicht in der Wissenschaft selbst – aber wohl oft in der Art, wie Wissenschaft präsentiert, aufbereitet und vermittelt wird.
Ich bin sicher: Wissenschaft ist für jeden spannend – manche haben es nur noch nicht bemerkt. Wissenschaft muss stärker ins öffentliche Bewusstsein eindringen, sie darf kein exotisches Hobby für Elfenbeinturmbewohner sein. Nur wenn Wissenschaft zur ganz selbstverständlichen Kulturtechnik wird, werden wir uns gesellschaftlich weiterentwickeln. Demokratien können immer nur so stark sein wie das Bildungsniveau der Bevölkerung. Wenn die Mehrheit entscheiden soll, wichtige Informationen aber nur einer Minderheit zur Verfügung stehen, dann darf man sich nicht wundern, wenn irgendwann irrationale Verirrungen die Politik prägen.
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