Wenn das Wort „Atomkraft” fällt, macht der Verstand oft schnell mal Pause.
Wenn ich auf der Autobahn Angst bekomme, weil die anderen so fies drängeln, sollte ich dann ganz fest die Augen schließen, damit mir nichts passieren kann? Einer sehr ähnlichen Logik folgen Politiker, die Angst vor Kernenergie haben und daher die Kern-Forschung zurückdrängen wollen.
Raus aus Euratom?
Im vergangenen Jahr gab es in Österreich ein Volksbegehren für einen Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag. Dieses Volksbegehren erhielt zwar keinen großen Zuspruch, doch das Thema verfolgt uns weiter. Die Chefin der Österreichischen Grünen, Eva Glawischnig, kritisiert nun wieder in scharfen Tönen die Zahlungen, die in die Euratom-Forschung fließen. „Letztlich sind die Atomforschungsmittel eine Förderung und Stärkung der europäischen Atomindustrie, die neue Atomreaktoren entwickeln will”, erklärte Glawischnig am 14.02. in einer Aussendung.
Ich bin ein großer Anhänger von Umweltschutzmaßnahmen, und ich stimme zu, dass man im Umgang mit potenziell gefährlichen Technologien im Zweifelsfall möglichst vorsichtig sein sollte. Aber wer Euratom als den großen, bedrohlichen Feind betrachtet, als personifizierte Atomlobby, die unsere Gesundheit auf dem Altar des Kapitalismus opfert, der hat ein paar Fakten ganz grundsätzlich falsch verstanden.
ITER und die Kernfusion
Das gesamte Euratom-Forschungsprogramm war in den Jahren 2007 bis 2011 mit insgesamt 2751 Millionen Euro dotiert. Der größte Anteil davon – 1947 Millionen Euro – floss in die Kernfusionsforschung. Dieser Forschungsbereich ist heute die Hauptaufgabe von Euratom, speziell die Errichtung des Versuchsreaktors ITER in Frankreich kostet eine Menge Geld. Kernfusion ist eine der wenigen Zukunftsvisionen, die unser Energieproblem wirklich rasch und nachhaltig lösen könnten. Zugegeben: Es ist ein risikoreiches Forschungsgebiet. Niemand weiß, ob sich die erhofften Erfolge tatsächlich einstellen werden. Doch wer soll solch riskante Projekte anpacken, wenn nicht die EU? Eine Investition in der Größenordnung von einem Euro pro Jahr und EU-Einwohner, mit der Aussicht, damit eventuell eines unserer drängendsten Zukunftsprobleme lösen zu können, klingt für mich nach gut investiertem Geld. Man kann einwenden, dass sich die Fusionsforschung nicht so entwickelt hat, wie man das vor einigen Jahrzehnten gehofft hätte. Doch das ist nicht die Schuld der Fusionsforscher, sondern ein Versäumnis der Politik. ITER hätte schon in den Neunzigerjahren gebaut werden können – aus finanziellen Gründen wurde das Projekt verschleppt. Zwanzig Jahre Fusions-Entwicklung haben wir dadurch bereits verspielt. Können wir uns wirklich noch mehr Aufschub leisten?
Sicherheit und Abfallentsorgung
Der Rest des Euratom-Forschungsgeldes wird in Kernspaltungs-Technologie investiert. Hier geht es aber nicht um die Errichtung von Kernkraftwerken, sondern um die Behandlung von radioaktivem Abfall und um Sicherheitsforschung. Dieser Bereich ist inhaltlich sehr breit gefächert, er reicht von Radioaktivitätsmessungen in der Umwelt bis hin zu theoretischer Kernphysik und neuen Methoden, radioaktiven Abfall in relativ kurzer Zeit unschädlich zu machen. Gerade als umweltbewusster Mensch wird man dagegen wohl nichts sagen können.
Ein Argument, das man in Zusammenhang mit Euratom oft hört ist die indirekte Förderung von Kernkraftwerken durch Kredite. Tatsächlich war das lange Zeit ein Teil der Euratom-Agenda. Allerdings wurden diese Kredite nur bis 1987 vergeben. Danach gab es jahrelang überhaupt keine Kredite, bis schließlich die Vergaberichtlinien geändert wurden: Nun können Kredite auch für die Verbesserung von Atomkraftwerken in Sicherheit und Effizienz vergeben werden – und auch das ist ja wohl eine gute Idee. Ob und wie in Zukunft Kredite in Nuklearanlagen fließen sollen, ist aber ohnehin eine politische Entscheidung, die nicht von Euratom selbst getroffen wird.
Die böse, böse Atomlobby
Was mich an der Diskussion ganz besonders stört, ist die Sichtweise, es gäbe so etwas wie eine “Atomlobby”, die aus purem Menschenhass unsere Gesundheit aufs Spiel zu setzen versucht. Damit wird jeder, der sich beruflich mit solchen Themen beschäftigt, als beinahe dämonischer, kapitalistisch korrumpierter Umweltfeind hingestellt. Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Ich kenne eine ganze Reihe von Atom-, Nuklear- und Fusionsforschern. Das sind junge Leute und alte Leute, Männer und Frauen, Menschen mit Familie und Kindern. Das sind Leute, die sich für sich und ihre Kinder eine saubere Umwelt wünschen und auch daran arbeiten. Unter ihnen gibt es Kernkraftgegner und Kernkraftbefürworter, genau wie im Rest der Bevölkerung. Euratom ist dafür da, sich um Sicherheit und Zusammenarbeit zu kümmern. Um dort mitarbeiten zu dürfen muss man keinen Teufelspakt unterschreiben, man muss eine gute Fachausbildung haben.
Wir brauchen Forschung in Sicherheitsfragen, und wir brauchen Forschung an neuen Energie-Konzepten. Genau dafür ist Euratom da. Das Euratom-Geld fließt nicht in dunkle Kanäle, sondern oft in die Taschen von hoffnungsvollen jungen Dissertanten, die Forschung betreiben, deren Nutzen sich oft heute noch gar nicht absehen lässt. Hier werden wissenschaftliche Fragen wissenschaftlich beantwortet – und das ist auch gut so. Der Rest ist Politik. In politischen Fragen kann man unterschiedlicher Meinung sein – aber deshalb eine Organisation wie Euratom abzulehnen ist kontraproduktiv. Es ist ungefähr so falsch wie der Wunsch nach einem Auto ohne Lenkrad, nur weil es einem nicht passt, in welche Richtung der Chauffeur gerade fährt.
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