Die Quantenphysik führt eine neue Form des Zufalls in die Welt ein. Das macht aber nichts.
Wir reden alle immer wieder von „Zufall”, und jeder hat sofort ein Bild davon, was damit gemeint ist. Doch eigentlich ist der Zufall eine verzwickte Sache: Im Grunde ist er meistens nur ein Mangel an Information. Dass die Ampel gerade auf rot springt, wenn ich mit dem Fahrrad die Kreuzung überqueren möchte, erscheint für mich als unangenehmer Zufall. Würde ich aber die exakte Ampelprogrammierung kennen und hätte ich meinen Abfahrtszeitpunkt mit einer Uhr gemessen, die auf die Ampel-Software abgestimmt ist, dann hätte ich genau vorhersehen können, ob die Ampel umschalten wird.
Wenn sich jedes Ereignis im Universum auf eine eindeutige Ursache zurückführen lässt, dann gibt es keinen echten Zufall – nur eine unzureichende Datenlage. Einen Münzwurf könnte man theoretisch vorausberechnen, wenn man die exakte Beschaffenheit der Münze, die Bewegung meiner Hand und jeden feinsten Luftzug kennen würde. Dieses Weltbild war im neunzehnten Jahrhundert populär – man betrachtete die Welt als riesengroßes, äußerst kompliziertes Uhrwerk.
Die Quantenmechanik macht die Sache allerdings etwas komplizierter und verwirrender. Wie sich quantenmechanische Systeme verhalten, wird durch die Schrödingergleichung beschrieben. Mit dieser Gleichung lässt sich aus dem momentanen Zustand eines Quanten-Objektes (etwas eines Atoms) berechnen, welchen Zustand das Objekt zu einem beliebigen anderen Zeitpunkt haben wird. In diesem Sinn ist die Quantenphysik völlig deterministisch und vorhersagbar. Eine solche Vorherberechenbarkeit ist das Gegenteil von Zufall. Wenn wir uns aber nicht auf kleine Quantensysteme beschränken, sondern auch den quantenphysikalischen Messprozess mit einbeziehen, ist es mit dieser Vorhersagbarkeit vorbei. Der Messprozess in der Quantenphysik, der ein kleines Quantensystem mit etwas Großem (einem Messgerät) in Kontakt bringt, wählt immer aus verschiedenen quantenphysikalisch erlaubten Zuständen einen aus, der „tatsächlich” gemessen wird. Welcher Zustand das ist, der Quanten-Möglichkeit zur gemessenen Wirklichkeit wird, lässt sich im Rahmen der Quantenphysik tatsächlich nicht vorhersagen. Diese Auswahl, die beim Messprozess stattfindet, ist rein zufällig.
Das hat allerlei philosophische Diskussionen angestoßen: Wenn von mehreren Möglichkeiten nur eine realisiert wird, was geschieht dann mit den anderen? Spaltet sich die Welt in unterschiedliche parallel-Wirklichkeiten auf, in denen das Quanten-Experiment jeweils unterschiedlich ausgegangen ist?
Solche Spekulationen haben mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun. Für uns hat es auch keine echte praktische Konsequenz. Und ob für uns etwas zufällig erscheint, weil es auf Quanten-Ebene tatsächlich keine tiefere Ursache hat, oder ob sich die Zufälligkeit nur aus einem Mangel an Information ergibt, ist eigentlich auch egal: Für uns als Lebewesen in einer komplexen, chaotischen Welt wird sich das Ergebnis eines Münzwurfs immer genauso zufällig anfühlen wie der Quanten-Zufall, der aus spontan und zufällig zerfallenden Atomen abgeleitet wird.
Mehr zum Quanten-Zufall gibt es in einem neuen naklar-Artikel nachzulesen:
www.naklar.at
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