Furchtbare Menschen, diese Wissenschaftsgläubigen! Halten sich selbst für strahlend schlau und unterstellen allen anderen tiefdunkle Dummheit. Sollen sie doch mal etwas Offenheit lernen, für neue, alternative Ideen, die man nicht in einem Schulbuch nachlesen kann!
Solche Diskussionen kennt man. Ich hatte heute wieder mal eine davon. Man wird ertappt, ein Naturwissenschaftler zu sein, vielleicht sogar ein Skeptiker, der den Glauben an kuriose Übernatürlichkeiten und unbewiesene Absurditäten ablehnt und ein rational-wissenschaftliches Weltbild hat. Damit hat man sich bei manchen Menschen schon von vornherein unbeliebt gemacht. Ich spreche hier gar nicht von wünschelruten-wandelnden Wundeheilern, gott-gleichen Gurus und energie-erleuchteten Esoterikern. Interessanterweise wird man durchaus auch von klugen, gebildeten Leuten manchmal recht despektierlich angeblickt, wenn man sich als naturwissenschaftstreuer Skeptiker zu erkennen gibt.
„Ich bin ja Sozialwissenschaftler”, heißt es dann, oder auch „Geisteswissenschaftler” – es wird also sofort mal eine völlig unnötige scharfe Grenze zwischen der Naturwissenschaft und dem Rest der intellektuellen Welt gezogen. Und dann kommt immer der selbe Vorwurf: Die Naturwissenschaftler sind sich ihrer Sache immer so unverschämt sicher. Sie ziehen gar nicht in Betracht, dass sie falsch liegen könnten und lassen andere Meinungen einfach nicht gelten. Naturwissenschaftler sind also Besserwisser. Und Besserwisser nerven.
Bessern wir uns!
Ganz ehrlich: An diesem Vorwurf ist schon etwas dran. In der Naturwissenschaft lernt man, zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen. Und wenn man diese Ergebnisse dann hat, dann verteidigt man sie auch. Nicht jeder Naturwissenschaftler bringt dabei die soziale Kompetenz auf, die man für eine sinnvolle Diskussion braucht. Auch wenn man vollkommen stahlbetonfest davon überzeugt ist, richtig zu liegen, sollte man freundlich und anständig bleiben. Auch wenn man sein ganzes Vermögen, den linken Arm und seine zwei Kinder darauf verwetten würde, dass die Argumente des Diskussionspartners einfach nur muffige geistige Abgase sind, sollte man ihm das vielleicht nicht so direkt ins Gesicht sagen. Es stimmt schon: Auch Naturwissenschaftler sind schon oft genug falsch gelegen – auch solche, die sich ihrer Sache sehr sicher waren. Mancher glaubt, mit ein paar vereinfachten Formeln die ganze Welt erklären zu können, auch wenn die Wirklichkeit gerade etwas komplizierter aussieht. Ein bisschen Zurückhaltung und Bescheidenheit tut daher tatsächlich gut. Wir sollten uns benehmen.
Nett sein heißt nicht Klappe halten
Das heißt aber nicht, dass man still sein soll. Das heißt nicht, dass man Aussagen hinnehmen soll, von denen man weiß, dass sie falsch sind. Und das heißt auf gar keinen Fall, dass sich konträre Meinungen immer intellektuell auf der selben Augenhöhe befinden. Es gibt nun mal so etwas wie beobachtbare, reproduzierbare wissenschaftliche Fakten. Theorien, die sich mit ihnen in Einklang befinden sind gut, Theorien, die zu ihnen nicht passen, sind schlecht. Daran kann kein abstruser Wissenschaftsrelativismus etwas ändern. Es kommt schon vor, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Aber manchmal trifft eben der eine ins Schwarze, und der andere schießt sich bloß ins Knie.
„Aber die Wissenschaft hat ja auch schon viel Unglück gebracht”, müssen wir uns dann anhören. „Was ist mit Umweltverschmutzung, mit neuen Zivilisationskrankheiten und mit der Sicherheit der Atomkraftwerke?” Das ist kein Argument, sondern ein billiges Ablenkungsmanöver. Kein vernünftiger Mensch würde bestreiten, dass man mit klugen wissenschaftlichen Methoden dumme, gefährliche und schädliche Dinge anstellen kann. An diesem Punkt reden wir aber nicht mehr über Wissenschaft, sondern über ihre Anwendung – über Technologie. Eine schädliche Verwendung wissenschaftlicher Theorien ist kein Argument gegen die Theorien. Wenn ich mit einer ledergebundene Ausgabe vom „Mann ohne Eigenschaften” jemandem den Kopf blutig schlage, macht das Robert Musil nicht zu einem schlechten Autor.
Bauchgefühl gegen Fakten
Ob mein Tomatensoßenrezept besser ist als das meiner Mutter, kann man diskutieren. Hier zählt das Bauchgefühl. Jede Meinung, die dazu abgegeben wird, ist in gleichem Maß ernst zu nehmen. Bei Naturwissenschaftlichen Fragen ist das manchmal eben anders. Hier gibt es nicht nur Meinungen, sondern intersubjektiv festgestellte Beobachtungen. Wer der Wissenschaft nicht mehr als Bauchgefühle entgegenzusetzen hat, verschwendet seine Zeit – und die Zeit des Wissenschaftlers, mit dem er zu diskutieren versucht. Wenn das Bauchgefühl sagt, dass die Erde vor sechstausend Jahren erschaffen wurde, dass man mit beschwörendem Handauflegen Krankheiten heilen kann, oder dass ausländische Mächte mit geheimnisvollen Strahlen versuchen, unsere Gedanken fernzusteuern, dann sollte man diese Bauchgefühle nicht Richtung Mund entweichen lassen, sondern auf anderem Weg loswerden.
Als Wissenschaftler sollte man auch den haarsträubendsten Unfug immer wieder mit ehrlichen, sauberen Argumenten widerlegen. Man soll dabei freundlich bleiben. Aber wenn man ein überwältigendes Arsenal wissenschaftlich solider Fakten auf seiner Seite hat, darf man durchaus etwas Selbstbewusstsein zeigen.
Naturwissenschaftliche Bildung ist keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen. Aber wenn der Klügere immer nachgibt, regieren am Ende die Dummen.
Kommentare (43)