Führt der Informations-Überfluss dazu, dass wir unsere Vorurteile verfestigen, anstatt uns ein umfassendes Bild von der Welt zu verschaffen?
Als ich ein Kind war, hatten wir zwei Fernsehprogramme – die beiden staatlichen österreichischen Sender. In den Abendnachrichten sah man sich an, was die Redakteure eben für die wichtigsten Nachrichten des Tages hielten, egal ob man selbst auch dieser Meinung war oder nicht.
Das ist noch gar nicht so lange her – so schrecklich alt bin ich schließlich nicht. Aber die Art, wie wir an Information gelangen, hat sich radikal geändert. Unser Nachrichtenkonsum heute wird massiv durch Suchmaschinen wie Google oder durch soziale Plattformen wie Facebook beeinflusst. Wer tritt in diesem Informationsnetz an die Stelle der Nachrichtenredakteure? Wer sortiert die Neuigkeiten und wählt die wichtigsten für uns aus? Gerne glauben wir, dass wir selbst die bewusste Entscheidung treffen, an welche Information wir gelangen wollen. Doch das ist eine Illusion, von der wir uns lösen müssen.
Völlig unterschiedliche Informations-Welten
Eine junge Arabistikstudentin liest vielleicht stundenlang Berichte über Innenpolitik im Nahen Osten, chattet mit ihren ägyptischen Freunden und bloggt dann darüber. Ihre Nachbarin hingegen ist Fotografin und informiert sich täglich über technische Neuigkeiten, über Fotowettbewerbe und Ausstellungen. Ihr Bruder weiß alles über die europäischen Königsfamilien und kann genau erklären, wessen königliche Verwandtschaft mit wem auf welcher Yacht gerade welcher Insel zusteuert. Alle drei fühlen sich bestens informiert, und doch leben alle drei in ganz verschiedenen Informations-Welten.
Das muss nicht unbedingt schlimm sein. Jeder hat das Recht, sich für gewisse Dinge zu interessieren und für andere nicht. Die Frage ist allerdings: Entscheiden wir tatsächlich selbst, an welche Information wir gelangen, und an welche nicht? Leider nicht. Ob wir es wollen oder nicht, wir schwimmen in einen Informations-Sog mit, aus dem man sich nur mit Mühe und Kraftanstrengung herauswinden kann.
Mitschwimmen mit der Strömung
Ich bin wohl ein ziemlich typischer Internetuser: Ich klicke regelmäßig auf verschiedene Onlinezeitungen, entscheide innerhalb von Sekunden, welche Artikel mich interessieren, die anderen ignoriere ich. Viel von dem was ich lese, wurde mir von anderen Leuten empfohlen: Auf Facebook verlinken Freunde interessante Artikel – natürlich klickt man gerne auf einen Text, der von einem Freund mit ähnlichen Interessen als lesenswert gesehen wird. Man liest Blogs, gerät von dort auf andere Blogs oder zu Zeitungsartikeln. Stundenlang kann man sich in ein Thema vertiefen, indem man Links folgt und von Video zu Artikel zu Podcast weiterklickt. Allerdings bewegen wir uns hier auf den ausgetretenen Pfaden, die uns Suchalgorithmen und von anderen Leuten gesetzte Links vorgeben. Mit Objektivität hat das nichts zu tun.
Künstlich generierte Zensur?
Wenn ich meinen Lesekonsum an dem ausrichte, was meine Freund auf Facebook empfehlen, bekomme ich einen hochgradig gefilterten Info-Mix, der sich höchstwahrscheinlich ziemlich gut mit meinen Ansichten und Meinungen deckt. Meine Meinung wird durch diese Selektion gestärkt, auf die Ansicht der Gegenseite stoße ich viel seltener. Schlimmer noch: Die Suchalgorithmen solcher Webseiten unterscheiden sogar zwischen Freunden, deren Links ich oft anklicke, und Freunden, mit denen ich wenig virtuellen Kontakt habe. Facebook präsentiert mir eine Seite, die zu meinem bisherigen Klickverhalten passt – das ist aber nicht unbedingt die Zusammenstellung, die zu meinen Bedürfnissen passt. Wenn ich auf Google einen Suchbegriff eingebe, bekomme ich andere Ergebnisse als andere Internetuser. So etwas wie „objektive” Google-Ergebnisse gibt es nicht. Aus meinem bisherigen Surfverhalten, oder auch aus Parametern wie meinem Aufenthaltsort, wird automatisch darauf geschlossen, welche Information für mich die richtige sein soll. Ich selbst kann auf diesen Prozess kaum Einfluss nehmen. Das ist ein echtes Problem. Auf Seiten wie “Scienceblogs” gelangt man als wissenschaftsinteressierter Mensch recht leicht. Andere Leute befinden sich in einem anderen Internet-Sog und landen ganz woanders.
Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?
Wir haben das Bedürfnis, uns weiterzuentwickeln. Daher kann es nicht die beste Lösung sein, immer mit jener Information konfrontiert zu werden, die möglichst gut zu dem passt, was wir bereits konsumiert haben. Auch wenn wir immer wieder mal auf Simpsons-Clips, auf geekige Webcomics oder LOLcats geklickt haben: Das bedeutet nicht, dass uns diese Information wichtiger ist als außenpolitische Nachrichten oder eine neue wissenschaftliche Entdeckung. Wenn uns von irgendwelchen Suchmaschinen vorgeschlagen wird, was uns interessieren könnte, dann sollte das auf die Person zugeschnitten sein, die wir gerne wären – nicht auf die, die wir sind. Wir sollten mit den Meinungen konfrontiert werden, die unser vorhandenes Wissen ergänzen – nicht mit Meinungen, die unseren Glauben bestärken. Wir sollten mit herausfordernden, neuen Gedanken in Kontakt gebracht werden – nicht mit den leichtverdaulichen Häppchen, die wir zwischendurch aus Bequemlichkeit ohnehin immer wieder mal konsumieren.
Wie sich das erreichen lässt, ist schwer zu sagen. Vielleicht entwickeln sich neue Ideen, mit denen wir unseren Suchmaschinen bewusst mitteilen können, wo unsere Bedürfnisse wirklich liegen. Letzten Endes wird man aber bei der Auswahl von Themen nie auf menschliche Intelligenz verzichten können. Den Redakteur, der mit großer Sachkenntnis auswählt, was veröffentlichenswert ist und was nicht, wird wohl kein Computer-Algorithmus wirklich ersetzen. Vielleicht sollte ich also weniger auf Facebook-Links klicken und mehr Zeit in ordentlich redigierten Online-Magazinen verbringen?
Einen glänzenden Kurz-Vortrag zu diesem Thema hat Eli Pariser bei einer TED-Konferenz gehalten.
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