Führt der Informations-Überfluss dazu, dass wir unsere Vorurteile verfestigen, anstatt uns ein umfassendes Bild von der Welt zu verschaffen?

i-1ede70ac64d14032bc0b6cc884878542-like1.jpg


Als ich ein Kind war, hatten wir zwei Fernsehprogramme – die beiden staatlichen österreichischen Sender. In den Abendnachrichten sah man sich an, was die Redakteure eben für die wichtigsten Nachrichten des Tages hielten, egal ob man selbst auch dieser Meinung war oder nicht.

Das ist noch gar nicht so lange her – so schrecklich alt bin ich schließlich nicht. Aber die Art, wie wir an Information gelangen, hat sich radikal geändert. Unser Nachrichtenkonsum heute wird massiv durch Suchmaschinen wie Google oder durch soziale Plattformen wie Facebook beeinflusst. Wer tritt in diesem Informationsnetz an die Stelle der Nachrichtenredakteure? Wer sortiert die Neuigkeiten und wählt die wichtigsten für uns aus? Gerne glauben wir, dass wir selbst die bewusste Entscheidung treffen, an welche Information wir gelangen wollen. Doch das ist eine Illusion, von der wir uns lösen müssen.

Völlig unterschiedliche Informations-Welten

Eine junge Arabistikstudentin liest vielleicht stundenlang Berichte über Innenpolitik im Nahen Osten, chattet mit ihren ägyptischen Freunden und bloggt dann darüber. Ihre Nachbarin hingegen ist Fotografin und informiert sich täglich über technische Neuigkeiten, über Fotowettbewerbe und Ausstellungen. Ihr Bruder weiß alles über die europäischen Königsfamilien und kann genau erklären, wessen königliche Verwandtschaft mit wem auf welcher Yacht gerade welcher Insel zusteuert. Alle drei fühlen sich bestens informiert, und doch leben alle drei in ganz verschiedenen Informations-Welten.

Das muss nicht unbedingt schlimm sein. Jeder hat das Recht, sich für gewisse Dinge zu interessieren und für andere nicht. Die Frage ist allerdings: Entscheiden wir tatsächlich selbst, an welche Information wir gelangen, und an welche nicht? Leider nicht. Ob wir es wollen oder nicht, wir schwimmen in einen Informations-Sog mit, aus dem man sich nur mit Mühe und Kraftanstrengung herauswinden kann.

i-c122a94693dd6503129a39574d6a53c0-like2.jpg

Mitschwimmen mit der Strömung

Ich bin wohl ein ziemlich typischer Internetuser: Ich klicke regelmäßig auf verschiedene Onlinezeitungen, entscheide innerhalb von Sekunden, welche Artikel mich interessieren, die anderen ignoriere ich. Viel von dem was ich lese, wurde mir von anderen Leuten empfohlen: Auf Facebook verlinken Freunde interessante Artikel – natürlich klickt man gerne auf einen Text, der von einem Freund mit ähnlichen Interessen als lesenswert gesehen wird. Man liest Blogs, gerät von dort auf andere Blogs oder zu Zeitungsartikeln. Stundenlang kann man sich in ein Thema vertiefen, indem man Links folgt und von Video zu Artikel zu Podcast weiterklickt. Allerdings bewegen wir uns hier auf den ausgetretenen Pfaden, die uns Suchalgorithmen und von anderen Leuten gesetzte Links vorgeben. Mit Objektivität hat das nichts zu tun.

Künstlich generierte Zensur?

Wenn ich meinen Lesekonsum an dem ausrichte, was meine Freund auf Facebook empfehlen, bekomme ich einen hochgradig gefilterten Info-Mix, der sich höchstwahrscheinlich ziemlich gut mit meinen Ansichten und Meinungen deckt. Meine Meinung wird durch diese Selektion gestärkt, auf die Ansicht der Gegenseite stoße ich viel seltener. Schlimmer noch: Die Suchalgorithmen solcher Webseiten unterscheiden sogar zwischen Freunden, deren Links ich oft anklicke, und Freunden, mit denen ich wenig virtuellen Kontakt habe. Facebook präsentiert mir eine Seite, die zu meinem bisherigen Klickverhalten passt – das ist aber nicht unbedingt die Zusammenstellung, die zu meinen Bedürfnissen passt. Wenn ich auf Google einen Suchbegriff eingebe, bekomme ich andere Ergebnisse als andere Internetuser. So etwas wie „objektive” Google-Ergebnisse gibt es nicht. Aus meinem bisherigen Surfverhalten, oder auch aus Parametern wie meinem Aufenthaltsort, wird automatisch darauf geschlossen, welche Information für mich die richtige sein soll. Ich selbst kann auf diesen Prozess kaum Einfluss nehmen. Das ist ein echtes Problem. Auf Seiten wie “Scienceblogs” gelangt man als wissenschaftsinteressierter Mensch recht leicht. Andere Leute befinden sich in einem anderen Internet-Sog und landen ganz woanders.

Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Wir haben das Bedürfnis, uns weiterzuentwickeln. Daher kann es nicht die beste Lösung sein, immer mit jener Information konfrontiert zu werden, die möglichst gut zu dem passt, was wir bereits konsumiert haben. Auch wenn wir immer wieder mal auf Simpsons-Clips, auf geekige Webcomics oder LOLcats geklickt haben: Das bedeutet nicht, dass uns diese Information wichtiger ist als außenpolitische Nachrichten oder eine neue wissenschaftliche Entdeckung. Wenn uns von irgendwelchen Suchmaschinen vorgeschlagen wird, was uns interessieren könnte, dann sollte das auf die Person zugeschnitten sein, die wir gerne wären – nicht auf die, die wir sind. Wir sollten mit den Meinungen konfrontiert werden, die unser vorhandenes Wissen ergänzen – nicht mit Meinungen, die unseren Glauben bestärken. Wir sollten mit herausfordernden, neuen Gedanken in Kontakt gebracht werden – nicht mit den leichtverdaulichen Häppchen, die wir zwischendurch aus Bequemlichkeit ohnehin immer wieder mal konsumieren.

Wie sich das erreichen lässt, ist schwer zu sagen. Vielleicht entwickeln sich neue Ideen, mit denen wir unseren Suchmaschinen bewusst mitteilen können, wo unsere Bedürfnisse wirklich liegen. Letzten Endes wird man aber bei der Auswahl von Themen nie auf menschliche Intelligenz verzichten können. Den Redakteur, der mit großer Sachkenntnis auswählt, was veröffentlichenswert ist und was nicht, wird wohl kein Computer-Algorithmus wirklich ersetzen. Vielleicht sollte ich also weniger auf Facebook-Links klicken und mehr Zeit in ordentlich redigierten Online-Magazinen verbringen?

Einen glänzenden Kurz-Vortrag zu diesem Thema hat Eli Pariser bei einer TED-Konferenz gehalten.

www.naklar.at

Kommentare (7)

  1. #1 Dr. Webbaer
    Mai 28, 2012

    Entscheiden wir tatsächlich selbst, an welche Information wir gelangen, und an welche nicht? Leider nicht.

    Hier mangelt es noch an der sogenannten Webkompetenz, die allgemein nach und nach erworben werden muss. Natürlich kann man seine vorgefasste Meinung im Web auf das Beste bestätigen lassen, hier liegt ein Unterschied zu “früher”, als es eine Handvoll Staatsmedien gab und die Printpresse.

    Früher war es aber dennoch weit übler an Informationen zu kommen, weil die Staatsmedien ihren Bildungsauftrag regelrecht mißbraucht haben, jedenfalls seit ca. 1970.

    BTW, was wird jetzt eigentlich aus dem Printbereich? Agiert man dort immer offener zu tendenziöser Berichterstattung, den jeweiligen Besitzverhältnissen geschuldet, oder trügt der Eindruck?

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. #2 ulfi
    Mai 28, 2012

    Ich wollte eigentlich den begriff Filter-Bubble in den Raum werfen, aber der TED-talk hat das ja direkt im Titel. Das Problem ist bereits bekannt und es ist nicht ganz klar, wie man es lösen soll.

    Eine direkte Lösung wäre, aktiv aus dem eigenen Leseverhalten auszubrechen. Wer hauptsächlich linksgerichtete Autoren liest, sollte vielleicht ab und zu “Welt” lesen. Aber leider ist das leichter gesagt als getan, da diese Information natürlich auch ins Weltbild als alternativer Blickwinkel eingebaut werden muss. Psychologisch gesehen werden Blickwinkel aber nicht gleichberechtigt betrachtet. Unser Weltbild ist geprägt von dem was ihr tagein tagaus am häufigsten lesen. Das einzige was der beispielhafte Welt-Artikel bewirkt ist, dass er mit unserem Weltbild kollidiert – und höchstwahrscheinlich komplett abgelehnt wird.

    Hat jemand Vorschläge, wie man da raus kommt?

  3. #3 HT
    Mai 29, 2012

    Interessant ist, dass man hier in vielen Möglichkeiten, welche die heutigen Informationsquellen bieten, vor allem die Nachteile sieht.

    • Ich lese mir hin und wieder Artikel zu Themen durch, die sich nicht meinem primären Interessen decken. Bei Wikipedia macht man das glaube ich schneller als im “Brockhaus”-Zeitalter.
    • Im Pre-Internet-Zeitalter kaufte man sich die Tageszeitung, welche neben der Tagesschau am Abend die Hauptinformationsquellen war. Heute belässt es niemand bei nur einer Nachrichtenseite. Man hat sogar leichteren Zugriff auf ausländische Quellen. Die “Times” am Bahnhofskiosk ist da nicht mehr die einzige Informationsquelle.
    • Die Verteufelung des TV-Programms, ein ewig langes Thema. Wer bei der heutigen Anzahl der TV-Programme nicht passendes findet oder den Weg ins Internet als Alternative nicht gefunden hat… naja..
    • “Künstlich generierte Zensur?”
      Blättere ich das Fußballmagazin durch, stoße ich verstärkt auf Sportartikel. Autozeitschriften werben mit Autoteilen. Suche ich bei google nach “news”, dann habe ich, anders als der ausländische google-Nutzer, erst einmal die deutschen Nachrichtenseiten, nach denen vermutlich auch die meisten bei der Eingabe von “news” gesucht haben. Man muss in keine weiteren Suchparameter eingeben, wenn man zu den Standardnachrichtenseiten will. Man muss die Suchparameter erweitern, wenn man dann sich von den Standardergebnissen abweicht, was meiner Meinung nach mehr Sinn macht.
    • Viele Nachrichtenseiten haben Kommantarfunktionen. Kaum jemand liest sich bei Scienceblogs einen Artikel eines Autors durch, ohne einmal einen Blick in die Antworten der Kritiker geworfen zu haben. Man ist also nicht nur mit DER Meinung zu einem Thema konfrontiert.

    “Führt der Informations-Überfluss dazu, dass wir unsere Vorurteile verfestigen, anstatt uns ein umfassendes Bild von der Welt zu verschaffen?”
    Wenn man diese Frage bejahen sollte, müsste man umgekehrt Schlussfolgern, dass man durch Einschränkung der Informationen sich ein umfassenderes Weltbild verschafft? Ich denke nicht, dass das der Fall ist.

  4. #4 Dr. Webbaer
    Mai 31, 2012

    @Ulfi

    Hat jemand Vorschläge, wie man da raus kommt?

    Ihr Vorschlag das allgemein zV stehende kostenfreie Spektrum zu konsumieren, ist OK. Anders geht es nicht. – Früher war das übrigens noch schwieriger, jetzt wird einem ehemals kostenpflichtige politisch grundierte Sicht ja geradezu aufgedrängt.

    MFG
    Dr. Webbaer (der natürlich auch zum internationalen medialen Konsum rät, in D ist man ja schon etwas engstirnig)

  5. #5 hinrich7
    Juni 2, 2012

    Eigentlich hat sich doch nicht viel geändert im menschlichen Verhalten: Wir wollen doch nur selektiv informiert werden. Zu den Zeiten des reinen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (wie sperrig) gab´s ARD und ZDF, deren politische Sendungen hier mehr in die eine und dort mehr in die andere Richtung gingen (ich unterstelle, dass das in Österreich nicht anders gewesen ist). Vor dem Rundfunk war es auch nicht anders, denn man hat sich einfach in Kreise begeben, die eine relativ homogene Meinungskultur pflegten.

    Aber insbesondere in den Zeiten des öffentlich-rechtlichen Meinungsduopols war es schwer, wenn nicht unmöglich, sich der vorgekauten Information zu entziehen. Wer Quellen für konträre Informationen suchte, war in aller Regel aufgeschmissen. Und das ist heute anders: Im Internet kann ich selbst entscheiden, welchen Mix ich möchte, weil die Informationen eben einfach da sind.

    Ich muss natürlich genau das machen, was die Sprichwörter und klugen Weisheiten immer so schön formulieren: “Gegen den (Informations-) Strom schwimmen”, ein “Querdenker” sein und “unorthodoxe” Methoden verwenden. Nur so kann ich mir meine eigene Meinung erarbeiten und nicht dem Mainstream der 20-Uhr-Nachrichten folgen…

  6. #6 Hans Meier
    Mai 4, 2016