Es ist zu heiß. Geistige Leistungen unmöglich. Lange Sätze kontraindiziert. Fremdwörter: Höchstens eins pro Artikel. Es ist zu heiß.
Kaum kommt ein kleiner kristallklarer Gedanke, wird er weich wie warmes Wachs und löst sich wieder auf. Alles umsonst. Es ist zu heiß.
Im Büro wird diskutiert, wo der Ventilator aufgestellt werden soll. Einen zweiten wird es nicht geben, die Universitäten müssen sparen. Wäre es kühler, könnte man über das interessante strömungsmechanische Phänomen diskutieren, dass ein auf voller Drehzahl laufender, keine zwei Meter entfernter Ventilator auf mich nicht die geringste spürbare Wirkung hat. Aber so eine Diskussion klappt heute nicht. Es ist zu heiß.
Und dann frage ich mich: Warum eigentlich hat niemand Angst vor Hitzewellen? Unter Hitze zu leiden fühlt sich fast an wie krank sein: Die Leistungsfähigkeit sinkt, man schwitzt und fühlt sich schlecht. In einer Studie aus dem Jahr 2010 wurden Hitzewellen aus vierzehn Jahren in neun europäischen Städten untersucht. Die Sterblichkeitsrate steigt – je nach Stadt – während einer Hitzewelle um bis zu ein Drittel. Das klingt ziemlich drastisch. Trotzdem nehmen wir Hitzewellen recht unaufgeregt hin, ohne uns viel dabei zu denken.
Nun könnte man sagen: Bei einer Hitzewelle sterben ohnehin nur geschwächte Menschen, die ohne Hitze eben vielleicht ein paar Tage später gestorben wären. Insofern ist die Hitzewelle kein kalter Killer sondern höchstens ein sanfter Sterbekatalysator. Doch dasselbe lässt sich auch von vielen Krankheiten behaupten.
Stellen wir uns vor, es gäbe eine Krankheit, die im Sommer über uns hereinbricht, ausnahmslos die gesamte Bevölkerung erfasst und leiden lässt, und noch dazu eine beträchtliche Anzahl von Menschen tötet. Panik würde aufkommen, Gesundheitsminister würden mit ernster Mine versprechen, Gegenmaßnahmen zu setzen, die Zeitungen wären voll von Artikeln über neueste Forschungsergebnisse über die bedrohliche Seuchenkrise. Doch angesichts der Hitzewelle denken wir bloß: Es ist zu heiß.
Nein, ich will mich hier nicht über ausbleibende Panik beschweren und ich will hier nicht dazu aufrufen, den warmen Mittelmeerraum aus Gesundheitsgründen unverzüglich Richtung Skandinavien zu evakuieren. Vielleicht sollten wir aber, entlang solcher Überlegungen, auch manche andere medientauglichere Angstszenarien etwas kühler betrachten. Kühler? Ja! Es ist zu heiß.
Jedenfalls aber wünsche ich mir eines: Eine Klimaanlage. Auf Krankenschein. Es ist zu heiß.
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