Ist revolutionär neue Wissenschaft zuerst Esoterik, bis sie verifiziert und akzeptiert ist? Nein, ist sie nicht.
Das Goldene Brett vorm Kopf wird verliehen – eine Auszeichnung für den größten antiwissenschaftlichen Unfug des Jahres. Gekürt wird der Sieger von der Gesellschaft für Kritisches Denken, der Wiener Lokalgruppe der GWUP. Hunderte würdige Kandidaten wurden online nominiert – wer das Rennen macht, kann man am Freitag, dem 19. Oktober live im Naturhistorischen Museum in Wien miterleben.
Natürlich zeichnen sich gewisse Muster ab, wenn man die Liste der Nominierten durchliest oder wenn man die Diskussionen dazu in Internetforen ansieht. Manche Personen oder Institutionen werden immer wieder genannt – sogar die GWUP selbst wurde schon für den Preis vorgeschlagen. Auch wenn es wohl niemanden überraschen wird, dass ich mich diesem Vorschlag nicht anschließe: Damit kann ich gut leben. Es gibt verschiedene Meinungen, und wenn jemand die Aussagen GWUP für Unfug hält, kann er das gerne kundtun.
Ich ärgere mich allerdings über eine andere Aussage, die ich im Zusammenhang mit dem Goldenen Brett immer wieder lese: Die Behauptung nämlich, dass alle großen, revolutionären Wissenschaftler der Geschichte den Preis wohl auch bekommen hätten, weil ihre Aussagen auch nicht mit der gültigen Lehre der Wissenschaft im Einklang stand.
Wer dieses Argument vorbringt, hat ganz grundlegende Dinge nicht verstanden. Astrologie, Wünschelrutengehen oder Homöopathie sind keine Gegenthesen oder Erweiterungen der derzeit gültigen Wissenschaft, so wie Einsteins Relativitätstheorie eine Gegenthese oder eine Erweiterung zu Newtons Gravitationstheorie war. Die esoterischen Behauptungen, die mit einem Goldenen Brett ausgezeichnet werden, sind entweder längst wissenschaftlich untersucht und haben sich als Unfug herausgestellt, oder sie widersprechen der wissenschaftlichen Erfahrung so fundamental, dass eine weitere Überprüfung gar nicht mehr nötig ist.
Eine neue wissenschaftliche Theorie widerspricht zwar an bestimmten Punkten der alten Theorie, doch sie muss trotzdem die alte Theorie bis zu einem gewissen Grad beinhalten: Sie muss nämlich die Experimente, die bisher mit Hilfe der alten Theorie erklärt wurden, ebenfalls erklären. Unsere wohlerprobte Gravitationstheorie sagt, dass Objekte, die ich schräg nach oben schleudere, ziemlich genau in parabolischer Bahn wieder auf den Boden zurückkehren. Wenn nun morgen jemand eine neue Gravitationstheorie aufstellt, sollte auch diese neue Theorie die parabolische (oder zumindest: bis auf winzige Abweichungen parabolische) Flugbahn erklären können. Wenn sie das nicht tut, kann ich sie sofort getrost als falsch entsorgen: Dann widerspricht die Theorie nämlich von vornherein unzähligen Experimenten, die schon bisher durchgeführt wurden, bevor es die neue Theorie überhaupt gab.
Und genau in diese Kategorie gehören die meisten Wunder-Behauptungen: Sie sind schon zum Zeitpunkt ihrer Geburt widerlegt. Sie sind in sich selbst widersprüchlich (wie die Homöopathie) oder sie stehen im Widerspruch zu bestens überprüften Naturgesetzen (wie das belebte Wasser). Manchmal kann es trotzdem nützlich sein, sie noch einmal zu testen – und sei es nur aus pädagogischen Gründen. Doch niemand kann behaupten, solche Theorien hätten den selben Stellenwert wie eine wissenschaftliche Theorie, die sich einfach noch nicht durchgesetzt hat.
Dieser Unterschied ist eigentlich ziemlich offensichtlich. Warum er nach wie vor so oft nicht gesehen wird, ist mir ein großes Rätsel. Für sachdienliche Hinweise bin ich dankbar.
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