„Ich habe doch gar nichts geleistet“ – das Impostor-Syndrom kann zum Stolperstein für wissenschaftliche Karrieren werden.
Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie hätten Ihre berufliche Position gar nicht wirklich verdient? Denken Sie manchmal, Ihre Erfolge seien eher das Produkt von Glück und Zufall, und nicht von echten eigenen Errungenschaften? Haben Sie insgeheim vielleicht sogar Angst, irgendjemand könnte Sie eines Tages auffliegen lassen, irgendjemand könnte aufdecken, dass Ihre Leistung den hohen Ansprüchen nicht genügt, irgendjemand könnte Sie als Hochstapler entlarven?
Weitverbreitetes Impostor-Syndrom
Wer dieses Gefühl kennt, leidet möglicherweise am sogenannten „Impostor-Syndrom“ – und ist damit nicht alleine. Der Ausdruck bezieht sich auf Personen, die zwar objektiv betrachtet kompetent und erfolgreich sind, die aber trotzdem ihre eigene Leistung als minderwertig betrachten und Angst haben, ihre fachliche Unzulänglichkeit könnte aufgedeckt werden. Eine Studie untersuchte nun das Impostor-Syndrom in der akademischen Welt: Über 600 österreichische Doktorats-Studierende wurden befragt. Das Impostor-Syndrom stellt sich als beängstigend weitverbreitet heraus. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer – das könnte, so meinen die Studienautoren, ein Grund dafür sein, dass Frauen bei akademischen Karrieren noch immer in der Minderheit sind.
In der Studie wurde anhand von Fragebögen zwischen vier Stufen des Impostor-Syndroms unterschieden: Kein Impostor-Syndrom (17.1% der Befragten), geringer Level (49,1%), moderater Level (29,2%) und hoher Level (4,8%) des Impostor-Syndroms. Je höher der Level, umso höher war der Frauenanteil: In der Gruppe mit hohem Impostor-Syndrom-Level waren fast nur noch Frauen vertreten (über 90%).
Je länger ich darüber nachdenke, umso weniger überraschend klingt das für mich. Ich kenne viele Leute, die eine Dissertation geschrieben haben oder gerade daran arbeiten. Ich weiß nicht, wie sie bei diesem Test abgeschnitten hätten, oder in welcher Gruppe ich in meiner Dissertations-Zeit einzuordnen gewesen wäre – aber meine persönliche Erfahrungswelt scheint mit den wissenschaftlichen Erhebungen gut zusammenzupassen: Selbstzweifel-Gefühle, wie sie hier beschrieben werden, dürften wirklich weit verbreitet sein. Warum ist dieses Problem aber gerade an Universitäten, unter Doktoratsstudierenden so schwerwiegend? Ich denke, das liegt an unserer akademischen Kultur.
Forscher als geniale Über-Wesen?
Wissenschaft ist Knochenarbeit, die manchmal Erfolg bringt und manchmal eben nicht. Trotzdem gibt es so etwas die den Mythos des genialen überstrahlenden Gelehrten, der alles weiß und alles kann, der Tag und Nacht arbeitet und weder Pausen braucht noch unkreative Phasen kennt. Solche mythischen Wesen sind ungefähr so real wie das Loch-Ness-Monster oder das grüne Männchen vom Mars – aber solche Bilder setzen sich nun mal in den Köpfen fest. Wenn man sich mit übernatürlichen Phantasiefiguren vergleicht, kann man nur verlieren – und das Selbstvertrauen schwindet.
Versteckte Schattenseiten
Nach außen werden in der Wissenschaft die Erfolge getragen – was nicht geklappt hat, verschwindet in den Schubladen. Bei der wissenschaftlichen Konferenz werden möglichst spektakuläre Messergebnisse präsentiert. Dass das andere Gerät kaputtgegangen ist, und auch nach Monaten des verzweifelten Justierens nicht wieder zum Leben erweckt werden konnte, soll nach Möglichkeit niemand erfahren. Über die Ergebnisse, die nur so halb zur tollen neuen Theorie passen, erzählt man vorerst noch nichts, und von dem Rechenergebnis von letzter Woche, das vollkommen abstruse Ergebnisse geliefert hat, darf sicherheitshalber nicht einmal der eigene Professor hören, vielleicht war es ja nur ein dummer kleiner Fehler. In einem solchen Umfeld ist es ganz logisch, dass man von anderen Leuten immer nur die Glanztaten mitbekommt, bei der eigenen Arbeit aber auch die Fehler, die Misserfolge, die unerledigten Versuche sieht.
Wissenschaft ist Teamsport
Ein Problem ist auch, dass Wissenschaft heute fast zwangsläufig im Team produziert wird. Viele Forschungsgebiete sind einfach zu kompliziert, als dass ein einzelner Mensch alleine maßgebliche Leistungen bringen könnte. In guten Forschungsgruppen arbeiten mehrere Dissertanten gleichzeitig an ähnlichen Themen, liefern sich gegenseitig Daten, entwickeln gemeinsam Theorien. Wer von ihnen darf sich nun den Erfolg auf die Fahnen heften? Wenn man nur ein Mitspieler in einem großen Team ist, dann kann man leicht den Fehler machen, den eigenen Beitrag für nebensächlich zu halten. Klar – man steht als Autor auf wissenschaftlichen Publikationen, hier und dort vielleicht sogar als Erstautor, aber war das denn wirklich der eigene Verdienst? Hätte die Gruppe das nicht ähnlich gut hinbekommen, wenn man nicht selbst daran mitgearbeitet hätte, sondern jemand andere hier am Labortisch sitzen würde?
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