Glaub nicht alles was du denkst!
Meine Wohnung hat eine Heizung, die auf mysteriöse Weise aus längst vergangenen Epochen ins einundzwanzigste Jahrhundert geraten ist. Sie wird zentral für das ganze Haus gesteuert, ich kann nur meine Heizkörper an- und ausschalten und mich so zwischen tropischen und arktischen Temperaturen entscheiden, Kompromisse dazwischen sind ähnlich schwer herzustellen wie Friedensgespräche im nahen Osten.
Damit hängt wohl auch zusammen, dass die Heizung seltsame Geräusche macht, so lange sie an ist. Es ist ein sanftes Rauschen, an das man sich schnell gewöhnt. Wenn sich die zentrale Heizungsanlage ausschaltet, dann verschwindet auch das Geräusch.
Das Interessante daran ist, dass man damit sein eigenes Bewusstsein ein bisschen beobachten kann: Wenn das Geräusch beginnt, fällt das natürlich auf. Nach kurzer Zeit verschwindet es aus dem Bewusstsein – doch wenn es plötzlich endet, bemerken wir das wiederum sofort. Änderungen sind für unser Gehirn wichtig, gleichbleibende Zustände sind egal und können getrost ausgeblendet werden.
Die Wahrnehmung von Abwesenheit und die Abwesenheit von Wahrnehmung
Jedes Mal, wenn das Geräusch verschwindet, habe ich allerdings das ganz eindeutige Gefühl, das Ende hätte sich irgendwie abgezeichnet – nur kann ich nicht genau benennen, wodurch. Wird das Zischen vielleicht ein bisschen leiser, bevor es dann ganz verschwindet? Oder lauter? Ändert sich seine spektrale Zusammensetzung auf eine subtile Weise, die mir verrät, dass es in einigen Sekunden verschwinden wird? Oder ist das alles nur Einbildung?
Nachdem ich mir einige Wochen ehrliche Mühe gegeben hatte, diesem Problem auf die Spur zu kommen, beschloss ich, beim nächsten Mal zu klatschen, wenn ich das Gefühl habe, das Heizungsrauschen werde gleich verschwinden – und zwar bevor es weg ist. Erstaunlicherweise gelang mit das aber kein einziges Mal. Immer habe ich das Gefühl, schon vorher gewusst zu haben, dass das Geräusch verschwinden wird – doch geklatscht habe ich nie. Das ist verwirrend, denn auf ein bestimmtes unvorhergesehenes Signal hin zu klatschen wäre normalerweise kein Problem. Offenbar ist das Wissen über das baldige Ende des Geräuschs eine bloße Einbildung. Es schon vorher gewusst zu haben ist eine Vorstellung, die vermutlich erst mit Ende des Geräuschs entsteht. Ich bemerke, dass das Geräusch verschwunden ist. Mein Gehirn registriert das, weil es den momentanen Lärmpegel mit dem von vor ein paar Sekunden vergleicht, und irgendwie entsteht dabei ein falsches zeitliches Bild der eigenen Wahrnehmung. Das erinnert ein bisschen an optische Täuschungen, bei denen uns auch unser eigenes Hirn einen Streich spielt.
Ich bin ja schlau, aber mein Hirn ist ein Trottel!
Unser Bewusstsein ist die Geschichte, die wir uns selbst über unser eigenes Denken erzählen. Diese Geschichte muss aber nicht wahr sein. Ich finde das äußerst faszinierend – denn woran sollen wir uns denn orientieren, wenn nicht an unseren eigenen Wahrnehmungen? Es ist möglich, unsere Wahrnehmungen systematisch zu testen und zu Ergebnissen zu kommen, die uns an unseren Wahrnehmungen zweifeln lassen. Aber machen wir uns keine Illusionen: In den vielen Fällen werden wir getäuscht ohne es jemals auch nur zu vermuten. Damit müssen wir uns wohl abfinden. Unser Hirn ist ein wirklich tolles Organ, aber es macht manchmal ziemlich seltsame Dinge. Gut so – sonst wär’s ja auch langweilig. Klar ist: Wir sollten nicht alles unhinterfragt glauben – nicht mal unserem eigenen Gehirn.
Wer sich für die Verwunderlichkeiten rund um das menschliche Bewusstsein interessiert und spannende Experimente dazu kennenlernen möchte, dem sei das Buch „Consciousness – A Very Short Introduction“ von Susan Blackmore empfohlen. (Blackmore wurde vor allem auch durch „The Meme Machine“ bekannt, in dem sie die Memetik-Ideen von Dawkins aufgreift, entwickelt und erweitert.) Auch Daniel Dennett (“Consciousness Explained”) schreibt sehr gut und erhellend über dieses Thema. (Danke, Martin, für diesen Zusatz.)
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