Der Printjournalismus ist nicht tot, er röchelt noch. Aber die Lage ist ernst. In Wien wird nun wieder einmal eine Tageszeitung eingestellt – das „Wirtschaftsblatt“ erscheint in ein paar Tagen zum letzten Mal. Journalisten mit schwarzem Humor schließen Wetten ab, welche Zeitung die nächste sein wird. Journalisten mit weniger Humor studieren bereits Stellenangebote. Die Stimmung ist ähnlich wie unter den Dinosauriern nach dem Kometeneinschlag: Man lebt noch, aber es ist finster geworden.
Doch vielleicht ist das gar keine Katastrophe? Immer, wenn eine Zeitung verschwindet, rufen manche Kommentatoren dazu auf, die Sache positiv zu sehen: Der Markt will es eben nicht anders. Wenn die Zahl der Zeitungen zurückgeht, dann hat es vorher eben zu viele gegeben. Ein Schrebergarten bietet schließlich auch keinen Platz für eine Rotwildherde. Und Städte wie Wien, München oder Hamburg haben eben auch nur eine Leserkapazität für eine Hand voll Tageszeitungen, nicht mehr.
Das ist nicht ganz falsch, die Gesetze des freien Marktes kann man tatsächlich nicht so einfach überlisten. Es ist aber auch nicht ganz richtig, man kann nämlich schon darüber reden, ob wir die Gesetze des freien Marktes unbeaufsichtigt mit unseren Medien herumspielen lassen sollten.
Der freie Markt ist eine großartige Sache – ein Werkzeug für viele verschiedene Aufgaben. Er ist beispielsweise ziemlich gut darin, den passenden Preis für Zahnbürsten zu bestimmen. Er kann auch recht gut entscheiden, ob es im Raum Wien eine angemessene Anzahl von Freibädern mit Wasserrutsche gibt. Aber dort, wo es um öffentliche Güter und um externe Effekte geht, etwa um versteckte Kosten, die nicht vom Käufer, sondern von der Gesellschaft getragen werden, stößt der freie Markt genauso an seine Grenzen wie eine Edelstahlfüllfeder bei einer Blinddarmoperation.
Wir brauchen Zeitungen, und wir brauchen sie nicht aus demselben Grund, aus dem wir Marktgüter wie Bananen, Fahrräder oder Blumentöpfe brauchen. Wir brauchen sie, weil unsere Gesellschaft ohne eine lebendige, vielfältige Medienlandschaft nicht funktioniert. Für eine Demokratie sind beobachtende, recherchierende, kontrollierende Journalisten genauso wichtig wie Politiker. Wenn die Gesellschaft gemeinsam wichtige Entscheidungen treffen soll, muss sie ausreichend mit zuverlässiger Information versorgt werden.
Es kommt vor, dass ich ihr Endprodukt – die gedruckte Zeitung, den online erschienenen Artikel – niemals konsumiere, aber trotzdem massiv davon profitiere. Wenn wegen einer Enthüllungsstory ein korrupter Politiker entfernt wird, dann schafft das für mich einen Wert, für den ich nicht bezahle. Ich kaufe auch keine Literaturzeitschriften – und doch ohne sie hätte die deutschsprachige Literatur, die mir sehr wohl wichtig ist, ein niedrigeres Niveau. Es gibt hochspezialisierte Computerfachzeitschriften, bei denen ich schändlicherweise nicht einmal die Überschriften verstehe. Ich bezahle nicht für sie, aber sie sind wichtig für die IT-Community, ohne die mein Leben völlig anders aussehen würde.
Der freie Markt ist nicht dafür geeignet, die passende, gesellschaftlich nötige Zahl von Zeitungen und Magazinen zu ermitteln – auch die Zahl der politischen Parteien, der juristischen Instanzen oder der Staatsgewalten hat sich nicht durch ein freies Spiel von Marktkräften ergeben. Wir brauchen daher dringend Ideen, wie wir den Journalismus im Zeitalter gratis kopierbarer Information fördern können. Auf die Selbstreinigungskräfte des Wettbewerbs zu hoffen, ist zu wenig. Das Röcheln des Printjournalismus dürfen wir nicht mit dem effizienten Rattern der freien Marktmaschine verwechseln.
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