Und selbst dann wäre die Sache noch immer falsch. Denn ob ein Beobachter „draufschaut“ oder nicht, spielt für eine quantenphysikalische Messung nicht die geringste Rolle. Entscheidend ist, ob eine Messung stattfindet – das heißt: ob das Quantenobjekt auf geeignete Weise in Kontakt mit seiner Umwelt gerät. Ob diese Umwelt ein größeres Molekül, eine Röhre mit Argon oder ein Mensch ist, das kann der Quantenphysik vollkommen gleichgültig sein.
Der Irrglaube, das Ergebnis einer Quantenmessung habe irgendetwas damit zu tun, ob ein bewusstes, denkendes Wesen die Messung beobachtet oder nicht, ist leider nicht totzukriegen. Trotzdem ist er völlig sinnlos und wissenschaftlich absolut nicht zu rechtfertigen.
Landkarte im Gehirn: Das Missverständnis mit den Place Cells
Ganz besonders fasziniert scheint Huber von den „Place Cells“ zu sein – das ist auch tatsächlich ein spannendes Gebiet, es handelt sich um Neuronen in unserem Gehirn, die eine entscheidende Rolle bei unserem räumlichen Orientierungsvermögen spielen. Bestimmte Zellen im Hippocampus, einer Hirnstruktur an der Schläfe, sind offenbar mit bestimmten Bereichen des Raums assoziiert: Bei Tests mit Ratten konnte man zeigen, dass einzelne Hirnzellen genau dann aktiv werden, wenn sich die Ratte an einem ganz bestimmten Punkt im Raum befindet.
Bewegt sich die Ratte durch den Raum, ergibt sich somit ein Muster nacheinander aktivierter Neuronen, in gewissem Sinn bilden die Neuronen eine Repräsentation des Raums, eine Art „Landkarte“ im Gehirn. Begibt sich das Tier dann in einen anderen Raum, dienen dieselben Zellen als „Landkarte“ für die neue Umgebung. Wie diese beiden Landkarten zusammenhängen, ist Gegenstand spannender Forschungsarbeiten – man spricht von „remapping“.
Johannes Huber scheint allerdings zu glauben, dass das Gehirn für jeden Ort, an dem man sich je befunden hat, eine neue „Place Cell“ anlegt: „Von jedem Ort, an dem ein Mensch ist, macht der Körper sozusagen ein Bild. Ein Foto in Form eines Neurons. Erstes Mal in Lignano, neues Neuron. Erstes Mal am Meer, neues Neuron.“ (S40). Ernsthaft?
Mit offenem Mund bestaune ich diese Zeilen – kann tatsächlich ein professioneller Mediziner ein derart naives, unlogisches Bild von der Funktionsweise unseres Gehirns haben? Offenbar schon: „Das heißt: Das Gehirn ist durch die Ortsveränderung entstanden, weil für jeden Ort ein neues Neuron angelegt wird.“ Huber scheint der Meinung zu sein, unser Gehirn sei gewachsen, indem wir uns von Ort zu Ort bewegen, weil dabei jeder Ort eine neue Gehirnzelle bekommt. Dann müssten also Flugzeugpiloten die größten, leistungsfähigsten Gehirne überhaupt haben, während einsame Forscher, die ihre Zeit an einem Schreibtisch verbringen, kleinhirnige Idioten sein müssten?
Schweißantennen und Blutmagnete
Auch an vielen anderen Stellen des Buches wird der wissenschaftlich interessierte Leser von einem unangenehmen Schauer durchzuckt – etwa wenn es heißt „Die Schweißdrüsen der Haut wirken wie kleine Antennen. (…) Das ermöglicht eine nicht sensorische Kommunikation“ (S9). Nein, die Schweißdrüsen haben mit Antennen nichts zu tun. Wenn Huber tatsächlich glaubt, dass wir über unsere Schweißdrüsen elektromagnetisch miteinander kommunizieren können, dann sollte er das schnellstens mit wissenschaftlichen Belegen untermauern – der Medizinnobelpreis wäre ihm sicher. Der Physiknobelpreis wohl obendrein auch noch.
Schmerzhaft sind auch Aussagen wie „Das Herz ist ein ‚Eisenmagnet‘, der Blutkreislauf verursacht ein magnetisches Feld, das mehrere Meter aus dem Körper hinausreicht (S8). Huber dürfte diesen Gedanken vom „HeartMath Institute“ übernommen haben, ein NGO, die sich mit merkwürdig esoterisch anmutenden Psycho-Techniken beschäftigt. Tatsächlich enthält das Hämoglobin im Blut Eisen – doch der Ferromagnetismus, wie wir ihn von Eisen kennen, beruht auf dem Zusammenspiel vieler Atome, das hat mit einzelnen Eisen-Atomen, wie sie im Hämoglobin eingebaut sind, nichts zu tun.
Merkwürdig ist auch, wie sich Huber die Epigenetik vorstellt. Er scheint der Meinung zu sein, dass alles, was wir erleben, epigenetisch abgespeichert wird – „Jeder Eindruck verändert und beeinflusst unser Genom“ (S31). „Jedes einzelne Ereignis schlägt sich in unseren Genen nieder.“ (S 134) Unsere Gene sind durch mystische Wunder der Epigenetik also so etwas wie ein zuverlässiger Videomitschnitt unseres gesamten Lebens? Das ist natürlich Unfug, wie im sicher einige Kollegen von der Medizinischen Universität genau erklären können.
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