Bei all diesen schweren wissenschaftlichen Schnitzern fallen dann Ungenauigkeiten, wie man sie bei anderen Büchern vielleicht heftig kritisieren würde, gar nicht mehr ins Gewicht – etwa, wenn Huber das Gehirn als „Muskel“ bezeichnet (S 40), wenn er schreibt, eine Bienenkönigin gehöre zu einer „anderen Spezies“ als die anderen Bienen (S 131), oder wenn er kühn behauptet, dass sich unser Leben „in den vergangenen Jahrzehnten um das 39-Fache beschleunigt“ habe (S 36). Was hat sich in Bezug worauf um das 39-Fache beschleunigt? Ach, egal. Wozu noch aufregen? In der Kabinentoilette eines gesunkenen Schiffes muss man nicht mehr über tropfende Wasserhähne streiten.
Propaganda für ein vor-aufklärerisches Weltbild
Fehler machen darf jeder. Das ist auch verzeihbar. Wirklich gefährlich wird Johannes Hubers Buch aber dort, wo er auf bewusste und kalkulierte Weise das naturwissenschaftliche Weltbild angreift – etwa wenn er durch irrwitzige Scheinargumentation Photonen zu Engeln umdeutet: „Photonen machen uns sehend. Engel erleuchten unseren Weg. Damit sind beide Vermittler der Transzendenz.“ (S 180) „Photonen sind reine Energie. Engel sind reiner Inhalt. Beide haben keine Ruhemasse“ (S 181). Und daraus folgert Huber dann messerscharf: „Die Quantenphysik kann uns die Existenz von Engeln nicht belegen. Aber sie für möglich zu halten, ist methodisch richtig.“ – Nein, das ist ganz und gar nicht methodisch richtig, das ist genau der Punkt. Sonst wäre es auch methodisch richtig, die Existenz von regenbogenspeienden Einhörnern an der Nordseeküste, von grüngeflügelten Kaffeetassen auf den Jupitermonden oder von eingeschlossenen Babyeichhörnchen in Johannes Hubers Gehirn für möglich zu halten. Man darf sich nicht einfach irgendetwas ausdenken, das Wort „Quantenphysik“ in der Luft herumschwingen und es dann für plausibel erklären. So funktioniert Wissenschaft nicht.
Aber wenn er solchen Unfug zwischen zwei Buchdeckel füllt, bleibt sicher bei vielen Lesern eine staunende Unsicherheit übrig: Na wenn der große Herr Professor das sagt, dann wird das schon seine Richtigkeit haben. „Manche Menschen können schon jetzt ihre elektromagnetische Kraft so bündeln, dass sie damit eine Gabel verbiegen“, schreibt der Herr Professor (S 129). Na wer hätte das gedacht! Es gibt offenbar also wirklich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit … oder so.
Es ist wirklich traurig: Viele seriöse Wissenschaftler versuchen heute mit großer Mühe, naturwissenschaftliches Denken stärker in der Gesellschaft zu verankern. Es gibt kluge populärwissenschaftliche Vorträge, Fernsehsendungen und Bücher, in denen vermittelt wird, was wissenschaftliches Denken ist und warum es für uns alle so eine große Rolle spielen sollte. Das ist wichtig. Seit dem Zeitalter der Aufklärung basieren die großen intellektuellen Leistungen unserer Gesellschaft in ganz entscheidendem Ausmaß auf rationalem Gedankenaustausch, auf falsifizierbaren Theorien, auf Experiment und Überprüfung. Huber zerstört wohl mit einem einzigen Buch mehr, als eine ganze Reihe solcher Wissenschaftler aufbauen kann. Unzählige Arbeitsstunden kluger Leute, die etwas Verstand in die Bevölkerung bringen wollten, werden durch Johannes Huber zunichte gemacht. Leute, die vielleicht schon ein einigermaßen aufgeklärtes Weltbild hatten, werden zurückgestoßen in ein Fantasieland mit Schutzengeln, geheimnisvoller Gedankenübertragung und mysteriösen Fernwirkungen. Das ist das eigentliche Problem eines solchen Buchs.
Dem Verlag darf das nicht passieren
Doch vielleicht sollte man das alles nicht Johannes Huber persönlich vorwerfen. Vielleicht ist er hier selbst der Überrumpelte? Eines fällt nämlich beim Lesen des Buchs, ganz abgesehen von seinem seltsamen Inhalt, ganz eindeutig auf: Es ist stilistisch grottenschlecht geschrieben. Es liest sich wie eine niedergeschriebene Wirtshaustischplauderei, mit unvollständigen Satzfetzen und flapsigen Formulierungen, wie man sie normalerweise niemals stehenlassen würde. Und so kommt der Verdacht auf, das Buch ist in Wahrheit genau das – eine niedergeschriebene Wirtshaustischplauderei. „Aufgezeichnet von Andrea Fehringer und Thomas Köpf“ steht da auf der ersten Seite – Johannes Huber hat das Buch also gar nicht selbst geschrieben. Vermutlich wurden Interviews mit ihm geführt und dann zu Papier gebracht.
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