Donald Trump, Wissenschaft und koreanische Stierkämpfe: Man muss zugeben, wenn man verloren hat
Es war ein Stierkampf ganz nach meinem Geschmack. Nirgendwo gab es bunte Toreros, blutige Lanzen oder sterbenden Tiere. Es war gewissermaßen die vegane Bio-Variante eines Stierkampfs. Durch puren Zufall war ich auf meiner Urlaubsreise durch Südkorea in ein Stadion geraten und blickte aus den mittleren Rängen auf die Arena.
Die Regeln für südkoreanische Stierkämpfe sind recht einfach: Zwei Stiere kommen herein, manchmal langweilen sie sich bloß, dann werden sie wieder hinausgeführt und die Sache ist erledigt. Meistens aber beschließen sie herauszufinden, wer der stärkere ist. Wer sich nun heißblütige Bullen vorstellt, die wild durch den Sand toben und ihrem Gegner die Hörner in den Leib rammen, liegt völlig falsch: Die beiden Stiere stehen einfach nur da, Stirn an Stirn, und drücken gegeneinander. Kaum Bewegung, keine Verletzungen, nur stetiges Drücken. Irgendwann, nach einigen Minuten, hat einer der Stiere keine Lust mehr. Er macht einen Schritt zurück und gesteht damit seine Niederlage ein. Der andere ist der Sieger. Das ist alles.
Gewalt im Kapitol
Daran muss ich denken, während in Washington die Fans von Donald Trump gewaltsam ins Kapitol eindringen. Ihr Kandidat hat die Präsidentschaftswahl verloren, daran gibt es keinen Zweifel. Es gibt keine rationale Argumentation, mit der man diese Erkenntnis ernsthaft ins Wanken bringen könnte. Aber anstatt einen Schritt zurück zu treten und die Niederlage einzugestehen versuchen sie mit Gewalt, ihr Idol an der Macht zu halten. Trump selbst ruft zwar zu Gewaltverzicht auf, gießt aber gleichzeitig weiter Öl ins Feuer: Ohne Argumente dafür zu haben, betont er, die Wahl sei gestohlen worden. „We love you“ sagt der US-Präsident zu gewalttägigen Demokratiefeinden.
Man kann angesichts dessen den Kopf schütteln, man kann die Sache skurril oder gar lustig finden, aber das wäre falsch. Es handelt sich hier um eine Katastrophe. Man kann dafür kaum ausreichend scharfe Worte finden.
An diesem Punkt hat Demokratie einiges mit Wissenschaft gemeinsam – darauf wies auch der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper hin: Entscheidend ist sowohl in der Demokratie als auch in der Wissenschaft, dass man offen anerkennt, wenn man verloren hat.
Ich kann mir die wildesten, wagemutigsten Theorien ausdenken, mit mysteriösen Zusatzdimensionen, mit neuartigen Teilchen oder fremdartigen Naturkräften. Das ist in Ordnung – nichts daran ist unwissenschaftlich. Aber ich muss, so erklärte uns Popper, meine Theorien immer so formulieren, dass sie prinzipiell falsifizierbar sind. Ich muss klar sagen können, welches experimentelle Ergebnis, welche Beobachtung ich als Widerlegung meiner Theorie akzeptieren würde. Und wenn diese Beobachtung dann tatsächlich gemacht wird, wenn die Experimente andere Ergebnisse liefern, als ich vorhergesagt habe, dann muss ich zugeben, dass ich falsch lag. Kann ich das nicht, ist meine Theorie von vornherein wertlos, dann bin ich kein Wissenschaftler sondern ein Schwurbler.
Und in der Demokratie ist es genauso: Man kann unerhörte Forderungen stellen, völlig neue Gedanken aufbringen, unkonventionelle Lösungsansätze vorschlagen. Aber wenn man abgewählt wird, muss man gehen. Man muss es nicht gut finden, dass man verloren hat, aber man muss es eingestehen. Sonst ist man kein Demokrat, sondern ein Faschist.
Fortschritt als Nebeneffekt
Für Popper ist das Entscheidende an der Demokratie nicht unbedingt, dass der Mehrheitswille durchgesetzt wird, sondern dass man die Herrschenden ohne Blutvergießen austauschen kann. Politik, die für die Gesellschaft gut ist, ergibt sich dann gleichsam als Nebeneffekt. Und das Entscheidende an der Wissenschaft ist nicht unbedingt, neue Wahrheiten zu finden, sondern dass sie uns Möglichkeiten gibt, Falsches zu widerlegen. Die Annäherung an die Wahrheit ergibt sich dann ganz von selbst.
Und daher ist das vielleicht die wichtigste Fähigkeit, die es überhaupt gibt: Seine eigene Niederlage eingestehen zu können. Ohne diese Fähigkeit funktioniert weder Demokratie noch Wissenschaft. Wer das nicht kann, wird sich nie verbessern, wird sich nie mit jemandem einigen, wird nie Großes erreichen. Und wenn die Stiere in einer südkoreanischen Arena das hinbekommen, dann sollte uns das doch auch gelingen.
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